Kapitel 27.5

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Während ihres Aufenthalts im Turm hatte Elanthin sich oft darüber gewundert, dass Aetrian mit Wohlwollen an seine Zeit in dem feuchten Gemäuer zurückdachte. Schon die Privatsphäre war mangelhaft, denn das konstante Flackern der Portale erinnerte sie an die Tatsache, dass jederzeit ein verwirrter Magier durchbrechen könnte. Ganz zu schweigen von den winzigen Fenstern, mit welchen die Räume versehen waren; die wenigen Sonnenstrahlen, die es ins Innere schafften, brachten nur die fliegenden Staubkörner zum Leuchten.

Der gemeinschaftliche Arbeitsraum war jedoch genauso groß wie hell. Er machte beinahe den Trübsinn des restlichen Baus wieder wett. Seine Wände waren unsichtbar, sodass Elanthin das Gefühl hatte, sie würde auf einer windgeschützten Veranda in der Sonne sitzen.

Zu niemandes Überraschung hatte sie sich auch an diesem Morgen in einer ruhigen Ecke der Halle niedergelassen, während Aetrian sich mit Aydeze in dem privaten Büro des Magiers einschloss. Was auch immer sie dort oben taten, sie würde keine große Hilfe sein. Obwohl Aetrian sein Bestes gab, damit sie sich nützlich fühlen konnte, hatte sie sich rasch mit der Wirklichkeit abgefunden. Ihr Gratianisch war rudimentär und ihr Verständnis von Magie hatte nichts mehr mit dem zu tun, was die beiden untereinander besprachen.

Vielleicht würde sie das nächste Mal schon hilfreicher sein. Aber für den Moment würde sie die Nase in mindestens zwei dutzend dieser Bücher stecken, deren Dicke ihren Respekt beschwor – und einen leisen Widerwillen.

„Wird Ihre Majestät die Briefe öffnen?"

Yorwens Stimme ließ ihren Kopf hochschnellen. Jeder Gedanke daran, Bücher über Magietheorie zu lesen, war verschwunden, sobald Elanthins Augen das Silbertablett in den Händen der Zofe fanden. Es war Tage her, dass sie Nachricht an ihre Berater geschickt hatte.

Hastig hob sie die erste Pergamentrolle an und vergaß dabei sogar, die Zofe zu entlassen. Yorwen nahm sich die Freiheit, das Tablett mit der zweiten Rolle auf dem Beistelltisch neben Elanthin zu platzieren, bevor sie sich zurückzog.

Seit sie angekommen waren, hatte Elanthin nur wenig von ihrer jungen Zofe gesehen; vielleicht waren die intensiven Blicke der Magier zu viel für Yorwen.

Elanthin spürte diese Blicke selbst, während sie das Siegel des Briefs brach und das Pergament mit beiden Händen glättete. Da sie nicht wirklich sie ansahen, störte sie sich nicht weiter daran. Die Magier waren bloß auf der Lauer, um einen Blick auf die Spuren der Dunkelheit zu werfen.

Grüße,

Sie las die knappe Eröffnung und wusste sofort, dass sie einen Brief von Vax in den Händen hielt. Die Buchstaben waren flach und in die Länge gezogen, als hätte der Berater in Hast geschrieben.

Der neueste Vorschlag, den Phygras Euch vorgelegt hat, ist ausschließlich Angst und seinem steifen Charakter zuzuschreiben. Ich lehne ihn strikt ab. Wenn meine Worte in der Vergangenheit die geringste Bedeutung für Eure Majestät hatten, dann werdet Ihr keine Sekunde lang über den Vorschlag nachdenken.

Da war nichts anderes auf dem Pergament, keine Erklärung, nur ein unleserlicher Gruß unter Vax' Kritzelei.

Mit einem leisen Seufzer legte sie den Brief zur Seite, um den nächsten zu öffnen, der von Phygras stammen sollte. Sie sollte sich nicht darüber wundern, dass die Berater erneut im Kleinkrieg miteinander lagen. Nur dass Vax den Rat des älteren Beraters ohne klare Argumente zurückwies, war hoffentlich ein einmaliges Vorkommnis.

Ich grüße Eure Majestät Elanthin von Haus Verita mit der größten Hochachtung, begann der nächste Brief.

Zum ersten Mal seit ihrer Krönung überlegte Elanthin, ob es ein Fehler gewesen war, Vax und Phygras von Beginn an dieselbe Stellung zu geben. Hätte der Ältere wegen seines Dienstalters die Position eines Mentors erhalten sollen?

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⏰ Last updated: May 26, 2023 ⏰

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VeritaWhere stories live. Discover now