Kapitel 3

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„Ich präsentiere Ihre Majestät, die Königin der Verlorenen Ebenen, Elanthin aus dem Haus Verita."

Obwohl die Bedienstete Aetrian voller Abscheu angestarrt hatte, schien sie eifrig dahinter zu sein, ihre Herrin dem Protokoll nach vorzustellen. 300 Jahre standen zwischen ihnen, aber keine Seite hatte die steifen Vorschriften geändert.

Aetrian hatte keine Aufmerksamkeit an die Bedienstete zu verschenken. Sein Blick klebte an der vordersten Reiterin; das dunkle Haar der Frau kämpfte gegen ihren locker geflochtenen Zopf, während sie emotionslos vor ihm stand. Ihre Kleidung trug die Spuren einer langen Reise mit dem Pferd und von Nächten unter den Sternen – ergänzt von ein oder zwei Tropfen getrockneten Blutes.

Der Unterschied in ihrer Kleidung überraschte Aetrian nicht; immerhin hatten sich Verita und Gratia für fast 300 Jahre vollständig voneinander getrennt entwickelt. Ihr weißes Kleid war definitiv kürzer als er es gewohnt war und es wurde über ein eng-sitzendes Paar Hosen getragen. In der Mitte hielt es ein Lederkorsett, verziert mit der simpelsten Stickerei, zusammen. Aetrian konnte nicht einmal ausmachen, ob es Teil einer Rüstung oder eine modische Entscheidung war, aber er hielt die letztere Option für unwahrscheinlich. Es hingen nämlich weder Krone noch Juwelen an der dunkelhaarigen Fremden; die einzigen Accessoires, die sie trug, waren zwei Klingen, sicher verstaut in ihren Hüllen und an den Ledergürtel um ihre Hüfte gebunden.

Trotz des Mangels an Prunk reichte ihre Aura aus, um Aetrian keinen Zweifel an ihrer Position hegen zu lassen. Diese Person wäre dazu in der Lage, in ihn mit einem einzigen Hieb zu töten, und sie dachte nicht daran, etwas anderes vorzugeben.

Als er sich selbst aus seinen Überlegungen gerissen hatte, bemerkte er Ves fragenden Blick. Schlagartig erinnerte sich Aetrian daran, dass er noch keine Antwort auf ihre Vorstellung gegeben hatte.

„Dieses Treffen ehrt mich, Eure Majestät", erwiderte er sorgfältig. Die seltenen Gefangenen, die sie bei Versuchen festgenommen hatten, die Ewige Barriere zu stören oder zu durchqueren, waren ausreichend gewesen, um ihnen die Veritanische Sprache beizubringen. Wie geübt er sich in den Ohren der fremden Delegation anhörte, konnte Aetrian jedoch nicht wissen. „Ich bin Aetrian, König von Gratia und derjenige, mit dem ihr heute sprechen werdet."

„Ich verstehe", erwiderte die dunkelhaarige Frau monoton. Wenn die Tatsache, dass er ihre Sprache fließend sprach, sie überraschen sollte, so verbarg sie es gut. „Ich bin aber nicht viele Tage geritten, um zu reden. Ich bin hier, um meine Krone an das Oberhaupt von Gratia zu übergeben; wie in meiner Korrespondenz mit seiner Majestät abgesprochen."

Sie hatte ihr Kinn bisher hoch getragen, aber nun sank Elanthin in eine tiefe Reverenz.

Aetrian zuckte – und er war nicht der einzige. Königinnen verneigten sich nicht vor Königen. Nicht, wenn sie dachten, dass man sie als Gleichgestellte behandeln würde.

Es stimmte, dass Aetrian sie gebeten hatte, Gratia ihre Loyalität zu schwören und ein Vassal zu werden, aber sie schien zu denken, dass er mehr wollte. Dass er ihren Status auf den weiten Ebenen, welche die Veritaner für 300 Jahre bewacht und bewirtschaftet hatten, stehlen würde.

Während Aetrian sprachlos war, richtete Elanthin sich wieder auf und starrte ihn blank an. Ihre wässrig-blauen Augen erinnerten ihn an bodenlose Bergseen; als ob sie an nichts denken oder sich um nichts in der Welt sorgen würde. Aetrian konnte sie nicht lesen, aber er bekam zunehmend das Gefühl, dass es vielleicht besser so war. Wenn diese Königin ihn auf die Art einer Bediensteten adressierte, dann bezweifelte er, dass sie ihm anderweitig freundlicher begegnen würde als eine Gefangene ihrem Wärter.

Schuld, stechend und heiß, grub sich in Aetrians Brust, als er den Blick über Elanthins Entourage wandern ließ. Sie bestand aus nicht mehr als sechs in Leder gekleideten Soldaten und einer noch schlechter gekleideten Dienerin. So reiste nicht einmal ein gratianischer Händler. War es wirklich notwendig gewesen, diese Leute für solch eine lange Zeit auf die Verlorenen Ebenen zu verbannen?

VeritaWhere stories live. Discover now