Kapitel 2

98 16 0
                                    

Die harschen Winde zogen an seinem Mantel und zerzausten sein Haar, aber Aetrian hielt den Kopf hoch erhoben und seinen Blick auf den Horizont gerichtet. Er hatte vor vielen Jahren damit begonnen, diesen Moment zu planen, aber nun, da alles in Bewegung geriet, schlug sein Magen Saltos. Es war ein regelrechtes Wunder, dass Haus Verita seinen Vorschlag akzeptiert hatte. Die Königsfamilie hinter der Ewigen Barriere stand nicht nur im Ruf stolz zu sein, sondern auch keine Begegnung mit einer Niederlage enden zu lassen – mehr wussten die Leute des Kontinents nicht, da es seit der Errichtung der Barriere nur vereinzelte Sichtungen von Veritanern gegeben hatte. Aetrians Berater waren sich nicht einmal einig darüber gewesen, ob es inzwischen noch Leben auf den Verlorenen Ebenen gab. Immerhin wusste niemand, ob der Boden zu bestellen und das Klima zu ertragen war.

Bevor die Ewige Barriere errichtet worden war, hatten die Verlorenen Ebenen lediglich als Puffer zwischen bewohntem Land und der Tiefe gedient, die von einem mächtigen Riss durchzogen war. Zahllose Kämpfer hatten ihr Leben auf diesem Boden verloren, Generation für Generation. Obwohl Aetrian niemals einen Fuß auf den blutgetränkten Boden setzen hatte müssen, hatte er sich oft gefragt, wie das Leben in einem solchen Exil aussehen musste.

Er hatte sich genauso oft gefragt, was seine Vorfahren dazu gebracht haben konnte, die gesamten Veritaner auf die Verlorenen Ebenen zu verbannen. Ob sie darauf gehofft hatten, dass ihre Erzfeinde dort draußen verkümmern würden – ohne dass sie auch nur einen einzigen Finger für diesen Genozid rühren mussten?

„Eure Majestät. Plant Ihr Veritas Gesandte so zu empfangen?"

Aetrian runzelte die Stirn, als er zu seinem engsten Berater sah, der ihn verstimmt anstarrte. Ves Augen waren mehr als einmal von Hofdamen als Topaz beschrieben worden, aber alles was Aetrian in ihnen sehen konnte, war ein kokelndes Feuer, angefacht von jedem seiner Worte und jeder Aktion. Wie so oft war sein Berater nicht beeindruckt davon, wie Aetrian die Situation zu handhaben gedachte.

„Wieso nicht, was ist falsch daran?"

„Es ist nichts falsch daran, wenn Ihr es so ausdrücken müsst", erwiderte Ves knapp. Aetrian wusste, dass er dieses Treffen als gewaltigen Fehler betrachtete. „Aber Ihr solltet in der Nähe der königlichen Garde bleiben. Bitte sitzt nicht ungeschützt herum."

Da war sie, die Moralpredigt, die Ves im Palast begonnen hatte, setzte sich fort.

„Ihr scheint zu denken, dass die Veritaner kommen, um sich diskussionslos zu ergeben."

„Das war, was ich ihnen vorgeschlagen habe."

„Ihr ..." Ves schnappte nach Luft. „Denkt Ihr ernsthaft, dass sie so einfach unseren Wünschen folgen werden?"

Aetrian nickte. „Ich zähle auf ihre Kooperation – genau wie mir in der Antwort auf meinen Brief versprochen wurde."

„Vergebt mir, Eure Majestät, aber ich muss Euch sagen, dass Ihr Euch wie ein naiver Volltrottel verhaltet, bevor es zu spät ist."

Aetrian zuckte nicht einmal mit der Wimper, als sein Berater ihn auf diese Weise verunglimpfte. Er war Ves ungehaltene Art zu sprechen gewöhnt, da die beiden als Cousins Seite an Seite am königlichen Hof aufgewachsen waren. Über die Jahre hatte Aetrian sich weitaus schlimmere Beleidigungen anhören müssen.

Trotzdem hatten sie den Schein zu wahren und sie waren noch in Hörweite der Soldaten. Ves wurde mit einem strengen Blick zum Schweigen gebracht. Er wusste, dass er sorglos gewesen war, also beugte er den Kopf in einer respektvollen Geste.

„Ich werde über deinen taktlosen Kommentar hinwegsehen, weil du dich um meine Sicherheit sorgst." Aetrian lehnte sich zur rechten Seite, wo Ves unruhig von einem Bein auf das andere trat. Er senkte die Stimme. „Aber warum denkst du, dass sie nicht kooperieren werden?"

VeritaWhere stories live. Discover now