Kapitel 14

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Der langgezogene Thronsaal von Gratias Palast war auch am heutigen Tag mit Geflüster und Gerüchten gefüllt. Sie sanken in die schweren, nachtblauen Vorhänge, welche die zwei Stockwerke hohen Fenster hinter dem Thron bedeckten, und klammerten sich an Aetrians offizielle Roben. Sie zogen ihn gen Boden wie Felsen, die man an seinen Körper gebunden hatte.

Zwei Tage waren seit dem Monsterangriff am Hauptplatz vergangen und nicht eine Stunde davon war friedlich für Aetrian gewesen. Es war nicht genug, dass sich die Ereignisse wieder und wieder in seinem Kopf abspielten wie ein Kurzfilm, der ihn und sein schlechtes Gewissen foltern sollte. Noch dazu benutzten die Adeligen die Störung von Elanthins Rede, um das Abkommen selbst anzugreifen.

Und dieser Mann könnte der Schlimmste von allen sein, dachte Aetrian genervt, während er die luxuriöse Aufmachung von Royven Dyrre musterte. Es war schwer zu glauben, dass der junge Mann vor ihm einst die Entscheidung seines Vaters angefochten hatte, ein Vasall Gratias zu sein. Seine Tage teilte er inzwischen glücklich zwischen den Tavernen und Spielhäusern der Hauptstadt auf, wo er sein Bestes gab, um seine geerbten Pflichten zu ignorieren.

Als ob seine Unvernunft ihn nicht bereits zu einem Dorn in den Augen von Gratias Königsfamilie machen würde, umgab er sich mit Aetrians liebster Opposition: der Tugend.

„Erhebt Euch, Graf Dyrre."

Der erdbeerblonde Mann stieß sich vom Boden ab, auf dem er respektvoll gekniet hatte. Seine Bewegungen waren elegant, aber seine Kleidung kratzte an der feinen Linie zwischen teuer und geschmacklos.

So geschmückt mit goldenem Efeu wie sie sind, müssen sich seine Schultern schwerer anfühlen als meine, kam es Aetrian in den Sinn. Ein sinnloser Versuch, die Beistehenden zu beeindrucken, da Rovyens Mangel an Geschmack seine Aufmachung höchstens exzentrisch wirken ließ. Dennoch, als einziger Erbe der Grafschaft Dyrre und dem größten und einflussreichsten Vasallen Gratias war er niemand, den Aetrian übergehen durfte.

„Was bringt Euch heute an meinen Hof?"

Obwohl Aetrian wegen des Protokolls fragen musste, wäre es nicht notwendig gewesen. Es war einfach zu erkennen, was der Erbe von ihm wollte; besonders, weil Royen eine blaue Blume an seine Roben gesteckt hatte.

„Danke, dass ihr meinen Besuch erlaubt, Eure Majestät. Ich werde Eure Zeit nicht verschwenden: Die Grafschaft von Dyrre verlangt öffentlich nach einer schnellen Verhandlung und gnadenlosen Verurteilung, um die Opfer des Hauptstadt-Massakers zu rächen."

„Und wen könntet Ihr zu der Verhandlung schicken wollen? Die Untersuchung hat noch keinen offiziellen Schuldigen ergeben."

Wieder eine Frage, auf die er eine voraussagbare Antwort erhalten würde. Aetrian war danach zu schreien, weil sein mit Adeligen gefüllter Hof momentan der letzte Ort war, an dem er sein wollte – aber er hatte keine Wahl. Dies war Teil seiner Position, gleich wie sehr er es hasste, die gierigen Augen auf sich zu spüren oder das Geflüster in seinem Rücken zu hören. Aetrian wusste, dass Diplomatie stets die Stärke seines Bruders gewesen war; und ungeachtet seiner Bemühungen, den Erstgeborenen zu ersetzen, würde er dem Gezeter der Adeligen nie die gleiche Wärme entgegenbringen wie sein Bruder.

„Vergebt meine Unverfrorenheit, aber es ist doch eindeutig, wer hinter dem Angriff steckt. Bevor wir den Veritanern erlaubt haben, die Barriere zu betreten, und uns mit ihrer Königin verbündet haben, gab es in knapp 300 Jahren keinen einzigen Monsterangriff in Gratia."

Royven ließ den Blick durch den Raum schweifen, als erwartete er Applaus von gleichgesinnten Adeligen. Manche schienen dazu geneigt, ihm entgegenzukommen, aber Aetrians nächste Worte reichten aus, um sein Gehasche nach Aufmerksamkeit zu beenden.

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