Kapitel 15

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Die dichte Dunkelheit, in der sie sich wiederfand, täuschte sie für eine Sekunde; Elanthin dachte beinahe, sie wäre zurück an den Klippen der Tiefe und blickte hinab in den schwarzen Schlund. Vielleicht hatte sie ihr Bewusstsein verloren, nachdem sie von einem Felsen oder einer giftigen Klaue getroffen worden war, und war auf einem der schmalen Pfade zusammengebrochen, die hinab in die Dunkelheit führten – immerhin war der Abstieg nicht minder gefährlich als die Monster, die auf den unteren Ebenen der Tiefe warteten. Aber das entfernte Zwitschern von Vögeln erinnerte sie daran, wo sie wirklich war: weit entfernt vom Abyss und seiner Dunkelheit.

Während sie gegen die Schwere in ihren Augenlidern ankämpfte, sog Elanthin etwas der klaren, kühlen Luft ein, die sie umgab. Jeder Atemzug fühlte sich wie winzige Scherben an, die sich in ihre Brust gruben, aber Elanthin atmete weiter. Sie fürchtete anderenfalls in der Schwärze zu ertrinken, die sie einhüllte.

Als der Schmerz in ihrer Brust etwas abgeebbt war, blieb nur Erschöpfung zurück – und eine seltsam vertraute Wärme um ihre linke Hand.

„Bist du ... wach?"

Seine Stimme trug ein besonderes Gewicht; es war die Schwere, die davon kam, an der Bettseite einer sterbenden Person zu sitzen.

Elanthin nahm einen weiteren tiefen Atemzug, ignorierte dabei den Schmerz und öffnete ihre Augen mit größter Mühe.

„Ich denke, ja", brachte sie heiser heraus. Ihr Körper besaß keine Kraft und sie vertraute ihrer Fähigkeit länger zu sprechen nicht. Ihre Kehle fühlte sich nicht gesünder an als ihre Lunge.

Wie lange ist es her, dass ich mich dermaßen schwach gefühlt habe?, fragte Elanthin sich selbst ungläubig. Aetrian trug einen ähnlichen Ausdruck, wenngleich aus anderen Gründen.

„Bei der Tugend", stieß er aus und das Zittern in seiner Stimme hätte Elanthin zurückschrecken lassen, wenn sie stark genug dafür gewesen wäre. In ihrem derzeitigen Zustand lieh sie ihm ihre Hand ein wenig länger. Seine Wärme war tröstlicher, als sie zugegeben hätte.

„Wir haben begonnen, uns zu sorgen. Wie geht es dir? Bist du stark genug, um etwas zu trinken oder zu essen?"

Wenn ich es nicht wäre, dann könnte ich auch nicht mit deinen Fragen umgehen, dachte sie mit einem Anflug von Irritation.

Jetzt, da der Nebel um ihre Gedanken sich zu lüften begann, überflog Elanthin den Raum. Silberne Ranken wanden sich um die Pfosten ihres Betts und alles war in den schwachen, blauen Schimmer von magischen Runen gehüllt. Sie waren in den Silber–irgendetwas Räumen neben Aetrians, in denen sie seit dem ersten Attentat geschlafen hatte. Als hätte man für schnelle Stippvisiten vorgesorgt, waren die Vorhänge des Bettes an die Pfosten gebunden worden. Bei dem Anblick stieg eine böse Vorahnung in Elanthin auf.

„Wie ... wie lange habe ich geschlafen?"

„Es ist der elfte Tag."

Mit einem plötzlichen Anfall von Panik versuchte sie sich gegen einen der Polster aufzurichten, aber ihre Muskeln arbeiteten gegen sie. Aetrian wirkte dazwischen zerrissen, ihr zu helfen oder seine Hände bei sich zu behalten, so wie die Höflichkeit es verlangen würde. Nachdem sie zum zweiten Mal versucht hatte sich aufzurichten und erneut daran gescheitert war, entschloss er sich für eine leichte Berührung an Elanthins Schulter.

Mit sanftem Nachdruck presste er sie in die Kissen, während er sprach.

„Wenn du zu schwach bist, um dich aufzusetzen, dann solltest du dich nicht zwingen. Es ist niemand außer mir hier."

Sie hörte ihn kaum über die Wiederholungen seiner Stimme in ihrem Kopf. Der elfte Tag. Trotzdem hatte sie keine andere Wahl wegen ihres Zustands, als nachzugeben und in das weiche Bett zurückzusinken.

VeritaWhere stories live. Discover now