74| Entscheidungen und andere Bürden

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Percy

Ich hatte das Schlimmste von diesem Abend erwartet, aber das? Das übertraf alle Erwartungen. Die Lichter New Yorks erinnerten uns daran, dass die Stadt noch wach und am Leben war. Doch die Stimmung im Wagen auf dem Nachhauseweg schien so gut wie Tod. Nur das Brummen des Motor, durchbrach die Stille. Jeder schien in Gedanken versunken, versuchte zu verarbeiten, was da eigentlich gerade passiert war. Ich wusste von Anfang an, dass mich dieser Abend viele Nerven kosten würde, doch dabei hatte ich eher an ein paar Sticheleien zwischen Gwaine und Lancelot gedacht.

Ich sah in den Rückspiegel, beobachtete wie Darcy gedankenverlorenen aus dem Fenster sah. Ich wollte wissen wie es ihr ging, nach dem diese ganze Sache viel zu schnell ausgeartete war, aber ich wusste einfach nicht wie ich beginnen sollte. Ich verstand es ja selbst kaum. Ich sah nach Rechts zu Sam. Auch er war schrecklich still.

Darcy hatte Milena angeboten, bei uns zu wohnen. Ich war voll und ganz gegen diese Idee. Es war eine Sache Milena zu erlauben, wieder Teil von Darcy's Leben zu werden. Dass hieß nicht dass ich sie in meinem wollte. Und schon gar nicht in unserer Wohnung! Doch Milena hatte mit einer Sache Recht gehabt: ich konnte meiner Tochter nicht ihre Mutter verbieten, nur wegen meinem eignen Stolz. Zögerlich hatte ich zugesagt und damit dafür gesorgt, dass Lancelot das Essen frühzeitig verlassen hat. Verlassen, war vielleicht das falsche Wort: er war hinaus gestürmt, wie ein Kind. Ich verstand seine Wut, ja, ich spürte sie auch, verdammt nochmal! Aber ich konnte nicht zu lassen, dass ich sie auslebte. Ich hatte nicht die selbe Freiheit wie Lance einfach die Kontrolle zu verlieren. Nicht vor Dad. Nicht vor Darcy.

Ich würde das schon alles geregelt bekommen. Wir würden das alles schon wieder hin bekommen. Da war ich sicher. Nur nicht heute Abend. Heute Abend würde ich einfach.... ach ich wusste es ja auch nicht.

»Dad?« Ich sah durch den Spiegel zu ihr zurück. »Bist du sauer auf mich?«, fragte Darcy schrecklich leise vom Rücksitz. Verwirrt runzelte ich die Stirn, »Was? Natürlich nicht!« Sie knetete nervös ihre Hände, »Ich hab' Mom eingeladen bei uns zu wohnen. Ich-«, sie blinzelte rapide. »War das ein Fehler?« Ich atmete tief durch. War es schlau? Ganz bestimmt nicht. Ein Fehler? Das würden wir jetzt wohl früher oder später herausfinden. Ich presste meine Lippen zu einem dünnen Stich, unfähig zu antworten. »Mom, sie ... sie meint sie würde blieben. Aber...«, fuhr sie dort, als sie mein Zögern bemerkte. »Wie geht es jetzt weiter?«

Ja, das war die Frage aller Fragen. Um ehrlich zu sein, hatte ich keinen Schimmer.

Ich sah wieder zu ihr hinter, »Das kommt auf dich an, Darce. Es ist voll und ganz deine Entscheidung.« Ob sie eine Beziehung mit ihrer Mutter wollte, ob sie Milena überhaupt in ihr Leben lassen wollte, lag einzig bei ihr - ich würde meine Tochter zu nichts zwingen. »Ich«, begann sie zögerlich. »Ich will mich mit ihr treffen. Ist das okay?« Erschrocken über die Frage, richtete ich mich auf. Mir war durchaus bewusst, dass diese Situation sehr viel auf einmal gewesen war, aber niemals wollte ich ihr das Gefühl gegeben, dass es nicht okay wäre Milena kennenzulernen. »Natürlich.«, versprach ich ihr. »Natürlich ist das okay! Warum sollte es das nicht sein?« Darcy sah nach draußen in der Nacht, ihre Worte wie ein Geständnis, »Weil du Mom hasst.«

Hass. Ein starkes Wort.

Unruhig tippte ich auf das Lenkrad. »Hassen? Gott, Darce, ich hasse sie nicht. Es ist nur-«
»Sie hat uns verlassen, Dad. Ich versteh das. Aber wenn du nicht in ihrer Nähe sein willst-«
»Ich komm klar, okay?«, stellte ich klar. »Sagen wir, wir werden keine besten Freunde, aber sie ist deine Mutter. Sie hat mir dich geschenkt, also könnte ich sie gar nicht hassen. Also mach dir darüber keinen Kopf, klar?« Darcy verdrehte die Augen, »Zu kitschig, Dad.« Ein raues Lachen entkam mir und ich konnte wieder ein Stück aufatmen. »Keines Wegs.«

Ich wandte mich zu Sam, der immer noch aus dem Fenster sah. In den letzten Monaten hatte ich gelernt seine Mimik zu deuten, doch diesmal hatte ich keinen Ahnung an was er wohl gerade dachte. Zögerlich legte ich meine Hand auf seinen Oberschenkel, fuhr über den Stoff seiner Anzughose, konzentrierte mich wieder auf die Straße. Seltsam angespannt wartete ich auf etwas, und als er seine Finger zwischen meine schob, meine Hand in seine nahm, wusste ich auch auf was.

Er musste es nicht aussprechen, doch ich wusste auch so was er mir sagen wollte. Alles wird gut. Doch da war ich mir nicht so sicher.

•••

Es war vier Uhr morgens. Das zeigte jedenfalls die roten Ziffern der kleinen Digitaluhr auf meiner Kommode. 4 Uhr morgens. Eine seltsame Zeit. Die der unruhigen Seelen, der Denker und Künstler. Oder die der Leute mit Schlafproblemen. Ich hatte mich aufgerichtet, die Laken um meine Beine gewirbelt, meine Lungen seltsam eng. Immer wieder spielten sich die Szenen ab: Milenas Auftritt, das Essen, Darcys Angebot, Sams Schweigen.

Vielleicht hätte ich sie gleich dort zum Teufel jagen sollen. Ich hätte Darcy packen und verschwinden sollen, so lange wir noch konnten. Ich wollte nicht, dass sich die Dinge änderten. Sie war noch so jung gewesen, als Milena uns zum letzten Mal verließ, gerade alt genug um den Schmerz zu spüren. Ich konnte mich noch gut an die ersten Nächte erinnern, an der ich ihr erklären musste, dass ihre Mutter nicht mehr wieder kommen würde.

Erklär mal einer 6 Jährigen, wieso jemand nicht in ihrer Nähe sein konnte.

Die Wut in mir ließ mich nicht schlafen. Was soll ich tun? Ich kann das nicht nochmal durchmachen. Aber es war nicht meine Entscheidung. Sie hatte ein Recht darauf. Sie versuchte es zu verstecken, aber ich konnte doch sehen wie sehr sich meine Tochter quälte. Und all die Zeit gab es nichts was ich dagegen tun konnte. Musste zusehen, mit all den Vorwürfen, mit all den Was-Wäre-Wenns. Was wäre wenn ich das Ultimatum nicht gestellt hätte? Was wäre wenn ich anders gewesen wäre? Ein besserer Vater? Ein besserer Ehemann? Was wäre...? Ich rieb mir über die Augenlieder.

Doch nun hatte ich die Chance ein bisschen von meiner Schuld abzulegen. Darcy etwas zu gestatten , dass ich ihr zuvor nie geben konnte. Es fühlte sich nur als würden meine Lungen jederzeit nachgeben, wegrutschen wie Sand, vergraben werden wie unter einer Schicht Beton. Panisch rieb ich mir über meine Brust. Wieso musste es so laufen, wieso- »Hey.« Warme Arme schlangen sich um mich, zogen mich zurück, bis ich gegen seine warme Brust sackte. Ich spürte seinen Atem als er seinen Kopf an meiner Schulter vergrub. »Atme.« Sam.

Ich stieß die Luft aus meinen Lungen, fuhr mir die Haare aus der Stirn, »Sorry.«, murmelte ich, als ich mich zu ihm hinab schielte. Seine dunklen Haare fielen mir über die Schulter. »Hab' ich dich geweckt?«
»Nein.«, log er, und hob seinen Kopf küsste mich sanft auf die Wange, »Kannst du nicht schlafen?« Schlaf fühlte sich wie das Letzte an, zu dem mein Körper gerade in der Lage war. Ich hatte diesen brennenden Drang aufzustehen und jedes einzelne Problem in meinem Leben aus dem Weg zu schaffen. Es alles abzuarbeiten wie auf einer To-Do Liste, damit ich endlich wieder Frieden finden konnte. Damit ich endlich Ruhe finden konnte. Damit ich endlich schlafen konnte.

Doch in jener Nacht war ich mir sicher, dass Frieden erst wieder tief unter der Erde mit einem schweren Marmorstein über mir, auf mich warten würde. Dort, oder in den Armen die mir gerade beruhigend über die meinen fuhren.

Die Tatsache, dass man es ganz einfach nicht aus dem Weg räumen konnte, dass es nicht so einfach war, schien sich wie ein unruhiges Jucken in meine Haut zu graben. »Nein,« gestand ich und lehnte meinen Kopf zurück gegen seine Schulter, sah zur Decke. Er nickte verstehend und ich wusste, dass ich es ihm nicht erklären musste. Sam wusste es auch so. »Du solltest weiter schlafen.«, raunte ich nach dem wir einfach eine Weile so da saßen, seine Arme fest um mich geschlungen. »Schon Gut. Ich bin nicht müde.«, log er erneut und ich lächelte schwach.

Dieser Mann war unausstehlich sobald man ihn auch nur eine Minute zu früh weckte, und seine Augen kämpften deutlich damit offen zu bleiben. Sanft fuhr ich ihm durch die dichten Haare, genoss einfach die Tatsache, dass so jemand wie Samuel Cortez existierte.

Doch selbst seine Umarmung, konnte die Welt nicht für immer von mir fern halten. Gequält schloss ich die Augen.

»Was soll ich nur tun, Sammy?«

Not your Secretary! [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt