50| Vergangene Déjà-vu

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»Ich hab' es wirklich versucht.«, fuhr er fort und holte mich aus meinen Gedanken zurück auf den Balkon. Er fuhr sich über seinen Bartschatten. »Ich habe Darcy's Mutter einen Heiratsantrag gemacht, zwei Wochen nach dem sie es mir unter Tränen gestanden hatte - dass sie schwanger war und das sie es behalten wird.« Er sah zu mir. »Ich hab' sie nicht nur der Schuld wegen gefragt, weißt du? Es gab eine Zeit, da habe ich Milena wirklich geliebt.« er schmunzelte. »Ich war mir damals so sicher, dass ich sie sowieso irgendwann heiraten würde. Hab' mir eingeredet, dass alles nun ein paar Jahre schneller geht als geplant.«

Percy presste seine Lippen zusammen. »Ich glaube, Sie hat damals nur aus Angst Ja gesagt. Ich meine, wir waren gerade mal erwachsen geworden, gingen noch in die Schule, ich...« er seufzte. »Als sie Ja sagte, war ich mir sicher, dass alles gut werden würde. Dass wir das gemeinsam hin bekommen würden.« Sein Gesicht verzog sich und er enthüllte mir eine Verletzlichkeit, die ich bei ihm noch nie so gesehen hatte, »I-Ich war so erleichtert, dass ich das alles nicht alleine machen muss. Dass-«

Er brach ab, fuhr sich seufzend über den Kiefer.

»Aber das ist schon lange her. Das erste Jahr schien alles sogar wirklich gut zulaufen. Wir waren eine kleine Familie. Und ich wusste, dass das alles war, was ich jemals wollte.« Er sah zum Horizont, doch es war zu spät. Ich hatte es bereits gesehen. Die Veränderung in seinen Zügen: »Und dann war sie weg. Eines Morgens waren alle ihre Sachen einfach weg - spurlos verschwunden, genauso wie sie.«, seine Worte klangen nicht verbittert, eher erschöpft.

»Darcy hatte am Abend zuvor starkes Fieber, weswegen ich erst dachte, sie wäre in der Apotheke. Ein paar Stunden später, rief sich mich aus einem Flieger an. Meinte, sie könne das alles nicht und das es ihr leid täte.« Percy schnaubte, als wäre es lustig. »Sie hat mir bis Heute nicht gesagt, wo sie damals hingeflogen ist. Das nächste Mal sah ich sie zwei Jahre später - meinte sie wäre nun bereit. 4 Monate später hatte ich eine ähnliche Nachricht auf der Mailbox. So lief das ein paar Mal.« Mein Kiefer verspannte, unsicher ob es angebracht war, solche Emotionen über eine fremde Person zu fühlen, wegen einer Geschichte, die nicht mal meine war. »Aber noch bevor Darcy 7 wurde, hatte ich genug davon. Ich hab sie vor die Wahl gestellt.« Schuld verzog seine Züge. »Entweder sie bleibt für immer, oder ... oder sie verschwindet für immer.«

Er lehnte sich zurück, wich meinem Blick aus. Die Antwort die sie gefällt hatte, war klar. »Manchmal verfluche ich mich für dieses beschissene Ultimatum, ich meine-«, er brach ab, unfähig es auszusprechen. Er dachte, dass wenn er Milena nicht dazu aufgefordert hätte, eine drastische Entscheidung zu treffen, wäre sie vielleicht noch Teil vom Leben ihrer Tochter. Dinge wären vielleicht anders

Aber ... Dinge wären vielleicht schlimmer.

Percy kniff sich in seine Nasenbrücke, »Shit, ich weiß nicht mal warum ich dir diese ganze Scheiße erzähle. Ich meine-« Ich legte meine Hand auf seine Schulter und er erstarrte. Mit aller Zuversicht, hielt ich seinen Blick. Ich wollte das er verstand. »Du hast sie beschützt, Percival.«

Um Himmels willen! Ich hatte in meinem Leben mehr „Eltern" gehabt als wohl die meisten Menschen. Aber wenn nur einer von ihnen sich um mich gekümmert hätte, wie Percy es bei Darcy tat - mich beschützt, sich um mich gesorgt, mich geliebt hätte – wie  gottverlassene Eltern es nunmal tun sollten! – dann würde das Wort Zuhause vielleicht mehr Bedeutung für mich mit sich bringen, als eine verdammt kleine 1-Zimmerwohnung. Dann wäre der Begriff Heimat nicht ganz so fremd.

»Ich weiß nicht, ob dir das schonmal jemand gesagt hat, aber du bist ein beschissen guter Vater.«, zischte ich. Percy blinzelte in die Nacht, schien nach Worten zu ringen. Er warf frustriert die Hände in die Luft: »Ich bin ein komplettes inkompetentes Durcheinander, Sam.  Chaos, nichts weiter.«, brummte er und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. »Ich meine, sie hat es mir nicht gesagt, weil sie dachte, ich könnte damit nicht umgehen!«, er stöhnte frustriert auf. »Gott, sie sollte sich auf mich verlassen können, nicht das Gefühl haben, als müsste sie auf mich aufpassen!« Er fuhr hoch, wirbelte zu mir herum, so dass unsere Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander getrennt waren. »Ich bin der Elternteil von uns beiden, nicht andersherum, um Himmels willen!«, rief er und endlich erkannte ich das, was sich in dem Grau seiner Augen mit der blanken Verzweiflung mischte. Angst.

Selbst nach all den Jahren trug er immer noch die Angst eines Teenagers in sich, der viel zu schnell erwachsen werden musste.

Ich hob meine Hand ohne darüber nachzudenken und strich ihm eine seiner Strähne aus der Stirn hinter seine Ohren. Percy's Atem stockte, doch auch darüber blieb ich ahnungslos. Meine Gedanken schwirrten lediglich um seine Worte. Wusste er denn nicht, wie verdammt großartig er das alles machte? Wusste er denn nicht, dass er der erste Mensch war den ich voll und ganz bewunderte? Und nicht wegen seiner Arbeit oder seiner Position - einfach weil er so war wie er war.

Mir war zuvor nie bewusst geworden, dass Menschen wie Percival Moreau wirklich existieren konnten. Das sie nicht nur Teil von Fiktion waren, nicht nur in Literatur, Kunst, Imaginärem bestehen konnten. Das die Welt nicht alles Licht verschluckte. Und so länger ich über Percy nachdachte, um so mehr kam mir der Gedanke, dass es vielleicht noch mehr Dinge gab, von denen ich dachte, dass sie Menschen wie mir für immer verwehrt bleiben würden. Emotionen, dessen Privileg ich mir nie gestattet hatte. Verlangen, die ich mir niemals erlauben würde.

So wie jemanden zu küssen. Mein Blick huschte zu seinen Lippen und die Nacht schien auf einmal zu verschwimmen. Wie schnell man doch vergaß, was man nicht sollte, wenn die Versuchung so aussah wie ein komplett inkompetentes Durcheinander.

Meine Finger ließen die Strähne los und fuhren seine Wange entlang. Diesmal sah ich seine Reaktion. Diesmal gab es keine Dunkelheit, die mir das kaum merkliche Weiten seiner Augen verwehrte, oder der stockende Atem der über seine Lippen kam. Ich sollte das nicht tun. Wirklich nicht. Wir hatten uns darauf geeinigt.

»Sam?«, hauchte er so leise, dass es auch der Wind sein könnte. Doch der war es nicht. Es war Percy. Mein Boss. Mein Freund. Darcy's Vater. Ich erhob mich sprunghaft von meinem Sruhl und es war das zweite Mal an diesem Abend, dass mich ein Deja-vu überkam.

Was tat ich hier eigentlich?

Ich sollte verschwinden. Ich hätte gar nicht hier sein sollen. Nicht in ihrer Wohnung. Nicht auf diesem Balkon. Nicht an Percy's Seite. Zögerlich sah ich zu ihm hinab. »Ich ... Ich sollte jetzt gehen.«

Percy starrte zu mir auf, sagte kein Wort. 3 Sekunden wartete ich auf eine Antwort. Auf irgendwas. Auf ein ‚Gute Nacht' oder ein-
»Bleib.« Gerade als ich mich umdrehte zu gehen, als die Sekunden verstrichen waren, legte sich kühle Finger um mein Handgelenk, hielten mich fest. Geschockt sah ich über meine Schulter zu ihm zurück. Percy hatte sich erhoben, doch sein Blick lag auf unseren Händen, dort, wo seine Finger meine Flucht verhinderten.

Hatte ich mich verhört?

»Bleib.«, wiederholte er, als würde er selbst es nochmal hören müssen.

»Nur wenn du möchtest, natürlich.« Sein Blick flackerte zu mir auf und nun war es mein Atem der stockte.

»I-Ich... Ich will das du bleibst.«

Not your Secretary! [BxB]Where stories live. Discover now