35| Es wird nie einfacher

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Eine Stille trat wieder zwischen uns, in der wir beide einfach nur in der Gegenwart des anderen saßen. Vorsichtig späte ich zu ihm hinüber, »Du hättest es mir sagen können.« Seine Geschichte. Seinen Ruf damals. Sam atmete tief durch, »Das sind nicht gerade Gespräche, die man mit seinem Boss führt.« Ich zuckte mit den Schultern, »Ich dachte, wir hätten bereits etabliert, dass ich einer deiner -laut Nadine- wenigen Freunde bin?« Der finstere Blick, den er mir hinüber schoss, war wie eine Belohnung, »Nun, ich kann mich daran erinnern, dass du mir nicht vor allzu langer Zeit gegen den Kopf geworfen hast, ich sei-« Ich fuhr mir stöhnend über die Stirn, »Das wirst du mir nun ewig vor halten, nicht wahr?« Ich sah wie er es versuchte zu verstecken, aber ich sah das Grinsen dennoch, als er vom Tisch sprang um mir zu entkommen. »Natürlich, Sir

Grinsend sah ich ihm hinter her. »Nun komm schon! Wenn du schon meine Privatsphäre nicht respektierst, kannst du uns wenigstens ein wenig helfen!« Kopfschüttelnd sprang ich ebenfalls von der Platte und folgte Sam.

•••

»Danke sehr, junger Mann!«, meinte eine ältere Dame, als ich ihr eine der Lunchpakete aus der Box reichte, die mir Sam vor ein paar Minuten in die Hand gedrückt hatte. Wenn ich eins an dem heutigen Tag gelernt habe, dann das man nur eine Kiste mit kostenlosen Essen mit sich herum tragen musste, und schon war man beliebter, als ein Cheerleader in einem 90er Coming of Age Film. Nickend ging ich weiter.

Immer wieder huschte mein Blick zwei Ränge weiter. Genauer gesagt zu dem Tisch, an dem Sam nun schon seit mehreren Minuten mit seinem Karton stecken geblieben war. Er schien tief im Gespräch mit einer Familie zu sein, doch das war nicht der Grund, warum ich nicht anders konnte, als immer wieder hinüber zu blicken. Sam strahlte. Er lächelte, so dass es sein gesamtes Gesicht veränderte. Gerade als ich in den nächsten Gang wechseln wollte, blieb ich stehen.

An meinem letzten Tisch saß ein junger Mann, der kaum älter sein konnte als 20. In seinen Armen ein kleines Baby. Die Wangen zerknautscht, weinte es so bitterlich, dass es selbst die regen Gespräche in der Halle durchschnitt. Mit diesem Gefühl nur all zu vertraut, legte ich ein weiteres Paket vor den Jungen, »Lass mich raten? Die Zähne kommen?« Mit einer Mischung aus Überraschung und Erschöpfung, sah er zu mir auf, versuchte das Kind mit ruhigen Bewegungen in den Schlaf zu lullen. »Ja, seit ein paar Wochen. Er scheint kaum noch zu schlafen.« Ich nickte verstehend und sah zu dem kleinen Baby hinab.

»Ja, dass kenn ich noch gut. Bei meiner Tochter hatte ich das Gefühl, dass sie sich nie wieder beruhigen würde.« Seine Augen weiteten sich, »Hat den irgendwas geholfen? Ich hab' das Gefühl ich hab schon alles versucht.« Ich stellte den Karton auf den Tisch ab, erinnerte mich zurück. »Kühlen hat geholfen. Und viel Geduld.« Der Junge sah verzweifelt wieder hinab zu dem Baby in seinen Armen. »Keine Sorge«, meinte ich und lächelte schwach, »Sie kriegen das hin.« Er schien davon nicht wirklich überzeugt zu sein. Skeptisch sah er wieder zu mir auf, »Meinen Sie wirklich?«

»Absolut.«, bestätigte ich. »Wie alt, waren Sie als sie Vater wurden?« Der Junge strich schuschend über die Wange des Neugeborenen, seine Stimme noch nicht die ganz eines Mannes, »17.« Ich nickte verstehend, »17, also. Ich war 18.« Sein Kopf schnellte zu mir, seine Augen waren geweitet, als würde er mich in einem ganz neuen Licht sehen. Ich war ein Gleichgesinnter. Verbunden durch ein ähnliches Schicksal. Sein Gesicht verzerrte sich: »Wird es jemals einfacher? Ich habe das Gefühl, als würde ich alles falsch machen.« Ich schnaubte lachend.

»Oh, das Gefühl wird nie ganz vergehen. Glauben Sie mir.« Das waren nicht gerade die Worte, die er hören wollte. Aber es war die Wahrheit. Schmunzelnd setzte ich mich ihm und seinem Sohn gegenüber. »Aber das gehört zum Eltern sein dazu. Ich kann Ihnen nichts vor machen, es wird nicht gerade einfach.« Absolut nicht. »Aber....«

Als ich damals erfuhr, dass ich Vater werden würde, dachte ich mein Leben wäre vorbei. Ich war selbst noch ein Kind, das nicht mal für sich selbst Verantwortung übernehmen konnte. Wie zur Hölle, sollte ich mich dann auch noch um ein kleines Lebewesen kümmern? Ich hatte schreckliche Angst gehabt.

Doch als ich sie zum ersten Mal im Arm hielt, schien alles so klar. Ich wusste ab dem ersten Moment, dass ich alles für meine Tochter tun würde.

Ich dachte an all die Male, in denen ich mein Bestes getan habe, und dennoch das Gefühl hatte, auf ganzer Ebene versagt zu haben. In denen ich an jeder meiner Entscheidung gezweifelt hatte. Ich dachte an Darcy. An all die Dinge, die wir zusammen erlebt hatten. An all das gute und das schwere. An mein Mädchen.

Aufmunternd lächelte ich dem jungen Mann zu.

»Ich würde es für nichts in der Welt tauschen wollen.«

Not your Secretary! [BxB]Where stories live. Discover now