Kapitel 62

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Ob es wohl möglich war sich selbst zu verlieren? 

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Ob es wohl möglich war sich selbst zu verlieren? 

Gefangen in seinem eigenen Körper und doch nicht präsent genug um ihn selbst zu steuern? 

Ich wusste es nicht, wollte es nicht wissen. Grundlose Fragen wie diese zerrten an meinem letzten Griff von Verstand. Meine einst klare Sicht auf die Realität war nun getrübt, wie ein Schleier von Tränen. Wie tröstend es doch wäre sich der Versuchung hinzugeben und loszulassen von der Öde die einen umschlamg wie die eisige Umarmung eines längst Verstorbenen. Ich begriff jedoch zu widerstehen und so knotete ich jeden Tag ein weiteren Knoten in den Faden eines seltenen Rotes, den ich am ersten Tag an meinem Körper entdeckt hatte. Vierundzwanzig waren es nun an der Zahl. Wie viele es wohl sein mussten wenn man meine verbrachte Zeit eine Ewigkeit nannte?

Ich wusste keinen Namen der anderen Frauen zu nennen, erkannte niemanden aus meiner Zeit im Zentrum. Wir sprachen nicht besonders oft, manchmal, wenn ich wieder gewissenhaft einen Knoten an die anderen reite, strich mir meine Bettnachbarin, eine krause alte Frau, die niemals durchschlief, tröstend über die Hand. Wann immer sie das tat zog ich aufmunternd die Mundwinkel ein Stück in die Höhe und legte meine Hand auf ihre. Bevor ich sie jedoch jemals nach ihrem Namen, geschweige denn ihrer Geschichte hätte fragen können, zog sie die Hand wieder zurück und setzte sich weit weg von mir ans Ende ihres eigenen Bettes. 

Vor acht Tagen hatte es angefangen zu schneien. Wann immer die Wächter nicht hinsahen, stahl ich mich für einen Moment davon und malte in die dünne Schneeschicht auf dem Boden des Hauptplatzes. Meistens waren es Blumen, die ich dort zeichnete. Fragile, schlanke Blumen, die mich an Yuna erinnerten und Blumen mit großen, pompösen Blüten, die Aria ähnlich waren. Herzen erinnerten mich an Roxana und Sterne, die Anouk so gerne hatte. Einige seltene Male schrieb ich den Namen meiner Eltern in den Schnee und formte einen kleinen Schneeball, der mich in Erinnerung zurücktrug an frostige Wintertage mit meinem kleinen Bruder.

Sobald ich dann zu den anderen zurück schlich, beobachtete ich wie meine Hände eine zarte rosige Farbe annahmen. So auch heute. Doch etwas unterschied heute, von den letzten Malen. Vielleicht war es die Unruhe der Wächter oder der aufziehende Schneesturm oder vielleicht war es auch nur mein Verstand der mich im Stich ließ, aber aus welchem Grund auch immer kehrte heute etwas Leben in meinen müden Geist zurück. Ich konnte kaum warten zu sehen, woher ich es schöpfte.

Diesen Nachmittag zog ein Schneesturm auf wie ich ihn noch nie erlebt hatte, nicht in Zariobien, nicht in der Republik. Da unsere Arbeit heute unmöglich zu verrichten war, zumindest wenn wir in den dünnen Einheitshemden überleben sollten, durften wir heute in unserer Schlafkammer verbleiben. Ich fand es merkwürdig wie unruhig die Menschen um mich herum wurden, wenn es doch unmöglich schien etwas anderes als Ruhe und Trost zu empfinden, wenn man nach draußen blickte und die tausenden glitzernden Schneeflocken Richtung Erde tanzen sah. 

Marianne summte ein Lied, es war ein Wiegenlied, dass ich aus meiner Kindheit kannte. Ich setzte mich zu ihr. Sie war die Einzige Frau, die sich mir vorgestellt hatte. Ich schloss die Augen und lauschte ihrer Melodie. Etwas regte sich in mir als ich mit einstimmte, etwas das ich lange vermisst hatte. Hoffnung. 

Irgendwie würde alles wieder gut werden, das hatte ich im Gefühl.

Irgendwie würde alles wieder gut werden, das hatte ich im Gefühl

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~560 Wörter

SilbergrauWhere stories live. Discover now