Kapitel 14.4

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~Cleo


Es läuft vieles falsch in dieser Welt. Eine Aussage, die man auf etliche Arten deuten könnte. Aber ich hatte nun erfahren, was ich wissen wollte. Rune hatte sehr wohl eine eigene Sichtweise auf die Dinge. Nachdenklich betrachtete ich ihn von der Seite. ,,Was würdest du tun?", hakte ich nach.

Rune hob einen vertrocknet Ast vom Boden auf und fuhr mit der Hand darüber. Augenblicklich kringelten sich neue, hellgrün Triebe um das ehemals tote Holz. Er starrte den Stock an. ,,Der dreizehnte Gott muss aus dem Weg geschafft werden." Er hob den Blick und sah mich aus seinen bernsteinfarbenen Augen an. ,,Über alles andere muss man sprechen. Aber das...", er ließ den Ast auf den Boden fallen, ,,ist nicht meine Aufgabe."

Natürlich nicht. Beim Reden sollte immerhin im Idealfall niemand sterben. Prüfend musterte ich ihn, er wich meinem Blick nicht aus. ,,Ist das hier deine Aufgabe?"

Er wusste, was ich mit das hier meinte. Das Training, mir meine Fähigkeiten auf eine völlig andere Art näher zu bringen, mit mir zu reden. Er schüttelte langsam den Kopf. ,,Viele Menschen wissen nicht zu wertschätzen, was ihnen selbstverständlich erscheint, Tochter von Tyche." Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging.

Ungläubig starrte ich dem Wikinger hinterher. Was bei allen Göttern sollte das nun wieder heißen? Und war er eben schon wieder einfach so gegangen? Ich seufzte und starrte den wiederbelebten Ast an, der vor mir auf dem Boden lag.

Der dreizehnte Gott muss aus dem Weg geschafft werden. Recht hatte er. Der Rat, das System und die Regeln bräuchten definitiv ein Update, aber der Krieg gegen die Götter ging zu weit. Und was die Vasanisten betraf... Ich wusste nicht, ob ich das könnte. Mit diesen Wesen zusammen leben, nach allem, was passiert war. Aber darüber konnte ich mir noch Gedanken machen, wenn wir Seth aus dem Verkehr gezogen hatten. Ein kalter Schauer fuhr mir über den Rücken.

Langsam erhob ich mich und machte mich auf den Rückweg. Irgendwie fiel es mir schwer, mit Runes plötzlichem Verschwinden umzugehen. War er sauer? Wurden ihm die Konversationen einfach nur zu viel? Oder wollte er schlicht einen mysteriösen Abgang hinlegen? Ich konnte den Kerl überhaupt nicht einschätzen, aber ich würde sehen, ob er morgen trotzdem zum Training erscheinen würde.

Ich war gerade dabei, einen Weg einzuschlagen, der mich zurück zum Zentrum des Campus brachte, als sich plötzlich die feinen Härchen an meinen Armen aufstellten. Ich spürte Macht- pure Energie, die mir knisternd über die Haut fuhr und mir einen Schauer über den Rücken jagte. Mein Puls erhöhte sein Tempo. Was zur Hölle? War das Seth? Ich ballte die Hände zu Fäusten, wirbelte herum und...- blickte direkt in meine Augen. Was bei allen Göttern? War das...? Ich wich zurück und starrte in Gesichtszüge, die mir viel zu bekannt vorkamen. Sie waren eleganter, schöner als meine. Aber dennoch...

Die Göttin machte Anstalten, einen Schritt näher zu treten, hielt dann aber inne. ,,Cleophea", sagte sie mit melodischer, weicher Stimme. Der Wind wehte ihr kupferfarbenes Haar zurück und zerrte an ihren schillernden Gewändern.

,,T-Tyche", stammelte ich. In meinem Kopf drehte sich alles. Vor mir stand Tyche. Göttin des Schicksals. Meine Mutter. Aber warum war sie hier und warum ausgerechnet jetzt, in diesem Moment?

,,Hör zu." Nun trat sie doch vorsichtig einen Schritt näher, wahrte aber einen gewissen Abstand. Sie sah aus, als wäre sie kaum ein paar Jahre älter als ich, aber verdammt, sie war meine Mutter. Sie... sie hätte schon vor so langer Zeit hier stehen sollen.

Die Göttin strich ihr Gewand glatt. ,,Wir haben nicht viel Zeit. Es ist uns untersagt, unsere Kinder zu besuchen, wenn es keinen triftigen Grund dafür gibt. Es... es tut mir leid, dass ich nicht früher erscheinen konnte." Sie streckte den Arm nach mir aus, ließ ihn aber direkt wieder sinken. Ich räusperte mich, bis ich mir sicher war, dass meine Stimme eine vernünftige Tonlage angenommen hatte. ,,Und jetzt gibt es einen triftigen Grund?", piepste ich.

Die Göttin nickte langsam. ,,Jedenfalls genug, um hier zu erscheinen." Ein besorgter Ausdruck huschte über ihr Gesicht. ,,Cleophea... Ich weiß, dass Seth dir wichtig ist." Meine Schultern verkrampften sich, aber ich sagte nichts.

Die Göttin zog eine Grimasse. ,,Ich hab zwar keine Ahnung, warum du diesen Idiot so magst, aber ich weiß, dass es so ist. Rune trainiert mit dir deine Fähigkeiten. Das ist gut. Du wirst stärker." Sie neigte den Kopf zur Seite. ,,Aber Seth muss aufgehalten werden. Um jeden Preis."

Mir fuhr ein eiskalter Schauer über den Rücken. ,,Ich habe bereits gesagt, dass ich für das Internat kämpfe."

Als sie mich ansah, fühlte es sich an, als könnte sie mir direkt in die Seele sehen. ,,Du willst nicht, dass Hades' Sohn etwas geschieht."

Ich krampfte die Hände zusammen. Bei den Göttern. Das wollte ich wirklich nicht. Nach allem was er getan hatte, wollte ich noch immer nicht, dass ihm etwas geschah. ,,Ich weiß, was zu tun ist", antwortete ich nur.

Sie musterte mich gründlich, was mich dazu brachte, angespannt die Wirbelsäule durchzudrücken. ,,Ich sehe doch, dass du hin und hergerissen bist." Sie legte mir eine Hand auf die Schulter und augenblicklich durchflutete mich Wärme und mir fuhr ein wohliger Schauer über den Rücken. Lag es an der mütterlichen Geste oder ihrer Göttlichkeit? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich in diesem Moment, in dem ich das erste Mal in meine Leben mit meiner Mutter sprach, nicht über Seth reden wollte. Es gab so viele Dinge, die ich wissen wollte, über die wir sprechen sollten- aber nicht über Seth. Ich holte tief Luft. ,,Ich weiß, dass er aufgehalten werden muss und wenn meine Hilfe dabei benötigt wird, werde ich das tun. Aber ich unterstütze nicht, ihn zu töten. Das... das kann ich nicht." Ich schluckte mehrmals hintereinander, um den Kloß in meinem Hals loszuwerden. ,,Warum ist das so wichtig?"

Tyche drückte kurz meine Schulter und ließ dann die Hand sinken. ,,Du bist meine Tochter, Cleophea, und das Schicksal ist auch auf dem Olymp ein mächtiges Instrument. Die Götter werden sich erst beruhigen, wenn sie wissen, dass das Schicksal auf ihrer Seite steht."

Etwas derartiges hatte Rune mir ebenfalls erzählt- dass es eine Rolle spielen würde, welche Seite ich wählte. Aber dass es die Götter nervös machte, wenn ich mich nicht bedingungslos mit reinem Herzen auf die Seite der Internate stellte, das hatte ich nicht gewusst. Mir stellten sich die Nackenhaare auf. Es kam mir vor, als würde man mich zu einer Entscheidung zwingen, die ich eigentlich schon längst getroffen hatte. Aber in einer Form, in der ich mir auch die allerletzte Hintertür verbaute. Ich bog die Wirbelsäule durch und sah Tyche in die Augen. ,,Ich verspreche, dass ich tun werde, was nötig ist, um Seth aufzuhalten. Ich habe zwar keine Ahnung, wie hilfreich ich da bin, aber ich werde es tun." Ich zwang mich dazu, den Blick nicht abzuwenden. ,,Aber ich helfe nicht dabei, ihn zu töten.

Sie nickte langsam. ,,Gut."

Gut. Das klang irgendwie kühl. Berechnend. Als wäre sie bloß irgendeine Göttin, die etwas von mir wollte. Ich holte tief Luft. ,,Warum bist du nie da gewesen?", platzte es aus mir heraus. ,,Ich weiß, ihr dürft uns nicht besuchen, aber ich habe erst vor nicht einmal einem Jahr erfahren, dass meine Mutter eine Göttin ist. Ist das nicht falsch?"

Tyche erwiderte meinen Blick. Bedauern lag in ihren Gesichtszügen, als sie kaum merklich den Kopf schüttelte. ,,Wenn ich eine Wahl gehabt hätte, hätte ich anders gehandelt, Cleophea." Sie seufzte. ,,Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit gehabt." Und dann begann sie plötzlich zu verblassen. Ungläubig sah ich dabei zu, wie ihr Körper durchsichtig wurde. Sie legte eine Hand auf meine Schulter und drückte sie kurz. ,,Du wirst deinen Weg finden. Pass auf dich auf, Cleophea. Du hast in den vergangenen Monaten vieles geleistet und ich bin stolz auf dich."

Dann spürte ich die Berührung von einer Sekunde auf die andere nicht mehr und die Göttin war verschwunden.

Nummer 13 - Todessohn IITempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang