Kapitel 7.5

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~Cleo


Eine halbe Stunde später ging ich schließlich mit Seth über den Campus. Er trug ein schwarzes T-Shirt, schwarze Jeans und sogar halbwegs saubere Stiefel. Die Haare hingen ihm nass, aber immerhin gewaschen ins Gesicht und an seinem Hals glänzte Matts Kette. Er sah zumindest besser aus, als ich ihn angetroffen hatte. Auch während wir über den Campus liefen, lag ein unangenehmes Schweigen zwischen uns. Die Sonne warf noch immer ihr sanftes Licht auf die Erde und ließ die kalten Temperaturen etwas milder wirken. Weiter vorne auf dem Weg erblickte ich zwei Menschen, die von hinten sehr verdächtig nach Dawson und Esme aussahen. Als hätte sie Augen im Hinterkopf, blieb Esme stehen, drehte sich um und winkte uns zu. Dawson drehte sich ebenfalls um. Sie beide trugen schwarz und Esme, das erste Mal seit ich sie kennengelernt hatte, Jeans und T-Shirt. Mir war die letzten Tage aufgefallen, dass die Beiden verdächtig oft miteinander herumhingen und ich fand es -offen gesagt- ziemlich merkwürdig. Was zur Hölle wollte eine so coole Person wie Esme von Dawson? Sie kamen vor uns zum Stehen. Während ich lächelte, starrte Seth teilnahmslos auf den Boden.

,,Hi", sagte ich.

,,Hi", erwiderten beide. Dawson trat einen Schritt zur Seite und musterte Seth, der immer noch angestrengt auf den Boden sah. ,,Hadessohn", gurrte er, ,,du hast dir doch nicht etwa tatsächlich die Haare gewaschen?"

Das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit regte sich etwas an Seths Gesichtszügen. Er kniff die Augen zusammen und sah Dawson grimmig an. Dann schüttelte er so schwungvoll den Kopf, dass Dawson eine Ladung Wassertropfen ins Gesicht klatschte und ging unbeeindruckt weiter. Möglicherweise hatte ich es mir nur eingebildet, aber ich meinte, den Hauch eines Grinsens in seinem Gesicht gesehen zu haben.

,,Bilde ich mir das nur ein", sagte Dawson und fuhr sich stirnrunzelnd mit einer Hand über das Gesicht, ,,oder hat er gerade kurz wie jener Seth, den wir kennen und lieben, agiert?"

,,Das hat er." Esme zupfte umständlich an ihrem T-Shirt herum, als wüsste sie nicht, was sie damit sollte. ,,Cleo hat ihn repariert."

Ich runzelte die Stirn. ,,Eigentlich habe ich ihn nur unter die Dusche und aus dem Zimmer gescheucht."

,,Er ist hier", erwiderte sie schulterzuckend. ,,Ich hatte nicht damit gerechnet." Da kannte sie ihn wohl besser als ich, denn ich hätte nie im Leben gedacht, dass er sich vor der Trauerfeier drücken würde. ,,Naja", murmelte ich, während wir uns wieder in Bewegung setzten, ,,ich musste ihm gut zureden."

Wir schwiegen, als wir den Ausgang des Internats passierten und tiefer in den Wald gingen. Weiter vorne lief Seth, aber er drehte sich nicht zu uns um und er war zu weit entfernt, als dass man ihn einholen könnte, ohne einen Sprint hinlegen zu müssen. Er wollte wohl allein sein.

Auf der Lichtung, auf der die Trauerfeier stattfand, waren bereits einige Leute versammelt. In der Mitte lagen, aufgetürmt auf einem Scheiterhaufen, in Leinentücher gehüllte Körper. Mir fuhr ein Schauer über den Rücken und ich blickte schnell zur Seite. In der Menge entdeckte ich Rev und Chris und ich stellte mich zu ihnen. Ich nickte ihnen zu, sie nickten zurück- die Stimmung war betrübt. Nicht einmal Rev sagte etwas. Ich starrte angestrengt auf den Boden, während sich eine Gänsehaut an meinem gesamten Körper ausbreitete. Seth hatte Recht. Der Gedanke, dass es Matt war, den sie gleich verbrennen würden, schmerzte unglaublich. Warme, knisternde Energie strich mir über die Haut und als ich irritiert aufsah, sah ich, dass Seth sich neben mich gestellt hatte. Es wunderte mich, dass er sich nicht zu Esme gestellt hatte, aber das lag womöglich an Dawson. Oder daran, dass Esme ebenfalls Tränen in den Augen standen. Er hielt den Kopf gesenkt, so dass seine Haare den Großteil seines Gesichts verbargen, aber er war hier. Und ich war mir sicher, dass es das Beste für ihn war.

Die Trauerfeier begann mit sanfter Harfenmusik. Die Sonne warf ihre Lichtstrahlen durch die Baumkronen und tauchte die Lichtung in ein warmes Licht. Mir war dennoch kalt. Ein Schauer nach dem anderen fuhr mir über den Rücken und mein Sichtfeld verschwamm, aber ich wollte nicht weinen. Ich wollte stark sein, für Seth, der noch immer teilnahmslos neben mir stand. Ich würde ihm nicht helfen, wenn ich losflennte.

Estelle stand neben dem Scheiterhaufen und las die Namen der Verstorbenen vor. Bei den meisten Namen löste sich jemand aus der Menge, ging nach vorne und legte eine Münze auf die jeweilige Person. Die Bezahlung für den Fährmann. Da die meisten Leute hier keine Angehörigen hatten, ging ich davon aus, dass es sich womöglich um den engsten Freund oder einen Partner handelte. Eine schöne Geste, eigentlich. ,,... Leah Clarke. Ben Campbell. Matthew Pierce..." Bei Erwähnung von Matts Namen zuckte Seth zusammen. Er hob den Kopf und starrte auf den Scheiterhaufen. Kurz zögerte er, dann aber setzte er langsam einen Fuß vor den anderen und ging nach vorne. Er nahm eine Münze und ging suchend um den Scheiterhaufen herum, bis er die Münze behutsam auf einen Körper legte. Kurz verharrte er dort, dann entfernte er sich langsam und stellte sich wieder neben mich. Sein Gesicht war ausdruckslos, aber ich sah, wie seine Hände zitterten.

Estelle las die letzten Namen vor. Als sie damit fertig war, nahm sie eine brennende Fackel in die Hand und stellte sich vor den Scheiterhaufen. ,,Wir übergeben Hades, dem mächtigen Gott der Unterwelt, die Seelen jener, die im Kampf für uns gefallen sind. Möge der Totengott sie empfangen." Sie zündete den Scheiterhaufen an. Seth ballte die Hände zu Fäusten. Sein Gesicht war nicht länger ausdruckslos, er kniff die Augen zusammen. Wut und Hass spiegelte sich in seinen Gesichtszügen wieder, für den Bruchteil einer Sekunde sprühten rote Funken aus seinen Fäusten hervor. Er murmelte etwas in einer Sprache, die ich nicht verstand, dann wandte er sich ab und ging. Chris neben mir räusperte sich. ,,Ελπίζω να πνιγείς από αυτό, πατέρα- ich war noch nie gut in griechisch, aber das heißt wohl so viel wie 'Ich hoffe, du erstickst daran, Vater.' "

Ach, wie... nett. Mein Blick wanderte zu dem brennenden Scheiterhaufen, den Flammen, die sich durch Holz und Leinentücher fraßen und immer größer wurden. Mir stellten sich die Nackenhaare auf und ich wandte mich ebenfalls langsam ab.

,,Auf Widersehen, Matt", flüsterte ich, ehe ich ging und die brennenden Körper hinter mir ließ.

Nummer 13 - Todessohn IIWhere stories live. Discover now