Kapitel 2.5

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~Seth

Bevor sich der Rebell wieder aufrichten konnte, war ich bereits bei ihm angekommen und stellte meinen Stiefel auf seinen Oberkörper. Neben ihm lag die Tüte Bio-Apfelchips. Interessant. Ich hätte irgendwie nicht gedacht, dass Rebellen wert auf ökologische Ernährung legten.

,,Bio-Apfelchips? Habe ich euch bislang völlig falsch eingeschätzt und ihr seid doch eine Truppe von Umweltschützern und Veganern?"

Der Rebell brummte etwas Unverständliches. Ich nahm meinen Stiefel von seinem Oberkörper und zerrte ihn am Hals auf die Beine. Er musterte mich gründlich. Sein Blick glitt von meinen Stiefelspitzen bis zu meinem Kopf und dann wieder zurück. ,,Du bist Seth", stellte er schließlich fest. ,,Derjenige, der unseren Anführer getötet hat."
Mutierte ich jetzt zu einer Art Promi unter Rebellen? Wie schmeichelhaft.
,,Richtig", erwiderte ich aufgesetzt lächelnd, ,,und ich schicke dich gleich hinterher. Wie hättest du's gerne? Kehle aufschlitzen? Genickbruch? Ersticken?" Und da war er wieder, Psycho-Seth. Kehle aufschlitzen könnte sich allerdings aus Mangel an Dolchen als schwierig herausstellen. Also doch eher auf die altmodische Art.
,,Warte!" Der Rebell versuchte, sich aus meinem Griff zu winden, aber ich hielt ihn fest. Ich zog eine Augenbraue hoch. ,,Was? Willst du mir Bio-Apfelchips für dein Leben bieten?" Angesichts meines protestierenden Magens würde ich möglicherweise sogar zustimmen.
Der Dunkelhaarige machte Anstalten, den Kopf zu schütteln, scheiterte aber, da ich ihn noch immer am Hals festhielt. ,,Wie lange glaubst du, geht das so noch weiter, Seth?"

Meine Finger verkrampften sich, gruben sich fester in die Haut des Rebellen. Verdammt. Ich hatte die Befürchtung, dass ich wusste, worauf er anspielte. Der Dunkelhaarige zuckte zusammen, ließ sich aber nicht beirren. ,,Ich weiß, was du bist. Glaubst du, dein Internat, euer Rat lassen etwas wie dich noch lange frei herumlaufen?"
Ruckartig zerrte ich ihn hoch, bis er keinen Boden mehr unter den Füßen hatte. Rotschwarzes Feuer flammte um meine freie Hand herum auf und kam dem Rebellen gefährlich nahe.
,,Was bin ich?", wollte ich fauchen, aber dazu kam ich nicht mehr. Meine Hand, die den Hals des Rebellen umklammert hielt, wurde plötzlich warm, regelrecht heiß. Ein Strom fuhr durch mich hindurch, Macht und knisternde Energie flossen durch meine Adern und ich hatte das Gefühl, das erste Mal seit Tagen wieder richtig atmen zu können. Was auch immer hier gerade geschah, es schien mich wieder aufzuladen, mir sämtliche Lebensenergie und Kontrolle zurückzugeben, die ich in den letzten Tagen verloren hatte.
Aber es war falsch. Fühlte sich so richtig, so gut und zugleich trotzdem so falsch an. Meine Hand schien ein Eigenleben zu entwickeln und weigerte sich, den Rebell, diese verlockende Energiequelle loszulassen, aber schließlich löste ich langsam, jeden Finger einzeln von seinem Hals und er fiel zu Boden. Die Verbindung brach ab, dieses seltsam berauschende Gefühl war verschwunden. Aber ich fühlte mich trotzdem wieder... normal. Wie ich selbst. Ohne Zombie-Mutation und ohne Heißhunger auf irgendetwas, das ich nicht kannte.
Ich trat einen Schritt zurück. ,,Was zur Hölle", brachte ich schließlich hervor. Der Rebell richtete sich mühsam wieder auf, sah aber eigenartig zufrieden aus. Ungläubig starrte ich meine mittlerweile nicht mehr ganz so krankhaft bleichen Händen an. Was hatte ich getan? Was war hier gerade geschehen?

,,Ich wäre tot gewesen." Mühsam hob der Dunkelhaarige den Kopf und sah mich an. ,,Der Rat hat mich zum Tode verurteilt, weil ein menschlicher Freund mitbekommen hat, wie ich das Element verwendet habe. Am Abend vorher ist Leandros aufgetaucht und hat mich befreit. Seit diesem Tag gehöre ich der Rebellion an."

Warum erzählte er mir das? Und warum zur Hölle schien es ihn nicht zu interessieren, dass ich gerade... was auch immer getan hatte? Aber irgendwie... irgendwie glaubte ich ihm. Ich wusste, wozu der Rat fähig war. Ich hatte oft genug gesehen, wie Leuten Vasanistenblut gespritzt worden war, um ihre göttlichen Zellen zu neutralisieren. Und ich konnte mich an ihre Schreie erinnern. Manchmal, in schwachen Momenten, sah ich mich an ihrer Stelle.
Ich ließ die Hände sinken. ,,Was habe ich getan?"
Der Rebell räusperte sich, lag aber nach wie vor auf dem Boden. Aus irgendeinem Grund musste ich mich zusammenreißen, ihm nicht aufzuhelfen. Mein Hirn schien mittlerweile eindeutig frittiert worden zu sein.

,,Oh, ich vermute, du hast mir einen Teil meiner Lebensenergie abgezwackt", antwortete der Rebell, als erzähle er mir vom anatomischen Aufbau einer Kellerassel, ,,aber das ist schon okay. Du sahst aus, als hättest du es bitter nötig."

Na, wenn es weiter nichts war...  Bei den Göttern, mutierte ich jetzt zu jenen Wesen, die ich mein ganzes Leben gejagt hatte? Was zur Hölle war eigentlich los mit mir?
,,Cool", brachte ich heraus. ,,Bin ich jetzt ein Vasanist?" Schon die alleinige Aussprache dieses Satzes jagte mir einen Schauer über den Rücken. Was sollte ich tun, wenn es so wäre? Wie lebte man mit so etwas?
Der Rebell stemmte sich hoch und brachte es immerhin fertig, sich aufzusetzen. ,,Aber nein, Kumpel, du bist kein Vasanist. Du bist etwas ganz anderes. Du bist stark, mächtig und dein Körper muss lernen, damit zurechtzukommen."

,,Sag mir, was du weißt", fauchte ich ihn an.

,,Mehr weiß ich eigentlich nicht. Es gibt Gerüchte, viele Gerüchte. Ich bin mir sicher, dass du mit der Zeit dahinter kommen wirst."

Als der Dunkelhaarige merkte, dass ich ihn immer noch ansah, als würde mein Leben im Augenblick vor mir zu einem Scherbenhaufen zusammenbrechen, lächelte er mich aufmunternd an. ,,Du kannst anderen Leuten Energie abzapfen und deine damit auffüllen. Gibt schlimmeres. Aber da ich Spender gewesen bin, wäre es echt nett, wenn du mich am Leben lassen würdest."

Das war zu viel für mich. Alles. Mein Hirn machte einfach dicht, meine Beine schienen ein Eigenleben zu entwickeln und führten mich fort von dem Rebellen, fort von alldem, was ich gerade erfahren hatte.

,,Hey!", vernahm ich die Stimme des Rebellen. ,,Vergiss dein Shampoo nicht."

Instinktiv fing ich die Flasche ab, bevor sie mir gegen den Kopf klatschte, drehte mich aber nicht nochmal um. Shampoo. Was sollte ich schon damit anfangen. Mir wäre eine Flasche Klebstoff, den ich mir die Nase hochziehen konnte, eindeutig lieber gewesen.
Heilige Scheiße. Ich konnte anderen Wesen Energie aussaugen? Mit einer verdammten Berührung? War es das, wonach mein Körper die ganze Zeit geschrien hatte? Seelen, Lebensenergie?
,,Götter", stieß ich hervor. Rote Funken sprühten aus meinen zu Fäusten geballten Händen. Ich wollte alles in Brand setzen. Alles und... mich. Warum musste mein Leben so verdammt kompliziert sein? Der Rebell hatte recht. Ich war stark, ich war mächtiger als je zuvor, aber zum Teufel, mich hatte nie jemand gefragt, ob ich das überhaupt wollte. Schwarzrotes Feuer der Kategorie 'superheiß' war ja schön und gut, aber es forderte augenscheinlich seinen Preis. Woher sollte diese Macht überhaupt kommen, wenn nicht von den Göttern? War ich bloß ein Fehler im System? Mein Blick traf auf das Tattoo, das sich um mein Handgelenk wand. Verehre den Gott der Unterwelt. Von wegen. Ich würde dem Gott der Unterwelt liebend gerne in den Arsch treten. ,,Du verdammter Mistkerl", fauchte ich.
Das brachte mir von einem Pärchen, das sich augenscheinlich einen ruhigen Platz im Wald gesucht hatte, um ihre zukünftigen Kinder zu zeugen, einen befremdlichen Blick ein. Ich musste gerade ein tolles Bild abgeben, wie ich verstört durch den Wald rannte und mein Tattoo anschrie. Kinder wollten sie jetzt wahrscheinlich nicht mehr zeugen.

Irgendwann stoppte ich schließlich. Ich atmete tief ein. Und wieder aus. Wiederholte das Ganze ein paar Mal, bis sich mein Puls langsam beruhigte. Ich sah einem Eichhörnchen dabei zu, wie es einen Baum hinauf kletterte, konzentrierte mich auf das Vogelgezwitscher und versuchte, meine sich überschlagenden Gedanken zu ordnen. Ich konnte augenscheinlich Leute aussaugen. Anscheinend war ich ein Junkie. Wenn irgendjemand davon erfahren würde, wäre ich vermutlich tot. Also würde ich niemandem davon erzählen und versuchen, so wenig Feuer wie möglich zu verwenden, damit ich keine Energie aufladen musste. Kein besonders toller Plan, aber für's Erste musste er reichen.
Ich war ein absoluter Freak. Aber ich würde damit zurecht kommen. Irgendwie. Ich holte ein weiteres Mal tief Luft und drehte ich um.
Und jetzt würde ich verdammtes Vogelfutter kaufen gehen.

Nummer 13 - Todessohn IIWhere stories live. Discover now