Kapitel 2.6

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~Seth

Als seltsame, machtabstrahlende, göttliche Mutation wurde man prinzipiell angestarrt, sobald man sich auf den Campus blicken ließ. Wenn man dabei allerdings noch einen Vogelkäfig, der größer war als man selbst, beladen mit fünf Kilo Vogelfutter, vor sich her schob, glotzte auch der letzte Idiot zu einem rüber. Sofern man dem Mensch aus dem Haustierbedarf glauben durfte, war dies der beste aller besten Käfige. Ehrlich gesagt wunderte es mich, dass das Ding nicht noch einen Whirlpool und eine Vogelsauna besaß. Immerhin hatte mich der seltsame Typ aus dem Geschäft ein wenig abgelenkt, wofür ich ihm so dankbar gewesen war, dass ich neben dem sauteuren Käfig noch etwas anderes gekauft hatte. Ein Hundehalsband- für Matt. Echtleder und größenverstellbar. Der Idiot würde sich vermutlich sogar darüber freuen.
Ich fand immer noch verstörend, was ich vorhin getan hatte, aber irgendwie... fand ich mich langsam damit ab. Zumindest versuchte ich, nicht zu viel darüber nachzudenken. Es ging mir so viel besser, ich fühlte mich, als wäre ich nach einer zweiwöchigen Grippe endlich wieder gesund geworden. Zumindest stellte ich mir dieses Gefühl in etwa so vor.
Ich schob den Käfig in das Gebäude, in dem sich meine Wohnung befand und kramte meinen Schlüssel hervor. Als ich die Tür aufstieß und das Monstrum von Käfig in den Raum schob, erblickte ich eine schwarz gekleidete Gestalt auf meinem Bett. Matt. Was zur Hölle tat er hier? Und wie verschaffte er sich immer Zutritt zu meinem Zimmer? Entweder, er hatte dem Hausmeister den Schlüssel zu meiner Wohnung geklaut, oder er machte heimlich mit ihm herum und war so an den Schlüssel gelangt. Wie auch immer. Er hing eindeutig zu oft hier herum.
Skotádi saß auf Matts Schulter und ließ sich von ihm am Kopf kraulen.

,,Hi Seth." Matt erhob sich vom Bett und betrachtete stirnrunzelnd den Käfig. ,,Warst du einkaufen?"

,,Nö." Ich schob den Käfig zur Seite und hievte die Futtersäcke heraus. ,,Alles handgeschmiedet und selbst gekocht."

Matt stellte sich neben mich und grinste mich an. ,,Tschuldige, doofe Frage. Alles gut bei dir? Du siehst irgendwie ein bisschen durch den Wind aus."

Das Vogelfutter glitt mir durch die Finger und knallte auf den Boden. Gar nichts war gut. Aber ich holte tief Luft und verdrängte den Gedanken in eine dunkle Ecke meines Gehirns. ,,Das ist bereits deine zweite dumme Frage innerhalb von schätzungsweise zwei Minuten. Ich gratuliere." Auf dem zweiten Futtersack lachte mich das schwarze Halsband an. Ich nahm es und drückte es Matt in die Hand. ,,Hab dir was mitgebracht. Musste irgendwie an dich denken, als ich das gesehen hab."
Ich war mir nicht sicher, ob ich es mir einbildete, aber ich meinte, einen zarten Hauch von rot auf Matts Wangen zu sehen. Kurz darauf war es aber wieder verschwunden, vielleicht hatte ich es mir nur eingebildet. Er grinste mich an. ,,Danke, Seth. Das ist cool. War das für Dalmatiner oder Australian Shepherds?"
Jetzt hoben sich meine Mundwinkel doch ein kleines bisschen. Matt war eine furchtbare Nervensäge, aber er wusste, wie er mich ablenken konnte. Selbst, wenn er nicht einmal wirklich wusste, wo mein Problem lag.
,,Bernhardiner", erwiderte ich, ,,ich wollte sicher gehen, dass dein Hals rein passt." Ein unnötiger Kommentar, schließlich besaß Matt die Statur eines Lauches, den man zu schlecht gegossen hatte. Wahrscheinlich war ihm das Halsband viel zu groß.
,,Was tust du eigentlich hier?", erkundigte ich mich beiläufig, während Skotádi von Matts Schulter auf meine wechselte.

,,Ich wollte nach dir sehen." Verlegen strich Matt sich das pechschwarze Haar aus den Augen. ,,Die letzten Tage sahst du aus, als ginge es dir... nicht so gut."
Ich hätte es wissen müssen. Matt merkte so etwas immer. Niemand hatte gemerkt, dass ich... Probleme hatte, aber ihm konnte ich nur selten etwas vormachen. Vielleicht war er deshalb mein bester Freund. Ich starrte ihn an und war kurz davor, ihm alles zu erzählen. Aber das konnte ich nicht tun. Niemand durfte erfahren, wozu ich in der Lage war, nicht einmal mein bester Freund. Der Rat kannte Mittel und Wege, Leuten Informationen zu entlocken.
Meine Finger verkrampften sich, als ich mir eine lose Haarsträhne hinters Ohr strich. ,,Mir geht's bestens."
Matt musterte mich prüfend. ,,Sicher?"

Hölle, nein.

,,Jepp."

,,Du siehst irgendwie auch wieder besser aus", erwiderte Matt daraufhin. Verlegen sah er mich an. ,,also, nicht, dass du vorher nicht gut ausgesehen hättest, aber ähh ja, du weißt schon. Nicht mehr so blass und so."

Natürlich sah ich besser aus. Ich hatte ja auch einen verdammten Rebell ausgesaugt und... eigentlich wollte ich nicht mehr daran denken. Matts Verlegenheit entlockte mir dann aber doch ein kurzes Grinsen.   ,,Gut, dass du die konstante Bereicherung meines Aussehens noch rechtzeitig erkannt hast."  Ich versuchte, Skotádi in den Käfig zu bugsieren, woraufhin sie wie wild mit den Flügeln schlug und anfing, mich auf drei verschiedenen Sprachen zu beleidigen. Anscheinend ließ die Widersehensfreude langsam nach und ihr wahres Ich kehrte zurück. Ich erinnerte mich noch allzu gut an die Zeiten, in denen Skotádi alles und jeden beleidigt hatte. Verwöhntes Mistviech. Ich zog die Hand zurück und knallte die Tür zu, ehe Skotádi wieder aus dem Käfig herauskriechen konnte.
,,Arschloch", krächzte Skotádi und drehte mir den Rücken zu.

,,Selber Arschloch", gab ich zurück. Meine Beleidigungen waren auch schon mal kreativer gewesen. Ich ließ mich aufs Bett fallen und fuhr mir mit der Hand über das Gesicht. Ich bekam die Szene im Wald einfach nicht aus dem Kopf. Das Gefühl von reiner Macht war berauschend und furchteinflößend zugleich gewesen, aber ich sollte nicht zu so etwas in der Lage sein. Eigentlich sollte ich überhaupt nicht existieren. Ich spürte, wie die Matratze neben mir nachgab und hob langsam den Kopf.

,,Was ist los, Seth?" Als Matt mir eine Hand auf die Schulter legte, zuckte ich zusammen. Ach, dein bester Freund wäre bloß dazu in der Lage, dich an Ort und Stelle deiner Lebensenergie zu berauben und zu einer leblosen Hülle zusammenschrumpeln zu lassen. Ich atmete tief durch und schob die Gedanken daran zur Seite. ,,Ich habe vorhin einen Rebell getroffen. Er hat mir erzählt, dass Leandros ihn vor dem Todesurteil des Rats gerettet hat." Ich drehte den Kopf in seine Richtung. ,,Verstehst du? Manchmal frage ich mich, ob es überhaupt richtig ist, diese Leute zu töten."

Nachdenklich senkte Matt den Blick. ,,Ist es jemals richtig zu töten?", fragte er schließlich. ,,Im Endeffekt töten wir, um unser Überleben und das unserer Spezies zu sichern, während Vasanisten eigentlich genau das Gleiche tun."
Ja, so in etwa hatte ich bisher auch immer gedacht, aber das mit der Rebellion war... Schwierig. Sie stand auf keiner der beiden bekannten 'Seiten', sondern bildete etwas völlig neues. Allerdings war es nach all den Dingen, die ich in den letzten Monaten erfahren hatte, fast unmöglich, mein früheres schwarz-weiß Denken beizubehalten. Lysanna hatte mir erzählt, dass Vasanisten sich auf psychischer Ebene meist nicht veränderten. Machte es das nicht verwerflich, sie zu töten? Götter, manchmal wünschte ich mich wirklich an den Anfang des Jahres zurück, als ich noch kein verdammter Mutant und Vasanisten noch prinzipiell abgrundtief böse gewesen waren.
,,Die Dinge haben sich geändert. Langsam frage ich mich, ob wir wirklich das Richtige tun, oder ob es nicht nur das ist, was der Rat will." Ich ließ meine Fingerknochen knacken. ,,Früher hab ich alles getötet, was nach Ansicht der Internate 'böse' gewesen ist, aber jetzt... jetzt muss ich nachdenken." Ich hatte auch den Rebell vorhin nicht getötet. Ihm verdankte ich, dass es mir so viel besser ging, es wäre mir falsch vorgekommen, ihn zu töten. Ein Gewissen, das ich früher nicht besessen hatte.
Matt schüttelte die Schultern aus. ,,Eigentlich ist es egal. Wir haben nicht die Befugnis, über so etwas zu entscheiden."

Ich ballte die Hand zur Faust. ,,Eigentlich sollten wir die haben. Oder hast du nachts vor den Internaten schon mal einen Vollpfosten im Anzug gesehen?"

,,Rektor." Matt lächelte. ,,Es heißt Rektor, Seth."

Grinsend boxte ich Matt in die Seite. ,,Du wagst es, mich gottgleiches, vollkommenes Wesen zu verbessern?!"

,,Also... Ja." Sein Lächeln wurde, wenn das überhaupt möglich war, noch ein wenig breiter.  ,,Kommst du mit zur Bandprobe?"

Matts Hundeblick ignorierend wollte ich schon automatisch verneinen, überlegte es mir dann aber anders. Vielleicht würde mich ein bisschen herumklimpern mit Matts Emo-Bande ja auf andere Gedanken bringen.
,,Meinetwegen", brummte ich und folgte ihm zur Tür. ,,Darf ich Kopfhörer aufsetzen?"

Matt drehte sich um und starrte mich finster an. ,,Du bist so ein-"

,,Arschloch", beendete Skotádi bereitwillig den Satz.

Ich setzte ein Lächeln auf und öffnete die Tür. ,,In Wahrheit liebt ihr mich. Alle beide."

Nummer 13 - Todessohn IIWhere stories live. Discover now