Kapitel 3

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~Cleo

Ein weiterer Tag war vergangen, an dem man mich abends nicht auf Rebellenjagd geschickt hatte. Daran könnte ich mich glatt gewöhnen, aber ich wagte nicht davon auszugehen, dass dies ein Zustand von Dauer war. Dafür waren meine Fähigkeiten viel zu interessant.
Allerdings blieb auch der heutige Tag entspannt. Seth hatte das Nachmittagstraining ein weiteres Mal abgesagt und mir nicht einmal befohlen, mit Zeke zu trainieren. Nach dem Unterricht hatte ich also erst einmal frei.
Gerade lief ich gemeinsam mit Chris über den Campus. Ich genoss es, endlich mal wieder Zeit mit ihr zu verbringen, denn die letzten Tage hatte ich sie fast ausschließlich im Unterricht gesehen, obwohl wir uns ein Zimmer teilten. Training und noch mehr Training hatten den Großteil meiner Zeit beansprucht.

,,Heute Abend tritt Matthew übrigens mit seiner Band auf", erzählte Chris, während wir an einer Gruppe von herbstlich-bunt verfärbten Bäumen vorbeiliefen. ,,Glaubst du, du hast frei?"
Seth hatte mir gegenüber schon einmal etwas von diesem Auftritt erwähnt, ihm zufolge sollte man nach Möglichkeit den Kontinent verlassen, sich irgendwo vergraben und erst dann zurückkommen, wenn das Konzert sicher vorbei war. Allerdings hatte Seth vermutlich eine andere Vorstellung von 'guter Musik'.
Ich zuckte mit den Schultern. ,,Ich hoffe es. Aber die Chancen stehen nicht schlecht, Seth will im Moment anscheinend nichts von mir wissen."
Der Wind ließ eines der bunten Blätter vor meinem Gesicht herumfliegen und ich konnte nicht widerstehen, es zu fangen. Sie mussten diese Bäume mit Götterblut gegossen haben, kein Baum der Welt hatte solche bunten Blätter.

Chris grinste.  ,,Oh nein, wie furchtbar! Hältst du es so lange ohne unseren bezaubernden Goldjungen aus?"

Ich legte mir theatralisch eine Hand aufs Herz. ,,Es fällt mir sehr schwer, aber ich vertraue darauf, dass unserer Liebe eines Tages nichts mehr im Weg stehen wird!"

,,Es tut mir leid, Hexe, da muss dich der bezaubernde Goldjunge leider enttäuschen."

Hätte unser Timing eigentlich noch ein klitzekleines bisschen beschissener sein können? Perplex starrte ich Seth, der in diesem Moment an uns vorbeirauschte, hinterher. Na großartig. Seth war schon ein ganzes Stück weiter vorne, bis ich schließlich über dieses miese Timing hinweggekommen war und mir einfiel, dass ich ihn noch etwas fragen wollte.

,,Seth! Warte!"

Schwer atmend hielt ich neben ihm, während er weiterlief, ohne mich anzusehen. ,,Nein, mein Engel. Das mit uns soll einfach nicht sein."

Ich verdrehte die Augen.  ,,Oh, mein Herz bricht, Seth. Kannst du mir trotzdem sagen, ob ich heute Abend Vasanisten verprügeln muss?"

Jetzt schenkte Seth mir doch einen kurzen Seitenblick. ,,Nein. Heute nicht." Er klopfte mir auf die Schulter. ,,Halte dich heute Abend aus der Aula fern. Gut gemeinter Rat."

Irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass Seth jemals etwas gut meinte, aber bevor ich noch etwas darauf erwidern konnte, bog Seth in einen Seitenweg ab und ließ mich stehen. Dieser Vollpfosten. Immerhin hatte ich heute Abend frei und würde mich dementsprechend sehr wohl in der Aula blicken lassen. Wenn mir die Ohren abfielen, konnte ich immer noch das Weite suchen.
Chris war mittlerweile wieder bei mir angekommen und zog mich sanft, aber bestimmt am Arm weiter, da ich Seth immer noch wie ein aus dem Konzept gebrachter Vollidiot hinterher starrte. ,,Und, heute Abend frei?", fragte sie.

,,Jepp", erwiderte ich, ,,Die Sonne meines Lebens hat sich als gnädig erwiesen."

,,Perfekt." Sie lächelte mich an. ,,Ein freier Abend wird dir gut tun. Vor allem in meiner Gesellschaft."

Da hatte sie allerdings recht, ich tat in letzter Zeit viel zu wenig anderes als... Training. Und ich unternahm viel zu wenig mit Chris. Gedankenverloren starrte ich auf die Gold umrandeten Mamorplatten des Weges, als mich auf einmal jemand anrempelte. An sich wäre das nicht weiter aufsehenerregend gewesen -auch wenn sich besagte Person ruhig hätte entschuldigen können-, allerdings durchfuhr mich ein Stromschlag, in dem Moment, in dem die fremde Person mich berührte. Es erinnerte mich ein wenig an das Gefühl, wenn man Seth berührte- wie ein kurzer Kontakt zu einem wandelnden Haufen voll Macht und Energie. Stirnrunzelnd blieb ich stehen und drehte mich um. Ich erhaschte nur noch einen kurzen Blick auf den Typen, denn besagter Mensch, oder was auch immer er war, ging so schnell, dass ich wahrscheinlich rennend kaum mit ihm hätte mithalten können. Ich konnte nur seine Rückseite sehen, aber er sah aus wie ein modifizierter Wikinger. Seine dunklen Haare waren zu kunstvollen Zöpfen geflochten, verziert mit antiken Perlen aus Metall, seine Unterarme wurden von ledernen Armschienen umschlossen und seine Stiefel sahen ebenfalls aus, als kämen sie aus einem anderen Jahrhundert. Hinzu kam das Mjölnir-Symbol, das unübersehbar auf der Rückseite seines schwarzen T-Shirts prangte. Seltsame Gestalt. Der Fremde bog ab und verließ somit mein Sichtfeld.

,,Hast du ihn gesehen?", fragte ich Chris, an meiner eigenen Kompetenz zweifelnd, ob ich mir den Pseudo-Wikinger möglicherweise nur eingebildet hatte. Bei dem ganzen Schlafmangel würde ich mir mittlerweile einiges zutrauen.

,,Ja." Stirnrunzelnd sah sie an die Stelle, an der er auf einen anderen Weg abgebogen war. ,,Sah aus wie ein Freak, der zu viel 'Vikings' geschaut hat."  So könnte man es auch ausdrücken.

,,Er hat sich so ähnlich angefühlt wie Seth, seit er... was auch immer ist. Als er gegen mich gerannt ist, hab ich seine Macht wahrgenommen."

Chris sah aus, als wollte sie dem Typen augenblicklich hinterher rennen, um der Sache auf den Grund zu gehen. ,,Oh, das ist krass. Ein weiterer olympischer Halbgott, von dem wir nichts wissen?"

Hoffentlich nicht. Bislang kannte ich exakt zwei olympische Halbgötter und auf beide Bekanntschaften hätte ich sehr gut verzichten können. Allerdings schien ich die besondere Gabe zu besitzen, diese Idioten anzuziehen wie Honig einen Schwarm Fliegen.

,,Vielleicht." Ich setzte mich wieder in Bewegung. ,,Wir werden es erfahren." Und wenn nicht, würden wir es auch überleben.
Wir erreichten das Wohnheim und betraten schließlich unser Zimmer. ,,Wann fängt der musikalische Spaß eigentlich an?", fragte ich, während ich die Tür hinter mir schloss.

Sie zuckte mit den Schultern. ,,Gegen sieben, denke ich. Zumindest sollten wir dann spätestens da sein, wenn wir uns was zu Trinken und einen anständigen Platz besorgen wollen."

Ich traute Chris zu, dass wir viel zu früh dort antanzen würden, aber ich nickte nur. Ich ließ mich auf's Bett fallen und streckte die Beine aus. Kein Seth am Nachmittag. Sehr angenehm.
Ich redete mit Chris noch eine Weile über belanglose Dinge, bis es schließlich Zeit wurde, sich für das Konzert fertig zu machen. Zumindest war Chris vor einer gefühlten Stunde bereits im Badezimmer verschwunden, das machte mich ganz nervös. Allmählich fragte ich mich, ob man dort nur im Abendkleid hereingelassen wurde. Als Chris jedoch nach einer gefühlten Ewigkeit das Bad verließ, hatte sie lediglich ein sehr aufwendig aussehendes Augen Make-Up aufgelegt, das zugegeben aussah, als würde man eine Stunde dafür brauchen. Hätte ich etwas derartiges versucht, hätte ich vermutlich auch nach einer Stunde noch ausgesehen, als hätte mich jemand verprügelt. Im Schminken war ich schon immer sagenhaft schlecht gewesen. Ich erhob mich mühsam von meinem Bett und begab mich zum Kleiderschrank. Dieser konnte leider nicht mit sonderlicher Vielfalt glänzen. Er bestand größtenteils aus einfarbigen T-Shirts und Jeans, ich machte mir nicht allzu viel aus aufwendigen Outfits.

,,Mit Schwarz kann man auf einem Grufti Konzert nichts falsch machen, oder?", fragte ich Chris stirnrunzelnd, während ich das einzige mehr oder wenige alternative T-Shirt, das ich besaß, aus dem Schrank zog. Es war schwarz und stammte von einem Greenday Konzert, auf dem ich im vergangenen Jahr mit meiner ehemaligen besten Freundin gewesen war. Damals, als ich noch auf meinem alten Internat gewesen war. Kaum zu glauben, dass ich erst seit einem halben Jahr hier war, irgendwie kam es mir schon viel länger vor. Unwillkürlich umfasste ich mit den Fingern das Medaillon, das ich um den Hals trug. Darin befand sich ein Bild von meinem Pferd Nirvana. Sie würde für immer ein Teil meines Lebens bleiben, auch wenn ich sie für's Erste nicht mehr sehen konnte. Vielleicht würde ich mich eines Tages in einer Position befinden, in der ich das Internat verlassen durfte. Darauf würde ich hinarbeiten.

,,Nein, kannst du nicht. Schwarz ist wunderbar." Chris bückte sich, um ihre Stiefel zuzuschnüren. Sie war ebenfalls schwarz angezogen; enges schwarzes T-Shirt, zerrissene Jeans und hohe schwarze Schnürstiefel. Ihre kurzen dunklen Haare waren wie immer kunstvoll zerzaust und ihr Hals war von einem ledernen Halsband umschlossen, an dessen Verschluss ein Silber glänzendes Pentagramm hing. Sie sah ziemlich cool aus, aber das tat sie ohnehin, egal welches Outfit sie trug. Sie besaß definitiv einen besseren Sinn für Mode als ich.
Ich nahm eine schwarze Jeans aus dem Schrank und die Stiefel, die ich normalerweise zum Kämpfen trug. Nachdem ich das alles angezogen hatte, sah ich eher aus, als wäre ich auf dem Weg zu einer Beerdigungen, als zu einem Rockkonzert. Chris schien das ähnlich zu sehen, denn sie überredete mich dazu, mich von ihr schminken zu lassen. Resultierend daraus sah ich aus wie ein trauernder Waschbär, aber Chris zufolge standen mir diese 'Smokey Eyes' wunderbar. Ich hatte auch keine Zeit noch länger darüber nachzudenken, da Chris mich vom Spiegel fort auf den Gang zog.

Nummer 13 - Todessohn IIWhere stories live. Discover now