Kapitel 6.5

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~Cleo

Die Versammlung fand in dem Gebäude statt, in dem ich bereits eine Ratssitzung miterlebt hatte- jene, die Seth gestürmt hatte. An diesem Tag hatte er beinahe das gesamte Gebäude zum Einsturz gebracht und den Rat bedroht. Anschließend hatte er den Rat davon überzeugt, dass ich eine gute Begleitung im Kampf gegen Leandros wäre. Ein oder zwei Monate war das nun her, aber es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Der Raum war nach wie vor beeindruckend. Prunkvolle Kronleuchter hingen von der hohen Decke, eine höhere, bestuhlte Ebene wurde von weißen Marmorsäulen gehalten und zog sich in einem Kreis um die Mitte des Saals. Der Aufbau erinnerte an den deutschen Bundestag, allerdings in älter und prunkvoller. Heute hatte allerdings niemand auf der oberen Ebene Platz genommen, stattdessen standen wir im unteren Bereich.
Ich trug die Kampfuniform, wie alle anderen Vasanistenjäger in diesem Raum-  man hatte uns gesagt, dass wir sie tragen sollten. Sogar Seth, der auf der anderen Seite des Raumes neben Matt und Esme stand, hatte sich daran gehalten. Für seine Verhältnisse wirkte er geradezu unauffällig.
Als ich meinen Blick ein weiteres Mal über die versammelten Leute gleiten ließ, erkannte ich Rune, der in einer hinteren Ecke stand. Nun, er hatte sich nicht an den Dresscode gehalten. Mit verschränkten Armen lehnte er an der Wand, wie immer in seinem Wikingeroutfit, und sah aus, als würde ihn das alles nicht im Geringsten interessieren. Tat es vermutlich auch nicht, für ihn war der gesamte Rebellionskampf nichts weiter als ein Zeitvertreib.  Heute war sein Haar bis auf die dünnen Akzentzöpfe, die er immer zu tragen schien, offen und hing ihm bis unter die Schultern. Die Axt war auf den Rücken geschnallt und er strahlte Macht aus. Ebenso wie Dawson und Seth. Der ganze Raum schien mit knisternder Energie gefüllt zu sein.

Estelle räusperte sich. ,,Danke, dass Sie alle heute hier erschienen sind. Wir werden bereden, wie wir mit der aktuellen Situation weiter umgehen werden." Augenblicklich wurde es still im Saal, alle Augenpaare richteten sich auf sie. ,,Der aktuelle Kampf ist wenig zielführend. Wir benötigen eine neue Herangehensweise."

Einer der Männer neben Estelle, die ich als Rektoren eingestuft hatte, meldete sich zu Wort. ,,Seth hat gegen Leandros gekämpft und er ist ein Gott, wenn ich mich nicht irre. Weshalb nimmt er sich nicht einfach ein paar Leute und macht sich auf den Weg in den Stützpunkt?"

Daraufhin wanderten sämtliche Blicke zu Seth. Meiner ebenfalls. Das fragte ich mich eben auch schon die ganze Zeit. Er war ein Gott. Er besaß Kräfte, die ich mir noch nicht einmal vorstellen konnte und vermutlich konnte er auch den Stützpunkt der Rebellion ausfindig machen. Dennoch tat er es nicht- warum?

,,Weil er keine unbegrenzten Mächte besitzt", antwortete Seth erstaunlich ruhig. ,,Die Rebellion besteht nicht nur aus Vasanisten. Jeden von ihnen zu töten, setzt das falsche Zeichen."

,,Was schlagen Sie stattdessen vor?", hakte der Rektor nach. Daraufhin zuckte Seth mit den Schultern. ,,Keine Ahnung. Verhandeln?"

,,Ist das Ihr Ernst?!"

,,Nein. Fordern wir sie zu einer größeren Schlacht heraus. Wenn sie dieses Internat wollen, sollen sie kommen und es sich holen. Wir haben einen Gott und einen Halbgott, was wollen sie schon ausrichten?" Die Erwähnung von Dawsons Existenz klang etwas gequält. Das war also der Masterplan? Ein Gemetzel?
Dawson, der diesmal ausreichend Sicherheitsabstand zu Seth hielt, runzelte die Stirn. ,,Und wo genau liegt jetzt der Unterschied, ob wir sie hier oder dort töten?"

Ich hätte nicht gedacht, dass ich Dawson mal zustimmen würde, aber genau das fragte ich mich auch.
Daraufhin warf Seth ihm einen Blick zu, als bezweifelte er, dass Dawson mehr als zwei funktionierende Hirnzellen besaß. ,,Sie hätten die Wahl. Es gibt einen Haufen Schüler, die sich ihnen angeschlossen haben, genauso wie es hier Schüler gibt, die nicht für Kämpfe geeignet sind."

,,Ich denke nicht, dass dies der Zeitpunkt für ehrenhaftes Verhalten ist", warf einer der Rektoren ein.

In diesem Moment griff sich Rev, der neben mir stand, in die Jackentasche und nahm eine Tüte mit Gras heraus. War das gerade sein verdammter Ernst? Einen Joint auf einer Sitzung genehmigen? Ungläubig schielte ich auf die Tüte.  ,,Spinnst du?", flüsterte ich.

,,Ja", flüsterte er zurück. Unter meinem mahnenden Blick ließ er die Tüte aber schließlich wieder in der Jackentasche verschwinden. Dabei sah er mich an, als hätte ich eine Babykatze an den Kopf getreten.
Mein Blick wanderte wieder zu Seth, dessen Gesicht völlig ausdruckslos wirkte. Ich kannte ihn mittlerweile jedoch gut genug, um zu wissen, dass es in ihm brodelte. Seine Hände krampften sich zusammen, woraufhin Esme ihn beruhigend am Arm berührte. ,,Eurer Meinung nach soll ich also dorthin gehen, den Gott raushängen lassen und dabei einen Haufen pubertärer Schüler, die sich vielleicht nur leicht begeistern lassen haben, abschlachten?"

So langsam verstand ich, worauf Seth hinaus wollte. In einen Kampf schickte man ausgebildete Leute, während man die anderen zuhause ließ. Diese Chance nahm man ihnen, wenn man dort hinging und alle abschlachtete.
,,Ich werde nicht dorthin gehen und ein Massaker veranstalten. Wenn ihr mich dabei haben wollt, machen wir's auf meine Art. Ansonsten bin ich raus."

Mein Blick wanderte zu Estelle, die ihn beinahe stolz ansah. Ich war mir ziemlich sicher, dass die Rektorin diese Meinung teilte- nicht um jeden Preis über Leichen gehen. Diese Denkweise sah Seth nicht unbedingt ähnlich, aber vermutlich hatte er mittlerweile ganz einfach die nötige Position, um die Dinge auf seine Art anzugehen. Währenddessen schüttelte der Rektor, mit dem Seth sich so gerne zoffte, den Kopf.  ,,Sie können das nicht einfach allein entscheiden, Seth!"

Seth ließ die Schultern kreisen, dann wandte er sich ab und ging auf den Ausgang zu.  Er ging einfach. Ganz lässig. ,,Küss mir die Stiefel, Anderson."
Dann verließ er den Raum. Ungläubige Blicke richteten sich auf die Tür, die in diesem Moment ins Schloss fiel. Bei den Göttern. Das war... das war so typisch Seth.

,,Irgendwie ist der Typ einfach cool", bemerkte Rev, der sich in der Zwischenzeit einen Joint gedreht hatte und darauf herumkaute. Cool und dumm und verdammt stark.

Ohne die Hauptfigur löste sich die Versammlung schnell wieder auf, wobei Rektor Anderson aussah, als würde er Seth am liebsten sämtliche Gliedmaßen einzeln abtrennen. Aber niemand konnte etwas gegen ihn sagen- Seth war ein Gott und er war unkontrollierbar. Sich ernsthaft mit ihm anzulegen, wagte niemand mehr. Gemeinsam mit Rev verließ ich den Raum. Jetzt war es wohl entschieden. Keine kleinen Einzelkämpfe mit ungeduldigen Rebellen mehr- eine größere Schlacht.

Ein Krieg.

Nummer 13 - Todessohn IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt