Kapitel 23

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Jeongguks Sicht:

Der kleine Kampfzwerg hatte mich mehrmals gefragt, ob es mir gut ginge, da ich dem Friedhof regelrecht entflohen war. Mir war unfassbar schlecht und ich konnte nichts über meine Lippen bringen, ohne dieses Gefühl zu verschlimmern. Darum nickte ich bloß auf seine Fragen hin. Wenn ich mich nicht täuschte, sah er sogar ganz besorgt aus. Aber da machte ich mir keine Hoffnungen. Wahrscheinlich befürchtete er, dass ich mich gleich in den Mülleimer an der Bushaltestelle übergab. In meinem jetzigen Zustand würde ich mir das sogar zu trauen.

"Der Bus müsste in zwei Minuten kommen. Denkst du, dass du die Busfahrt schaffst?", fragte mich Jimin und beugte sich etwas nach vorne, um mir ins Gesicht zu sehen, da er links neben mir saß.

"Ja, ich schaffe das schon", bejahe ich und versuchte zu lächeln, woran ich kläglich scheiterte.

Ich musste einfach nur ganz weit weg vom Friedhof kommen, damit es mir wieder besser ging. Jimin schaute mich skeptisch an und glaubte mir natürlich nicht. Er vergrub sein halbes Gesicht im Kragen seiner Winterjacke und steckte die Hände in die Jackentaschen, während er mich mit zusammengezogenen Augenbrauen betrachtete.

"Wenn du in den Bus kotzt, dann setze ich mich ganz weit weg von dir und tue so, als würde ich dich nicht kennen", meinte er vollkommen ernst und nuschelte etwas durch die Jacke vor seinem Mund.

"Von mir aus. Das versuchst du doch schon die ganze Zeit", lachte ich leise und richtete meinen Blick auf die orangenen Blüten in meinen Händen.

"Stimmt nicht. Ich habe es nach der ersten Bahnfahrt aufgegeben, dich zu ignorieren", behauptete er und log wie gedruckt.

"Du redest für mehrere Stunden nicht mit mir und schaust mich nicht mal mit deinem Arsch an. Ich finde schon, dass du mich ignorierst. Hin und wieder wirfst du mir tödliche Blicke zu, wenn dich meine bloße Anwesenheit nervt", erwiderte ich schmunzelnd.

"Da würde ich mir mal Gedanken machen, wenn ich du wäre. Die beste Lösung wäre, dass du dein Leben führst und ich meins. Aber diesen Wunsch wirst du mir niemals erfüllen", gab er von sich und baute schon wieder ein hohe Mauer zwischen uns beide, um mir zu verdeutlichen, dass er mich aufgrund der Blumen kein Stück mehr mochte.

"Nein, diesen Wunsch werde ich dir nicht erfüllen", schüttelte ich den Kopf und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie traurig es mich machte, dass dieses ganze Theater nichts gebracht hatte.

Daraufhin verfielen wir ins Schweigen und ich drehte mich in die andere Richtung, weil ich meine Maske nicht lang aufrecht halten konnte. Mein Mundwinkel sackten deutlich nach unten und ich fühlte mich so, als würde mir alles aus dem Gesicht runterrutschen. Taehyungs Idee war zwar gut gemeint, aber total schwachsinnig. Ich hatte mich bloß zum Affen gemacht. Das einzig Gute daran war, dass ich wenigstens seinen Eltern ein Geschenk machen konnte. Vielleicht gefielen ihnen die Blumen viel mehr als ihrem Sohn. Aber wer wusste das schon?

Nach wenigen Minuten kam der Bus schon angefahren und blieb an der Haltestelle stehen. Jimin und ich standen von der Bank auf und warteten, bis keiner mehr aussteigen wollte, bevor wir den Bus betraten. Jimin ergatterte zwei Plätze an einem Vierer-Platz und setzte sich ans Fenster. Zögerlich ließ ich mich neben ihm nieder und presste den Blumenstrauß sanft gegen meine Brust. Die zwei Frauen gegenüber von uns starrten mich schamlos an und flüsterten sich gegenseitig kichernd etwas zu, wodurch ich die Beiden genauso anstarrte wie sie mich. Beide waren sehr zierlich, was man selbst unter ihren Mäntel bemerkte. Die Frau mit den schwarzen, langen Haaren saß am Fenster und war komplett in Schwarz gekleidet. Ihre Freundin entschied sich im Gegensatz zu ihr für Weiß und Beige und trug ihre braunen Haare bis zu den Schultern.

"Entschuldigung, sind die Blumen für ihre Freundin?", fragte mich die Schwarzehaarige und lächelte mich mit roten Wangen an.

"Nein, die gehören ihm. Ich halte sie nur, weil seine Hände durch die Kälte sonst abfallen", antwortete ich freundlich und konnte aus dem Augenwinkel erkennen, dass Jimin mich von der Seite anstarrte.

"Oh, dann heißt das, dass Sie keine Freundin haben?", kam es aus der Brünetten, die mich mit einem undefinierbaren Blick musterte.

"Nein?", antwortete ich verwirrt.

Das war schon das zweite Mal, dass ich so direkt darauf gefragt wurde, ob ich eine Freundin hätte. Das irritierte mich extrem, da im Internat kein Schwein sich für mich oder mein Liebesleben interessiert hatte. Auf meine Antwort hin sahen sich die zwei Frauen grinsend an, was mich die Stirn runzeln ließ.

"Hast du vielleicht Lust Nummern mit uns auszutauschen? Dein kleiner Freund kann sogar mitkommen, wenn er möchte", duzte mich die Schwarzhaarige plötzlich und schenkte Jimin einen desinteressierten Blick, was mich unfassbar störte.

Kurz sah ich Jimin an, der sein Gesicht immer tiefer in der Jacke versteckte und die beiden Frauen nicht mal mehr anschaute, weil ihm die Situation so unangenehm war.

"Wie alt seid ihr überhaupt? Ihr seht ziemlich alt aus", sagte ich ohne mit der Wimper zu zucken, weil es mich wütend machte, wie sie andere behandelten.

Schlagartig drehten sich mehrere Köpfe in meine Richtung und damit meinte ich nicht nur die beiden Frauen. Die sahen mich im Moment völlig fassungslos an und blinzelten mehrmals. Mir war es total egal, ob ich ein kompletter Arsch war, aber ich wusste am besten, wie es sich anfühlte wie ein Nichts behandelt zu werden.

"Wir sehen doch nicht alt aus! Wahrscheinlich sind wir sogar im selben Alter!", keifte mich die Schwarzhaarige an.

"Und wie alt seid ihr?", fragte ich sie stur und mit ernster Miene.

"Wieso willst du das wissen?", erlangte die Brünette ihre Stimme wieder.

"Darf ich etwa nicht wissen, wie alt die Frauen sind, die irgendwas von mir wollen?", fuhr ich sie gereizt an und war wirklich bereit mit diesen Furien zu streiten.

"Wer hat dir Manieren beigebracht? Du bist ja total unhöflich! Deine Eltern müssen sich für dich und dein loses Mundwerk schämen", meckerte mich die Schwarzhaarige an.

Ich öffnete meinen Mund, um etwas zu erwidern, aber  spürte wie Jimin mir eine Hand auf die Schulter legte und sich langsam nach vorne beugte.

"Okay, haltet eure verdammte Schnauze und lasst ihn in Ruhe. Wie verzweifelt muss man sein, um jemanden im Bus zu belästigen, wenn er deutlich macht, dass er nichts von euch will? Wieso rastet ihr überhaupt so aus, wenn er nach eurem Alter fragt? Kommt ihr der 30 immer näher und habt Angst, dass eure innere Uhr endgültig Mitternacht schlägt? Ich bitte euch. Macht euch nicht lächerlich und seid endlich still. Durch seinen Sturkopf kommt ihr nicht", gab er im ruhigen Ton von sich und senkte seine Stimme, um die beiden fertig zu machen.

Sprachlos sahen sie ihn an und dachten wohl nicht, dass der Kampfzwerg seinen Mund doch aufbekam. Ich versteckte mein breites Lächeln hinter meiner Hand und versuchte nicht zu lachen. Im Bus ertönte die Ankündigung für die nächste Haltestelle und durchbrach somit die Totenstille. Jimin hob die Augenbrauen etwas an und lächelte sie falsch an, bevor er ihnen zu winkte.

Keine Sekunde später sprangen die beiden Frauen auf und murmelte irgendwelche Beleidigungen vor sich hin, während sie sich ihren Weg zur Tür bahnten. Jimins Grinsen wurde noch breiter und er wünschte ihnen einen schönen Tag, als sie aus dem Bus stiegen. Als die Türen sich wieder schlossen, ließ er sich zurück in den Sitz fallen und sein Lächeln verschwand abrupt.

"Das nächste Mal helfe ich dir nicht", murmelte er angepisst und riss mir plötzlich die Blumen aus den Händen, um sie an seine Brust zu ziehen.

"Ich danke dir trotzdem", lächelte ich überglücklich, weil er mich verteidigt hatte.

Vielleicht mochte er mich nun doch ein wenig mehr.

Guardian | JikookWhere stories live. Discover now