Kapitel 31

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Nick

Regen prasselt auf meine Windschutzscheibe und das Wetter passt sich meiner Stimmung an. Denn ich schaffe es einfach nicht, aus dem Auto auszusteigen und die Schule zu betreten. Den Ort, in dem ich vor gerade einmal zehn Tagen um mein Leben gebangt und jemanden verloren habe, der für mich wie ein Vater gewesen ist.

Ich kann den Klang der Schüsse und die angsterfüllten Schreie meiner Mitschüler nicht vergessen, weshalb ich mich kraftlos in meinem Sitz zurückfallen lasse und die Augen schließe. Ich versuche dadurch, diese Geräusche aus meinem Kopf zu verdrängen, doch es gelingt mir nicht.

Das Klingeln meines Handys wirft mich wieder in das Hier und Jetzt zurück, weshalb ich es aus meiner Hosentasche ziehe und Emmas Namen auf dem Display erkenne.

Ich frage sie besorgt, ob alles okay ist, da sie noch immer im Krankenhaus liegt und ich mir Sorgen mache.

Sie versichert mir jedoch, dass es ihr gut geht, wodurch ich mich entspannen und meinen Griff um mein Handy ein bisschen lockern kann. ,,Ist Liam bei dir?", fragt sie mich schließlich besorgt, während ich es endlich schaffe, aus meinem Wagen auszusteigen und auf die Schule zuzulaufen.

,,Leider nein, denn er wollte heute morgen unbedingt alleine zur Schule joggen, um beim Laufen noch ein bisschen den Kopf frei zu bekommen", kläre ich sie schuldbewusst auf, da ich ihn heute eigentlich zur Schule mitnehmen und für ihn da sein wollte. Schließlich sehe ich seit Tagen, wie schlecht es ihm geht aber er lässt mich einfach nicht an sich ran.

,,Ich erreiche ihn nicht und mache mir Sorgen, dass das heute zu viel für ihn ist. Es ist gerade einmal zehn Tage her und er sollte noch nicht zur Schule gehen", teilt Emma mir ihre Sorge mit und ich weiß, dass sie recht hat. Denn ich finde es ebenfalls zu früh, doch Liam ist der festen Überzeugung, dass er die Schule gerade braucht, um zu Hause nicht durchzudrehen. Denn dort erinnert ihn alles an seinen Dad und ohne seine Mom, die zurzeit wegen eines Nervenzusammenbruchs in einer Klinik ist, fühlt es sich für ihn nicht mehr wie ein zu Hause an. Ihm fällt langsam die Decke auf den Kopf, weshalb er sich wieder nach dem Schulalltag sehnt.

,,Ich bin jetzt gleich in der Schule und werde  ihn suchen gehen", verspreche ich Emma und laufe mit eiligen Schritten durch den Regen. ,,Mach dir keine Sorgen, denn ich kümmere mich um ihn", muntere ich sie auf und erreiche die Stufen, die zum Eingang führen.

,,Ich weiß", gibt sie erleichtert zurück. ,,Aber bitte schreib mir, wenn du ihn gefunden hast", bittet sie mich, als ich den Eingang erreicht habe und die Schule betrete.

,,Das mach ich", verspreche ich ihr und lege angespannt auf, da ich in diesem Moment wieder all diesen Erinnerungen ausgesetzt bin.

Auch wenn kein Blut und keine Leichen mehr den Boden bedecken, so tauchen diese Bilder wieder ohne Vorwarnung vor meinen Augen auf.

Den ich erinnere mich an Justin, der neben den Spinden gelegen hatte und dessen Augen leblos an die Decke gestarrt hatten. Nur wenige Meter neben ihm hatte Max gelegen, dessen Rücken von unzähligen Kugeln durchlöchert gewesen war.

Meine Kehle schnürrt sich zu, als ich mich an Ian erinnere, mit dem ich jahrelang Fußball gespielt hatte und dessen Brustkorb ebenfalls von mehreren Kugeln getroffen worden war. Dessen lebloser Körper vor der Cafeteria gelegen hatte und durch dessen Blut ich hatte laufen müssen.

All diese Bilder tauchen jetzt vor meinen Augen auf, weshalb ich wie versteinert am Eingang stehen bleibe und mich erstmal nicht von der Stelle rühren kann.

Ich sehe zu den Spinden der Schüler, die diese Schule niemals mehr betreten werden. Ich erkenne sie an den vielen Kerzen und Blumen, die vor diesen niedergelegt wurden. An deren Freunde, die in Tränen aufgelöst vor deren Spinden stehen und weitere Kerzen anzünden, welche die Schule in einen Ort der Trauer verwandeln. Ein Ort, an dem zwölf Menschen den Tod fanden und deren Leben viel zu früh beendet wurden.

I need you to save meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt