29 - Linda

152 20 10
                                    

Linda bekam nicht mehr so ganz mit, was eigentlich um sie herum passierte. Alles lief wie in einem Film an ihr vorbei. Irgendwann hatte sie etwas gegessen. Irgendwie war Claudia die meiste Zeit bei ihr. Aber über was sie sprachen, das bekam Linda nicht wirklich mit. Und es war nach wie vor dunkel. Der Stromausfall dauerte jetzt schon einige Stunden an und sie kamen alle an ihre Grenzen. Die ersten Handy Akkus hatten aufgegeben und das Wetter hatte sich nach wie vor nicht beruhigt. Und mittlerweile war es schon wirklich spät. Linda wusste nicht, wie sie die letzten Stunden überlebt hatte. Ihre Gedanken kreisten einfach immer noch um Annalena. Sie gaben keine Ruhe. Und dann kam Robert auch noch mit der Nachricht, dass Daniel, Annalenas Mann, Morgen anreisen würde. Allein der Gedanke auf ihn zu treffen, ließ Linda innerlich nervös werden. Wie sollte sie ihm begegnen? Wo sie sich doch so schuldig fühlte, dass Annalena verschwunden war. Und natürlich, Daniel und Annalena waren nicht mehr zusammen. Aber es war trotzdem ein komischer Gedanke,  mit ihm konfrontiert zu werden. Immerhin hatte er keine Ahnung, was da zwischen ihr und Annalena war. Wahrscheinlich auch besser so. Aber sie musste sich dann dringend zurückhalten. Daniel durfte es auf keinen Fall erfahren! Es war immerhin an Annalena, ihm solche Dinge zu erzählen.

Aber wie sollte sich Linda bitte unauffällig verhalten, wenn sie Annalena endlich finden würden? Ihr würde eine riesige Last von den Schultern fallen. Hoffentlich würde einfach alles gut sein. Hoffentlich würde es Annalena gut gehen und sie würden sie schnell finden. Das war Lindas ganze Hoffnung. Das war das wichtigste. Aber das war nunmal nicht das einzige. Es graute ihr vor Daniel.

"Linda, die anderen haben irgendwo in dem Gebäude Matratzen aufgetrieben und in den großen Gemeinschaftsraum getan. Nur, damit du Bescheid weißt. Aber lass dir alle Zeit, die du noch brauchst. Nur versuchen wir so langsam etwas Schlaf zu bekommen. Es hilft ja leider nichts."

Linda nickte nur und war froh, als sie wieder alleine war. Sie könnte kein Auge zu bekommen. Da war sie sich sehr sicher. Aber den anderen sei es gegönnt. Wobei sie darauf hoffte, dass irgendjemand weiterhin von der Polizei auf dem Laufenden gehalten wurde. Also Olaf, immerhin hatte er das ja eingefädelt. Linda hoffte einfach, dass die Behörden nicht versagen würden. Und dass sie, sofern Annalena Morgen früh immer noch nicht gefunden war, selber beim Suchen helfen konnten. Das war Linda ihr schuldig. Und so langsam merkte sie immer mehr, wie sehr ihr die letzten Tage, mit Annalena, gefallen hatten. Allein Annalenas Anwesenheit hatte sie irgendwie glücklich gemacht. So richtig bewusst war ihr das noch nicht gewesen. Aber jetzt spürte Linda es eindrücklich. Und es schmerzte umso mehr. Selten hatte sie bei sich erlebt, dass sie sich so schnell verlieben konnte. Und ja, das war verwirrend. Und eigentlich mochte Linda solche verwirrende Gefühle nicht. Aber wenn es um Annalena ging?

Es musste wieder einige Zeit vergangen sein. Linda bekam es nicht mehr so richtig mit. Die Nacht war sowieso pechschwarz. Und der Raum, der nur durch eine kleine Kerze erhellt wurde, war beinahe genauso dunkel. Alles war so gleich. Schwarz in schwarz. Alles gleichgültig. Solange Annalena nicht wieder da war. Und Lindas Gedanken waren wieder bei ihrem Ausgangspunkt angekommen. Mit einem Mal hörte Linda ein Knarzen und sie drehte sich erschrocken um. Die Tür öffnete sich leicht und Linda konnte Roberts Umriss erkennen. Ihre Hoffnung erlosch schon wieder. Warum nicht Annalena?

"Huch, Linda! Sorry, ich wusste nicht, dass du hier bist. Soll ich wieder gehen?", fragte er leise und wirkte genauso fertig, wie sie sich fühlte.

"Nein, setz dich ruhig."

Ein Blick auf Lindas Handy offenbarte ihr, dass es schon 2 Uhr Nachts war. Und so langsam spürte Linda doch, wie sie von einer Müdigkeit erfasst wurde.

"Und du kannst auch nicht schlafen?", fragte Linda ihn, um sich ein wenig abzulenken. Sie hatte das Gefühl, dass Robert sie verstehen würde. Auch wenn das sonst nicht häufig der Fall war.

"Nee, ich fühle mich ehrlich gesagt auch nicht sonderlich gut. Und einschlafen ist so nicht wirklich möglich. Aber was soll ich dir da erzählen? Du weißt es wahrscheinlich selber gut genug."

"Ja, wahrscheinlich schon. Auch wenn ich so langsam die Müdigkeit spüre. Und wahrscheinlich wird diese Nacht eh nichts mehr passieren. Aber mich lassen die Gedanken nicht so wirklich los. Wenn ich auch noch daran denke, dass Daniel Morgen kommt."

"Da musst du dir glaube ich keine Gedanken machen. Daniel macht sich einfach riesige Sorgen. Wahrscheinlich wird er gar keine Gedanken für dich übrig haben. Auch wenn das nicht nett klingt. Aber die beiden sind ja immerhin nicht mehr zusammen. Da musst du dich nicht schlecht fühlen."

Linda nickte einfach nur und die beiden ließen wieder eine Stille über sie fallen. Es verging wieder einige Zeit und Linda spürte, wie ihre Augen immer schwerer wurden. Auch wenn sie nicht einschlafen wollte. Was, wenn sie sonst etwas verpassen würde?

"Linda! Hier bist du ja! Bist du wach?", rief eine viel zu laute Stimme. Plötzlich war es unfassbar hell um Linda. Ein Blick nach rechts zeigte ihr, dass es Morgen sein musste. Und Christian, der da vor ihr stand, schien ganz aufgeregt zu sein.

"Hmm? Was gibt's?", fragte sie verschlafen. Sie musste viel zu wenig Schlaf bekommen haben.

"Annalena! Es gibt gute Neuigkeiten! Die Polizei hat sie gefunden."

Mit einem Mal war Linda hellwach. Und erinnerte sich, was am vorigen Tag geschehen war. Annalena! Sie hatten sie gefunden! Das musste ein Traum sein. Sie hoffte, dass es nicht so war. Aber es fühlte sich nicht real an.

"Wie? Was? Wo?"

"Die Polizei hat sie vor einer Stunde gefunden. Sie war tatsächlich in der Nähe der Dünen, aber da war so eine kleine Schutzhütte, in die sie zwar nicht rein gekommen ist, aber die ihr etwas Schutz geboten hat.", führte Christian aus. Aber das war nicht das, was Linda am meisten interessierte.

"Christian, wo ist sie? Wie geht's ihr? Jetzt sag doch endlich!"

"Jaja. Sie war ziemlich unterkühlt und  kaum ansprechbar. Aber es ist wohl nicht so schlimm, wie es hätte sein können. Sie haben Annalena direkt in das nahegelegene Krankenhaus gebracht und da muss sie sich jetzt erstmal erholen. Soweit ich weiß, darf sie auch ab heute Mittag Besuch bekommen."

Voller Überraschung und Emotionen schlug Linda die Hände vor ihrem Gesicht zusammen. Annalena war da! Sie hatten sie gefunden! Oh Gott. Endlich. Aber ihr ging es offenbar nicht gut. Das erschütterte Lindas Euphorie in sekundenschnelle. Und sie merkte, wie sie mal wieder gegen ihre Gefühle kämpfen musste. Aber sie konnte jetzt nicht schon wieder vor Christian schwach sein. Ausgerechnet Christian! Aber er merkte wohl, dass er ein wenig sensibler mit Linda in dieser Situation umgehen sollte.

"Jetzt wird wieder alles gut. Der Stromausfall ist auch vorbei und wir können wieder in unsere Häuser. Und Annalena wird es sicherlich schnell wieder besser gehen. Es wird ihr sicherlich gut tun, wenn sie dich sieht."

"Danke Christian.", brachte sie noch über die Lippen, bevor Christian den Raum wieder verließ. Und bevor Linda ihre Fassung verlor. Tränen strömten über ihr Gesicht und sie wehrte sich nicht dagegen, immerhin war sie allein. Wenn sie nur für sich war, dann konnte sie auch mal solche Emotionen zulassen. Und in dieser Situation! Annalena ging es den Umständen entsprechend in Ordnung. Sie war wieder da! Linda würde sie wiedersehen. All die Gedanken, die sie die letzten Stunden geplagt hatten, fielen mit einem Mal von ihr ab. All die Sorgen, die sie sich gemacht hatte. Alles wurde mit ihren Tränen weggeschwemmt. Bis sie leer war. Bis keine Tränen mehr liefen. Bis sie realisierte, dass es vielleicht nochmal gut ausgegangen war. Bis sie feststellte, dass sie Annalena einfach sehen müsste!

Mit sicherlich noch verweintem Gesicht verließ Linda diesen Konferenzraum, in dem sie eingeschlafen sein müsste. Und sie lief geradewegs in Roberts Arme. Im wahrsten Sinne des Wortes. Der Grüne zog sie einfach wortlos in eine Umarmung und Linda ließ es geschehen, denn jetzt war alles so egal. Annalena war wieder da! Und das war die Hauptsache. Egal, was da jetzt noch auf sie zukommen würde.


Annalena ist wieder da! Aber ob es damit wohl einfacher wird?

Wie immer danke ich euch fürs Lesen, freue mich über Feedback und darauf, wenn ihr beim nächsten Kapitel wieder dabei seid :)

Fahrt ins UngewisseTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang