15 - Linda

199 26 15
                                    

Zufrieden saß Linda im Wohnzimmer neben Annalena. Irgendwo her hatte die Grüne eine Flasche Rotwein aufgetrieben, welche sie geöffnet hatten. Und gemeinsam anstießen. Es war mittlerweile Abends und sie wollten wenigstens zusammen den Abend ausklingen lassen. Wenn der gemeinschaftliche Abend in der großen Runde schon ausfiel. Denn offenbar ging es nicht nur Kevin, sondern auch Bärbel und Claudia nicht sonderlich gut. Naja, hätte man im Vorhinein drauf kommen können, dass es Menschen gab, die seekrank werden. Aber soweit hatte Marco wohl nicht gedacht. Wie so oft, dachte sich Linda. Aber naja, gegen einen gemeinsamen Abend mit Annalena konnte Linda auch definitiv nicht nein sagen. Auch wenn es sie irgendwie nervös machte. Annalena machte sie nervös.

Irgendwann redeten sie einfach über alles mögliche. Mittlerweile hatten sie beide ein vertrautes Gefühl für die jeweils andere entwickelt, sodass es sich schon fast normal anfühlte. Auch, als sie auf das Thema Beziehungen zu sprechen kamen. Was Linda dann doch wieder nervös machte. Der Gedanke an Annalena und ihre Beziehungen und an sie selbst. Schnell versuchte sie an etwas anderes zu denken. Was aber kaum möglich war.

"Warst du nicht auch verheiratet, Linda? Ich glaube, ich hab dich und deinen Mann doch mal irgendwo in unserem Wahlkreis gesehen. Seid ihr noch glücklich?", fragte Annalena und der Wein brachte sie wahrscheinlich erst dazu, so direkt zu fragen. Und Linda war es ein wenig unangenehm. Es war alles so kompliziert.

"Das ist schwierig. Nein, wir sind schon seit einiger Zeit getrennt. Er hat mich damals betrogen, auch mit einer Politikerin. Und es war ausgerechnet zu der Zeit, als ich auch mein Amt als Generalsekretärin verloren habe. Das war eine wirklich harte Zeit, aber ich bin froh, dass ich mit diesem Mann nichts mehr zu tun habe. Auch wenn ich lange so nicht denken konnte."

Bedrückt schaute Linda zur Seite, als all die Erinnerungen wieder hoch kamen. Wie sie ihren Mann erwischt hatte. Wie sie ihr Amt verloren hatte. Wie sie plötzlich in eine tiefe Krise gerutscht war. Wie alles keinen Sinn mehr ergeben hatte. Gott sei Dank hatte sie sich da wieder heraus gekämpft. Annalena schien zu merken, dass es Linda sehr nahe ging und griff vorsichtig nach ihrer Hand. Überrascht schaute Linda zu ihr und sah in Annalenas Gesicht ein aufmunterndes Lächeln. Was alles in Linda zum Kribbeln brachte. Wow, was machte diese Frau nur mit ihr? Ohne ihre Hand loszulassen, sprach dann auch Annalena.

"Das tut mir Leid. Das muss wirklich hart gewesen sein. Zwei solche Veränderungen zur gleichen Zeit. Aber umso stärker scheinst du jetzt zu sein."

"Erzähl mir lieber von dir. Bist du glücklich mit deinem Daniel und deinen Kindern? Läuft es bei dir wenigstens gut?"

Linda wollte nicht weiter über ihr verkorkstes Liebesleben sprechen. Sie wollte lieber etwas positives hören. Wobei, war es positiv, wenn Annalena von ihrem Mann schwärmen würde? Würde Linda damit zufrieden sein? Eigentlich wusste sie die Antwort.

"Daniel und ich haben uns getrennt. Vor einigen Wochen erst. Aber wir leben noch zusammen, für unsere Mädels. Und es klappt ausgesprochen gut, wahrscheinlich weil wir uns beide nichts Schlechtes wollen. Aber natürlich bin ich damit nicht glücklich. Ich würde mir wünschen, gerade jetzt, wo ich unter solch großem Druck stehe, jemanden zu haben, der für mich da ist und mich bedingungslos unterstützt. Das habe ich wohl verloren."

Linda spürte den Schmerz, der in Annalena aufkam. Sie sah, dass da bei Annalena mehr dahinter steckte. Und Linda wusste, dass es in diesem Moment das absolut richtige war. Und sie spürte für eine Sekunde, dass sie Annalena das geben wollte, was sie vermisste. Unterstützung und Bedingungslosigkeit. Linda legte sanft ihre Lippen auf die von Annalena und es durchzog sie ein Feuerwerk der Gefühle. Alles an diesem Kuss fühlte sich richtig an. Und als Annalena nach einer Millisekunde, in der sie wahrscheinlich verstehen musste, den Kuss erwiderte, spielte alles in Linda verrückt. Und eigentlich wusste sie da längst, dass sie sich in dieser kurzen Zeit in die Außenministerin verguckt hatte. Und in dem Moment war es einfach unglaublich.

Annalena löste sich nach einiger Zeit von Linda und strich sich eine Sträne hinters Ohr. Sie lächelte. Nicht so breit vor Freude, sondern eher aus Neugier und Verlegenheit. Genau diese Gefühle spürte zumindest Linda. Sie saßen sich jetzt gegenüber und schwiegen. Aber es war nicht unangenehm. Beide brauchten einen Moment, um zu verstehen, was da gerade geschehen war.

"Linda, ich mag dich. Das hätte ich mir vor einigen Tagen echt noch nicht träumen lassen."

"Ich dich auch, Annalena. Und ich bin genauso überrascht. Wie sehr du mich hier abgeholt hast."

"Ich verstehe es Alles nicht so ganz. Aber vielleicht muss ich auch nicht immer Alles verstehen. Für diesen kurzen Moment hat es sich einfach richtig angefühlt. So als ob du diejenige sein könntest, die mich unterstützt, die für mich da ist. Aber ich weiß, dass es nicht so einfach ist. Sind wir nicht eigentlich ganz unterschiedlich? Und kennen uns auch kaum. Aber Linda, das war unglaublich.", sprach Annalena leise und zwischendurch beinahe nur für sich. Aber natürlich hatte Linda verstanden.

"Ich weiß auch nicht was das ist. Aber ich weiß, dass ich dich mag. Gerne bei dir bin. Viel mit dir reden kann. Bei dir nicht politisch sein muss. Allein das weiß ich schon in dieser kurzen Zeit hier. Und das nimmt mir gerade meine Zweifel. Die ich sonst eigentlich immer habe. Annalena, vielleicht kann da etwas entstehen, wenn wir uns darauf einlassen. Aber dafür müssen wir es wollen und bereit sein. Einfach wird es nicht."

"Ich weiß nicht, ob ich bereit bin. Auf etwas Neues. Bitte versteh das. Daniel und ich...es ist erst so kurz her und ich hänge noch an ihm. Aber ich würde gerne herausfinden, was das mit uns ist. Auch wenn ich dir keine Versprechungen machen will. Ich will immerhin fair bleiben. Aber Linda, du bist eine tolle Frau und ich will wissen, was da zwischen uns ist. Was sein wird oder sein kann."

Erwartungsvoll wurde Linda von Annalena gemustert. Diese Worte hatten ein bittersüßes Gefühl bei Linda hinterlassen. Annalena wollte das irgendwie mit ihnen. Sie wollte wissen, was da zwischen ihnen war. Aber im selben Atemzug hatte sie ihr erklärt, dass sie noch an Daniel hängt und sie ihr nicht allzu große Hoffnungen machen wollte. Was hieß das denn jetzt? Sollte sich Linda darauf einlassen? Was, wenn sie letztendlich wieder enttäuscht werden würde? Wenn Annalena merkte, dass Linda nicht diejenige war, die ihr Halt geben könnte? Wenn sie merkte, dass sie eigentlich noch immer Daniel so sehr liebt? Es waren viele Gedanken und Zweifel. Und Linda wusste nicht, was richtig und was falsch war. Aber ihr Bauchgefühl entschied letztlich über ihr Handeln.

"Nun sag doch was, bitte!"

"Annalena, ich will es probieren. Mit uns. Und sehen, was passiert. Wir müssen einfach fair zueinander sein."

Glücklich und erleichtert atmete Annalena auf, bevor sie Linda wieder in einen Kuss zog. Dieses Mal war sie nicht mehr so vorsichtig, sondern schon beinahe stürmisch. Was der Liberalen aber sichtlich gefiel. Annalena war besonders. Und Linda hoffte, dass das alles hier nicht von kurzer Dauer war. Ihre Intuition sagte ihr, dass es nicht so sein sollte. Auch wenn sie ja selber noch nicht wirklich wusste, was sie eigentlich für Annalena empfand.

"Eine Bedingung habe ich aber: kein Wort zu niemandem. Nichtmal zu Robert oder Claudia, auch wenn ihr gut befreundet seid. Ich glaube es würde nicht gut kommen, wenn jemand herausfindet, dass wir beide...naja. Und wahrscheinlich würde Christian es direkt gegen mich verwenden. Und ob der Kanzler es gutheißen würde? Deshalb lass uns bitte nicht zu auffällig sein."

Annalena nickte und gab damit ihr Einverständnis. Bevor sie wieder über Linda herfiel. Beide konnten kaum an sich halten. Aber es war auch einfach ein besonderes Gefühl. Linda hatte lange nicht mehr solche Emotionen gespürt. Es hätte noch Stunden so weitergehen können, hätte es nicht plötzlich an ihrer Tür geklingelt. Schnell richteten sich die beiden wieder, bevor Annalena an die Tür ging.

"Meine Güte, endlich gibt mir jemand Asyl!", hörte Linda nur. Marie-Agnes! Und Linda wünschte sich, dass Annalena und sie wieder alleine wären.

Und auch hier gibt es eine positive Entwicklung ;) Aber ob die beiden wohl wirklich zueinander finden können?

Vielen Dank fürs Lesen und bis zum nächsten Kapitel!

Fahrt ins UngewisseWhere stories live. Discover now