17 - Robert

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Christian und Robert hatten entschlossen, noch ein wenig an den Strand zu gehen. Es war zwar schon Abends und ziemlich dunkel und kalt, aber sie wollten etwas Zeit alleine verbringen, ohne gestört zu werden. In ihren Häusern wusste man ja nie. Und irgendwie waren sie beide so durch den Wind, dass sie auch nochmal raus wollten. An die frische Luft. Robert hatte registriert, dass Claudia sie gesehen hatte, aber es war zum Glück nur Claudia gewesen. Vor allen anderen sollte es dringend unter Verschluss bleiben. Was auch immer da zwischen ihnen war. Immerhin hatten sie sich eingestanden, dass sie herausfinden wollten, was da zwischen ihnen war. Und Christian hatte ihn geküsst. Er hatte die Initiative ergriffen. Und er hatte ihm erzählt, dass er auch auf Männer steht. Es war so viel geschehen, dass Robert es noch gar nicht realisieren konnte.

Und jetzt liefen sie Hand in Hand an die Ostsee. Es war einfach surreal. Und es fühlte sich unfassbar gut an.

"Wollen wir uns da auf die Bank setzen?", fragte Robert Christian und er nickte einfach. Sie hatten trotz der Dunkelheit noch gute Sicht auf das Meer. Und sie hörten das Rauschen der Wellen. Robert genoss es einfach sehr. Es erinnerte ihn an seine Heimat. Es erinnerte ihn an seine Jugend. Christian schien zu merken, dass er vor sich hin grübelte.

"Woran denkst du?", fragte er deshalb.

"Daran, dass das alles hier so surreal ist. Wir beide, der Strand, das Meer, die Nacht, die Sterne. Es fühlt sich unwirklich an. Und gut. Und es erinnert mich sehr an meine Jugend."

"Erzählst du mir davon?"

"Na klar.", lachte Robert leicht. Er freute sich darüber, dass Christian etwas über ihn wissen wollte. Und es hinterließ ein wohliges Kribbeln in ihm.

"Meine Freunde und ich waren in der Schulzeit, besonders im Sommer, wirklich oft am Strand. Meist sind wir bis spät Abends geblieben, manchmal sogar ganze Nächte. Das war wirklich eine unfassbare Zeit und ein unglaubliches Privileg, so etwas erleben zu dürfen. Und klar, ich war ab und zu auch mit Mädchen da, die ich vielleicht mehr als nur freundschaftlich mochte.", lachte Robert und sah, wie auch Christian grinsen musste.

"Und jetzt bin ich mit dir hier."

Robert sah trotz der Dunkelheit, dass Christian schlucken musste, weil er verstand, dass es Robert etwas bedeutete. Dass er ihm scheinbar etwas bedeutete. Sonst würden sie das nicht machen. Und Robert hoffte einfach, dass er mit der Aussage nicht zu weit gegangen war.

"Sowas hatte ich damals nicht. Wobei klar, wir hatten auch so unsere Orte. Aber ich hab ja auch relativ früh angefangen, mich selbständig zu machen. Da blieb dann auch nicht mehr allzu viel Zeit."

"Stimmt, das habe ich auch mitbekommen. Aber du hast vorhin gesagt, dass du es immer ignoriert hast, dass du auch auf Männer stehst. Darf ich fragen, seit wann du das weißt? Ich war selber eine lange Zeit so unsicher und tue mir ehrlich gesagt bis heute manchmal noch schwer, mich so zu akzeptieren."

Tatsächlich war es für Robert nicht leicht. Seitdem Andrea und er eine offene Beziehung führen, ist es ihm eigentlich erst klar geworden. Davor hatte er nie einen Gedanken daran verschwendet, dass er nicht hetero sein könnte. Aber so hat es sich ergeben. Und leicht war es für ihn beileibe nicht.

"Ich weiß es eigentlich seit meiner Jugend. Aber ich habe es nie thematisiert, nie jemandem erzählt. Nicht mal meine Eltern haben die leiseste Ahnung. Ich wollte es einfach selber nie wahr haben und ich bin ja auch halbwegs gut so durch mein Leben gekommen. Aber wirklich gemerkt habe ich es, als ich so 17 oder 18 war. Eigentlich hatte ich damals  nicht mehr wirklich Lust zur Schule zu gehen. Ich hatte ja immerhin schon mein eigenes Unternehmen und hab Geld verdient, aber natürlich wollte ich trotzdem Abitur machen. Aber wie gesagt, die Motivation war nicht mehr sonderlich groß. Dann haben sich irgendwann meine Kurse geändert und ich hab mich mit einem Jungen aus meinem Jahrgang angefreundet, mit dem ich vorher nichts zu tun hatte. Plötzlich hatte ich wieder Motivation für die Schule und bin gerne hingegangen. Ich hab erst nicht verstanden, warum es so war. Im Nachhinein ist ganz klar, dass ich mich damals in ihn verliebt hatte. Und irgendwann war mir das dann auch klar geworden. Aber es war nie soweit gekommen, dass ich eine ernsthafte Beziehung mit einem Mann gehabt hätte."

"Und dann hast du es einfach ignoriert?", fragte Robert und war von Christians Erzählung sichtlich beeindruckt.

"Ja, irgendwie schon. Also klar, es gab immer mal wieder Männer, die ich attraktiv fand. Und mit denen ich auch mal etwas hatte, als ich in keiner Beziehung war. Aber ich wollte einfach daran glauben, dass ich nicht auf Männer stehe. Und jetzt stelle ich es wieder infrage. Wobei eigentlich muss ich mir nichts mehr vormachen."

Christian schien das ganze Überwindung gekostet zu haben. So mit Robert zu sprechen. Über dieses Thema. Das war alles andere als leicht. Aber bei Robert fühlte er sich dann doch einfach wohl.

"Bei mir war das etwas anders. Seitdem Andrea und ich eine offene Beziehung führen, hab ich eigentlich erst festgestellt, dass ich auch für Männer etwas übrig habe. Und das ist erst ein paar Jahre her, seitdem ich hier in Berlin bin. Also hatte ich noch nicht sooo viele Jahre Zeit, um das zu verarbeiten. Aber mittlerweile komme ich mit dem Gedanken, dass ich nicht nur auf Frauen stehe, ganz gut klar."

Zumindest mehr oder weniger, fügte Robert in Gedanken hinzu. Aber das musste er Christian ja nicht sagen.
Statt etwas zu sagen, drehte er sich wieder zu Christian, der sich verräterisch auf seine Lippe biss. Robert musste leicht grinsen und legte dann seine Lippen auf die von Christian und genoss den Moment.
Das Meer. Die Abendluft. Der Sand. Christian und er. Er konnte es sich nicht besser ausmalen. Vielleicht war das hier eine einmalige Sache. Vielleicht war es aber auch der Beginn etwas Großes. Keiner von ihnen konnte es wissen.

"Hast du dir die Tage hier so vorgestellt?", fragte Christian irgendwann. Er war wie ausgewechselt, stellte Robert fest. Christian war total interessiert an ihm, hatte einen ganz anderen Ton. Robert fand kein anderes Wort, deshalb würde er es liebenswürdig nennen. Vielleicht war das aber auch zu weit gefasst.

"Nein. Ich war ehrlich gesagt nicht so motiviert. Meine einzige Hoffnung war, dass ich Zeit mit Annalena verbringen kann, vielleicht ein wenig so wie früher. Aber diese Hoffnung hat sich relativ schnell zunichte gemacht, als Annalena und Linda sich plötzlich angefreundet haben. Naja, dann die Sache mit Wahrheit oder Pflicht, du bist mir aus dem Weg gegangen, ich wusste auch nicht so recht weiter. Also das war nicht so meine Vorstellung. Und das hier auch nicht. Aber es ist deutlich besser als jede Vorstellung, die ich hatte."

"Das sehe ich auch so. Obwohl ich nicht weiß, was das hier auslösen wird. Aber jetzt gerade fühlt es sich gut an. Aber apropos Linda und Annalena, kannst du dir vorstellen, dass da zwischen den beiden mehr sein könnte? Nachdem, was Linda da bei Wahrheit oder Pflicht gesagt hat?"

Robert musste sich erst wieder daran erinnern, was Linda eigentlich gesagt hatte. Aber stimmt, da war ja etwas gewesen.

"Vorstellen könnte ich es mir schon. So wie die beiden bisher aneinander kleben. Aber ich weiß nicht, ob Annalena so etwas eingehen würde. Beobachten sollten wir es auf jeden Fall."

Sie saßen einige Zeit einfach so auf der Bank, bis Christian irgendwann augenscheinlich kalt wurde. Es war ja auch noch Winter und spät Abends. Von daher war das schon verständlich. Und das stellte dann auch Robert fest.

"Ist dir kalt? Sollen wir so langsam mal wieder zurück gehen? Wobei, ich hätte auch so eine Idee, wie es dir wieder warm werden könnte.", lachte Robert leicht, was Christian erröten ließ. Obwohl Robert es gar nicht so Ernst meinte. Aber der Gedanke war doch verlockend. Und offenbar auch für Christian.

"Du könntest mir zeigen, ob du mich bei Wahrheit oder Pflicht nicht grundlos so um den Verstand gebracht hast."

"Okay Lindner, Wahrheit oder Pflicht?"

Robert hatte sich schon über ihn gebeugt und ihre Gesichter waren nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt. Robert konnte den heißen, unregelmäßigen Atem von Christian spüren. Und als Robert sich auf seinem Schoß nieder ließ, zog er scharf die kalte Nachtluft ein.

"Pflicht."

Hektisch trafen ihre Lippen aufeinander und Robert wusste genau, was Christian ihm sagen wollte. Er wollte seine Pflicht jetzt erfüllen.


Wenn ihr da mal nicht Recht hattet mit der Vermutung, dass lindbeck verwirklicht wird ;) Ich hoffe, es gefällt euch!

Und eine kurze Frage am Rande, habt ihr Wünsche für die kommenden Kapitel? Ich bin auf jeden Fall offen für Ideen und Anregungen, auch wenn ich sonst einfach auf meine Kreativität vertraue :)

Fahrt ins UngewisseWhere stories live. Discover now