14 - Christian

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Etwas enttäuscht nahm Christian die Nachricht hin, dass sie ihren Ausflug abbrechen würden. Denn einerseits durfte er ja das Boot steuern und das hatte ihm wirklich Spaß gemacht. Und andererseits hieß es, dass er wieder mehr Zeit mit Robert verbringen musste, wenn sie in ihrem Haus zurück waren. Und das war dann doch weitaus schlimmer. Christians Gefühle spielten einfach verrückt. Und er konnte sich selber nicht erklären, wieso es so war. Klar, Robert und er hatten sich geküsst. Nach dieser Sache mit dem Knutschfleck. Aber was das in ihm ausgelöst hatte, war alles andere als klar oder logisch. Christian musste sich eingestehen, dass es sich nicht falsch angefühlt hatte. Dass er die Nähe zu Robert beinahe genossen hatte. Aber das war falsch. Immerhin saß Franca in Berlin und wartete dort auf ihn. Und sie war doch seine große Liebe. Wobei Christian nicht verleugnen konnte, dass er auch schon seit seiner Jugend etwas für Männer empfunden hatte. Und das wusste Franca nicht. Eigentlich wusste es niemand. Und er selbst hatte immer versucht, es zu verleugnen.

Aber Robert? Nie im Leben hätte Christian gedacht, dass der Grüne etwas in ihm auslösen könnte. Nie. Und eigentlich wollte er es sich auch nicht eingestehen. Denn Robert war doch immer noch sein absoluter Konkurrent! Und eigentlich kannte er ihn kaum. Aber trotzdem war da etwas. Und das konnte Christian nicht leugnen. Aber er wollte es Robert nicht sagen. Eigentlich wollte er gar nicht mit ihm reden und ist ihm deshalb aus dem Weg gegangen. Bis vorhin, da gab es keinen Ausweg mehr. Und Robert hatte ihm ziemlich klar gemacht, dass es ein Fehler gewesen war. Und Christian hatte ihm das auch so gesagt. Aber am liebsten hätte er ihm auch gesagt, dass es etwas in ihm ausgelöst hatte. Aber das wäre wohl alles andere als schlau gewesen. Naja, immerhin verhielt sich Robert ihm gegenüber jetzt wieder normal. Auch wenn er selber keineswegs zu Normalität zurückkehren konnte.

Aber er sollte sich nichts mehr anmerken lassen. Das war jedoch schwieriger, als er gedacht hatte. Jedes Mal, wenn er Robert sah, spürte er wieder seine warmen, weichen Lippen auf seinen eigenen. Obwohl es doch schon längst vergangen war. Und Robert schien so gut damit klar zu kommen. Er ließ sich kaum anmerken, dass überhaupt etwas zwischen ihnen passiert war. Und das machte Christian auch ziemlich verrückt. Und verunsicherte ihn.

Mittlerweile waren sie wieder in ihren Häusern angekommen. Olaf hatte beschlossen, dass sie die gemeinsame Aktivität am Abend streichen würden, da es offenbar nicht nur Kevin nicht sonderlich gut ging. Also stand nur noch das Abendessen an. Und den Rest des Tages sollte er wohl mehr oder weniger in der Nähe von Robert verbringen. Aus dem Weg gehen konnten sie sich in ihrem kleinen Haus auch kaum. Deshalb war es alternativlos.

Sie saßen beide auf dem viel zu kleinen Sofa, als Christian nervös auf seinem MacBook herum tippte. Eigentlich nur, damit er überhaupt eine Aufgabe hatte. Und damit er nicht die ganze Zeit zu Robert starrte. Dieser hatte ein Buch in der Hand und seine Brille auf der Nase. Und schien tatsächlich sehr vertieft zu sein. Christian stellte fest, dass Robert eigentlich wirklich attraktiv war. Zumindest für einen Mann. Er hatte keine Ahnung, wieso ihm solche Gedanken schon wieder in den Sinn kamen. Aber in ihm spielte ja momentan sowieso alles verrückt. Und dann erschien auch noch auf seinem MacBook das Instagram Profil von Franca. Verdammt! Er musste dringend mit ihr reden. Ihr irgendwie erklären, dass er einen dummen Fehler gemacht hatte. Der sich momentan eigentlich gar nicht so dumm anfühlte.

Irgendwann schaute Robert auf und blickte zu Christian. Wahrscheinlich fragte er sich, warum er so nervös auf dem Bildschirm seines MacBooks herum tippte.

"Ist alles in Ordnung? Oder kann man dir irgendwie helfen bei dem, was du da tust?", fragte Robert ohne weitere Hintergedanken.

"Nein. Ich habe nur gerade...ach ist auch egal. Ich frage mich nur gerade, wie man es seiner Verlobten erklären kann, dass man sie betrogen hat. Ich denke, da kannst du mir auch nicht helfen.", antwortete Christian sichtlich genervt. Konnte Robert ihn nicht mal mit diesen Fragen in Ruhe lassen?!

"Sorry. Ich hab nicht drüber nachgedacht. Aber wenn du mir einen Kommentar erlaubst, Ehrlichkeit ist doch immer die beste Strategie. Welcher Mensch schätzt Ehrlichkeit denn nicht, auch wenn es schmerzhaft ist? Vielleicht solltest du es einfach klar und schnell durchziehen und ihr sagen, was du denkst und was passiert ist."

"Wenn ich denn selber wüsste, was ich denke.", sagte Christian nur leise und verbittert. Eigentlich sollte er mit Robert nicht darüber reden. Aber er war gerade für ihn da und gab ihm ein gutes Gefühl. Was mal wieder nicht wirklich logisch war, fand Christian. Seine Logik war wohl auf der linken Spur in seinem Porsche ohne ihn davon gefahren und nicht mehr anwesend. Aber er ignorierte es einfach.

"Aber du bereust es doch! Dann sag ihr das doch. Immerhin seid ihr verlobt und ihr werdet euch ja sicher unglaublich lieben. Vielleicht wird sie dann über diesen Fehler hinwegsehen können. Hoffentlich wird sie das."

Christian seufzte. Robert verstand es nicht. Verstand nicht, dass er selber doch nicht wusste, ob es überhaupt ein Fehler war. Ob er Franca wirklich so sehr liebte. Denn immerhin war ihm klar, dass er auch durchaus Gefühle für Männer hatte. Und dass dieser Kuss mit Robert alles zum Einstürzen bringen könnte. Seine ganze Fassade, hinter der er sich versteckt hat. Zusammen mit Franca und seinem Image als Frauenschwarm. Robert hatte ihn wieder daran erinnert, dass es nur eine Fassade war.

"Du verstehst es nicht. Wahrscheinlich kannst du es gar nicht verstehen. Das Alles ist viel grundsätzlicher. Ich habe nicht nur meine Verlobte betrogen, ich habe in gewisser Weise mich vor mir selbst offenbart. Und dadurch Alles infrage gestellt, was ich mir mit Franca aufgebaut habe. Im Prinzip mein ganzes privates Leben. Denn ich habe einfach immer ignoriert und verdrängt, dass ich nicht nur auf Frauen stehe."

Jetzt war es raus. Und Robert schaute ihn erstaunt an und schien nach den richtigen Worten zu suchen. Mit dieser Beichte hatte Robert jetzt wohl ziemlich sicher nicht gerechnet. Und Christian war wieder völlig durch den Wind. Robert hatte es schon wieder geschafft, seine Fassade zum Bröckeln zu bringen. Und jetzt hatte er ausgerechnet ihm, denjenigen, den er geküsst hatte, Robert Habeck, erzählt, dass er zumindest mal nicht heterosexuell war. Was ein erschütternder Gedanke, der sich langsam in sein Gedächtnis einbrannte, während Robert nichts sagte.

"Das verändert die Situation natürlich. War es denn ein Fehler? Hat es sich für dich falsch angefühlt? Sei ehrlich mit mir, Christian. Dann kann ich es auch zu dir sein."

Christian atmete tief durch und fragte sich, was er da eigentlich tat. Wieso er überhaupt mit Robert sprach. Aber es fühlte sich nicht falsch an. Es musste jetzt einfach raus. Sonst würde er nur weiter an seinen Gedanken ersticken.

"Nein, es hat sich nicht falsch angefühlt. Und ich weiß auch nicht, ob es ein Fehler war. Vielleicht musste ich einfach merken, dass es so nicht weitergehen kann. Mit mir. Und dann wäre es alles andere als ein Fehler. Aber wenn du Ehrlichkeit forderst muss ich dir auch sagen, dass ich nicht weiß, welche Rolle du in dieser ganzen Rechnung spielst. Denn eigentlich bist du mein absoluter Konkurrent, hast völlig abwegige Vorstellungen und Ideen und wir kennen uns ja eigentlich kaum. Aber andererseits stelle ich fest, dass du sympathisch bist und mich nicht vollkommen kalt lässt."

Christian schaute ein wenig beschämt zur Seite, damit er Roberts Reaktion nicht sehen musste. Denn es war alles so abwegig und unlogisch. Eigentlich müsste Robert ihn für seine Worte auslachen. Wie sollten sie jemals wieder normal miteinander umgehen?

"Und wenn ich ehrlich bin, beschreibt das meine Situation auch ziemlich gut. Ich weiß nicht, was das hier mit uns ist. Und ich weiß auch nicht, was es werden soll. Und überhaupt kann ich nicht sagen, was ich plötzlich an dir finde, Christian. Aber es ist irgendwas da. Irgendetwas, was mich dazu verleitet, dich nicht weiter als den nervigen liberalen Konkurrenten zu sehen. Bitte lass uns herausfinden, was es ist."

Christian war erst überrascht, hätte er doch mit etwas vollkommen anderen gerechnet. Dass er ihn auslacht. Dass er ihn fertig macht. Dass er einfach aufsteht und geht. Aber nicht das. Und jetzt sah er, wie verletzlich auch Robert in dieser Situation war. Wie verletzlich er sich vor ihm gemacht hatte. Und wie automatisch beugte sich dieses Mal Christian leicht nach vorne, führte seine Zeigefinger an Roberts markante Wangen und zog ihn so leicht nach oben. Denn so konnte er dann seine Lippen auf die des Grünen legen. Erneut. Und es fühlte sich nicht falsch an. Christian wusste zwar nicht, was es war, aber es war nicht falsch. Diese Rechnung musste er jetzt nur lösen. Und verstehen.


Wenn man nicht schlafen kann, kommt eben einfach noch ein Kapitel ;)

Habt ihr damit gerechnet? Es geht auf jeden Fall voran mit den beiden!
Ich hoffe es gefällt euch :)

Fahrt ins UngewisseWhere stories live. Discover now