18 - Kevin

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Als Kevin am nächsten Morgen wach wurde, musste er sich erstmal verwundert umschauen. Das war definitiv nicht sein Zimmer. Und auch nicht sein Bett. Wo war er denn hier gelandet? Es dauerte einige Sekunden, bis er sich wieder daran erinnern konnte, was am gestrigen Tag passiert war. Die Bootsfahrt, sein Unwohlsein, Lars, der für ihn da war. Und dann musste er wohl bei Lars eingeschlafen sein. Er erinnerte sich nur noch, wie sein Kollege darauf bestanden hatte, dass er sein Bett benutzen sollte. Und nicht wieder zu Marco gehen musste. Dafür war Kevin auch wirklich dankbar. Als er sich aufsetzte, merkte er allerdings sofort, dass dies keine gute Idee war. Es drehte sich alles um ihn herum und er ließ sich wieder in das Kissen sinken. Gesund war er also nach wie vor nicht, was Kevin ziemlich nervte. Er war ja nicht hier, um krank zu sein.

Ein Blick auf sein Handy ließ ihn dann wieder geschockt aufatmen. Es war schon längst später Mittag und er hatte den ganzen Morgen verschlafen. Dann hatte er ja das Frühstück verpasst! Mit einem schlechten Gewissen wollte er schon wieder aufstehen, als sich die Tür langsam öffnete.

"Oh, du bist wach. Wie geht's dir?", fragte ein ziemlich besorgter Lars.

"Frag besser nicht. Alles andere als gut. Aber warum hat mich denn niemand geweckt? Jetzt hab ich ja schon das Frühstück verpasst, das wird Olaf sicherlich nicht..."

"Es ist alles in Ordnung. Ich hab mit Olaf geredet, du bist heute für den Tag entschuldigt und ich muss mich an den Treffen heute auch nicht beteiligen. Außerdem hab ich dir einfach Frühstück mitgebracht, das war auch kein Problem. Wichtig wäre jetzt erstmal, dass es dir wieder besser geht."

Erleichtert nickte Kevin und war froh, dass er keine Probleme bekommen würde. Und dass Lars sich mal wieder um alles gekümmert hatte. Womit hatte er das nur verdient? Naja, vielleicht sorgten sich Freunde einfach so umeinander. Als er es dann doch irgendwann schaffte aufzustehen, musste er bei einem Blick in den Spiegel feststellen, dass er wirklich alles andere als gut aussah. Eigentlich war es ihm ziemlich unangenehm, sich Lars so zu zeigen. Aber gleichzeitig hatte er auch keine Kraft, sich darüber Gedanken zu machen. Deshalb begab er sich ins Wohnzimmer und erschrak leicht, als er die ganzen Lebensmittel auf dem kleinen Tisch stehen sah.

"Ich wusste nicht, was du haben willst, deshalb hab ich mal alles Mögliche mitgebracht.", sagte Lars nur kleinlaut.

Kevin staunte nicht schlecht. Lars hatte wirklich an alles gedacht, was ihn doch ziemlich verwunderte. Seit wann sorgte sich sein Kollege so um ihn? Es durchzog ihn ein Kribbeln, was sicherlich nicht krankheitsbedingt war. Und er bedankte sich bei Lars, auch wenn ihm klar war, dass er das alles niemals essen könnte und sollte. Aber die Geste zählte doch.

Nach einiger Zeit verabschiedete sich Lars und ließ Kevin dann doch fürs erste alleine, weil er an dem gemeinsamen Nachmittag mit den anderen zumindest erstmal teilnehmen wollte. Besser gesagt, Kevin hatte ihn dazu überredet, dass er nicht bei ihm bleiben müsste. Einerseits, weil er sich ein wenig schuldig fühlte für die Situation. Andererseits, weil Kevin ein wenig Zeit für sich brauchte. Deshalb ging er dann auch wieder fürs erste in sein eigenes Haus, Marco war ja auch nicht da, und sorgte dafür, dass er nicht mehr so schlecht aussah. Eine kalte Dusche konnte da sicherlich nicht schaden. Aber von seinen immer wiederkehrenden Gedanken blieb er trotzdem nicht verschont. Wieso verhielt sich Lars plötzlich so? So war es doch sonst nie.

Und natürlich wusste Kevin, dass es für ihn längst nicht mehr nur Freundschaft zwischen ihnen war. Seit Monaten wusste er es schon. Und jetzt ist es wieder so präsent. All die Monate hatte er versucht, seine Gefühle zu verdrängen. Immerhin handelte es sich hier um seinen Parteivorsitzenden, den er zusätzlich nicht als guten Freund verlieren will! Und er ist zudem auch glücklich verheiratet. Das alles machte es nicht einfacher. Kevin verstand es selbst nicht. Warum ausgerechnet Lars? Warum hatte er sich nicht in jemand anderen verlieben können, bei dem auch eine realistische Chance bestand, dass sie zusammen kamen? Warum konnte er nicht einfach mal glücklich werden? Warum war das Leben so kompliziert?

Und jetzt waren natürlich wieder all seine Gefühle aufgekommen. Nachdem sich Lars so sehr um ihn gesorgt hatte. Aber Kevin wusste genau, dass er da nicht allzu viel rein interpretieren sollte. Er würde sich definitiv keine Hoffnungen machen! Das würde nur schmerzhaft enden. Aber es war jetzt schon schmerzhaft. Würde es Kevin nicht sowieso schon schlecht gehen, dann wäre es spätestens jetzt soweit. Er konnte nicht definieren, ob das Wasser, was auf ihn nieder prasselte, der Dusche entstammten oder seine eigenen Tränen waren. Eigentlich wollte er nicht schon wieder schwach sein. Er hasste es, sich so selbst zu bemitleiden. Aber wenn ihn niemand sah, er alleine war, dann überkam es ihn doch manchmal. Und dann half es auch nichts, daran etwas ändern zu wollen. Sein Kopf war auch nicht immer stärker als seine Emotionen.

Viel zu lange stand er unter der Dusche, das sollte man dem Wirtschaftsminister besser nicht verraten, bis er sich endlich ein wenig besser fühlte. Auch wenn er im Spiegel genau seine geröteten und gläsernen Augen sah. Aber das war jetzt auch egal. Wenigstens hatte er dieses Gefühl von krank sein abgespült. Als er die Tür des Badezimmers öffnete, bekam er einen Schreck. Marco war schon wieder zurück, saß auf dem Sofa und schaute gespannt zu dem Sozialdemokraten.

"Schon wieder zurück?", fragte Kevin erstaunt und hoffte, dass Marco nicht bemerkte, wie schlecht er sich vorhin noch gefühlt hatte.

"Ja, es ist ja schon relativ spät. Und gleich gibt es Abendessen, falls du es noch nicht weißt und auch kommen möchtest. Apropos, geht's dir besser?", fragte Marco dann doch. Ganz empathielos war er ja auch nicht. Kevin setzte sich mit etwas Abstand neben Marco auf das Sofa und seufzte. Sein klarer Kopf hatte ihn wieder verlassen. Tausend Gedanken kamen wieder auf, die er doch eigentlich unterdrücken wollte.

"Ja, mehr oder weniger. Zumindest fühle ich mich nicht mehr krank. Und alles andere sollte egal sein."

"Alles andere? Du siehst nicht so aus, als ob es ansatzweise egal wäre."

Kevin war ziemlich verwundert ob der Worte. Was war denn mit Marco los? Seit wann ging er denn darauf ein, was Kevin sagte? Er zeigte ihm doch sonst, wann immer es möglich war, die kalte Schulter. Aber jetzt schien er wie ausgewechselt. Vielleicht sorgte Kevin's Anblick einfach dafür, dass er Mitleid empfand. Etwas anderes konnte sich Kevin nicht vorstellen.

"Sieht man es mir so sehr an?", lachte Kevin leicht und war dabei doch ziemlich nervös geworden. Was sollte er Marco denn jetzt sagen? Sollte er überhaupt etwas sagen? Immerhin war es Marco, mit dem er doch eigentlich gar nicht klar kam. Aber vielleicht hatten sie sich da auch beide in etwas verrannt, was so eigentlich nicht sein müsste. Vielleicht könnte man ja doch mit Marco klar kommen. Aber sicher war sich Kevin da noch nicht.

"Nein, es ist nicht egal. Aber wer bin ich, dass ich dich damit belästigen sollte.", antwortete Kevin also nur vage. Woraufhin Marco ein Grinsen ins Gesicht schlich. Irritiert wartete Kevin darauf, dass er etwas sagte.

"Glaubst du wirklich, dass ich so wenig Empathie habe? Nur, weil wir bisher eher nicht so gut miteinander klar gekommen sind? Mir ist es aber nicht egal, wenn es den Menschen um mich herum schlecht geht. Und jetzt wohnen wir hier diese 10 Tage eben zusammen und ich will dich auch nicht weiter ignorieren. Und ich bin sehr objektiv, immerhin kenne ich dich kaum. Also, wenn du was sagen willst, dann tu das. Immerhin bin ich auch Jurist, ich kenne mich mit Schweigepflicht und all sowas aus."

Kevin war ziemlich beeindruckt, als er die Worte hörte. Wahrscheinlich war es wirklich Mitleid. Oder ein Sinneswandel. Aber letztlich ja auch egal. Er nahm es einfach so hin und war froh darüber, dass er jemanden gefunden hatte, dem er zumindest grob sein Leid klagen kann. Auch wenn es Marco war.

"Danke, Marco. Ja, es ist alles sehr kompliziert. Es sind private Probleme, die ich seit Monaten habe. Um genau zu sein, weiß ich einfach nicht, wie ich mit Gefühlen umgehen soll, die von der anderen Person nicht erwidert werden. Und die mich immer wieder einholen. Heute war es besonders schlimm. Aber eigentlich möchte ich mich nicht in Selbstmitleid verlieren. Aber es ist wirklich nicht einfach, wenn man immer wieder daran denken muss."

Kevin blickte bedrückt zu Boden und Marco verstand das Problem. Und war gleichzeitig doch ein wenig froh, dass sich Kevin ihm anvertraut hat. Menschlich gesehen war er doch gar nicht so schlimm. Politisch war das etwas anderes.

Wie versprochen gibt es also mehr Informationen zu Kevin und Lars... Aber ob es für die beiden wohl Hoffnung gibt? Oder steht Lars der Sache im Weg?

Wie immer danke ich euch fürs Lesen und bis zum nächsten Kapitel!

Fahrt ins UngewisseKde žijí příběhy. Začni objevovat