4 | Erinnerungen

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Langsam lief ich den Flur entlang, mit dem Strauß Rosen in meinen Händen und dem schweren Rucksack an meinem Rücken. Ich hoffte sehr, dass sich Jimin über die Dinge freute, die ich ihm mitgebracht habe. Es wird ihm doch gefallen, oder? Er war doch noch immer mein Jimin von damals. Nicht wahr?

Wieder stand ich vor der weißen Tür und wieder kämpfte ich damit, sie zu öffnen. Ich schlug einfach Wurzeln und war mal wieder am überlegen, einfach alles vor die Tür zu legen und zu verschwinden. Denn langsam wird all das zu viel für mich. Ich... kann das nicht mehr.

Ich musterte die matten Zahlen, die silberne Türklinke und roch das Desinfektionsmittel. Nein, heute war kein guter Tag. Ich würde es nicht schaffen können ihm in die Augen zu sehen, denn dann brach mein Damm und ich konnte den Anfluss an Gefühlen nicht mehr kontrollieren. Ich fühlte mich wie in einem kleinen Käfig und auch wenn dessen Tür offen war, blieb ich drinnen. Denn da war jemand, der ohne mich dort alleine wäre und das durfte ich nicht zulassen.

Langsam öffnete ich die Tür, blickte direkt in das Zimmer hinein und wurde von den kalten Sonnenstrahlen begrüßt, die mir ins Gesicht schienen. Ich sah zum Krankenbett, auf dem meine kleine Blüte saß und das Buch von gestern auf dem Schoß hatte, um es wieder durchzublättern.

Ich musste bei diesem Anblick lächeln, wie er seine Beine herunter baumeln ließ und seinen Kopf etwas gesenkt hatte, damit er sich die Bilder ansehen konnte. Und trotzdem tat es so schrecklich weh. "Jimin?", fragte ich und als er seinen Blick hob, konnte ich ihm sofort in die Augen sehen. Seine wunderschönen, braunen Augen.

"Ich habe dir heute was mitgebracht." Ich trat weiter ein, legte den Blumenstrauß auf den Tisch und stellte meinen Rucksack auf dem Boden ab. Ich konnte seinen Blick an meinem Rücken spüren und es tat mir so unendlich leid, dass er es nicht verstand. "Wer bist du?" Der Pfeil schoss direkt durch mein Herz hindurch.

Mir war doch bewusst gewesen, dass ich heute nicht in der Verfassung war dies durchzustehen, also wieso bin ich trotzdem gegangen? Wieso tue ich mir diesen Schmerz an, wenn ich doch weiß, dass ich daran zerbrechen werde. "Ich bin Yoongi, dein Freund." Die Worte waren wie einstudiert. Ich fühlte mich wie in einer Zeitschleife, als wäre ich dort stecken geblieben und müsste jedes Mal denselben Tag erleben. Ein Tag ohne Veränderung, ein Tag ohne bleibende Errinerungen.

"Mein Freund?", fragte er und ich zog meine Jacke aus, hing sie über den Stuhl und kniete mich wieder vor ihn. Ich umhüllte seine Hände mit meinen und nickte lächelnd. "Ja, dein fester Freund. Wir sind schon ein paar Jahre zusammen." Jimin musterte mich mit diesem Blick, den ich immer abbekam und ich spürte, wie er seine Hände aus meinen ziehen wollte. Ich..

"Ich kenne dich aber nicht." Lange sah ich ihn an. Er sah nervös aus, ängstlich und scheiße, ich konnte es ihm nicht verübeln. Ich meine, was würde ich denn denken wenn ein Typ dahergelaufen kam und mir sagte, er seie mit mir schon seit Jahren in einer Beziehung? Eine Beziehung, an die ich mich überhaupt nicht erinnern konnte. "Ich weiß doch, ich weiß. Aber.. weißt du Jimin, du leidest an einer Störung. Deswegen weißt du nichts mehr." Jimin runzelte seine Stirn, er verstand nicht, was ich damit meinte.

"Du hattest einen Unfall gehabt und hast seitdem dein gesamtes Gedächtnis verloren, weißt du? Du kannst nicht einmal mehr lesen oder schreiben. Es ist ein Wunder, dass du mich überhaupt noch verstehen und selber sprechen kannst." Ich drückte leicht seine Hände, stand dann auf und holte aus meinem Rucksack ein Bild heraus. Auf diesem waren er und ich abgebildet, mit Jungkook, Hoseok und Jin. Wir hatten mit ihnen gefeiert und viel Alkohol getrunken, was man auf dem Foto an unseren verschleierten Blicken und den roten Wangen erkennen konnte.

Wieder kniete ich mich vor ihn hin, reichte ihm das Bild und gab ihm etwas Zeit, dieses genau zu mustern. Er drehte das Foto um und betrachtete das Datum, welches ich damals dort hin geschrieben hatte. "Da waren wir noch nicht in einer Beziehung gewesen. Es war eine ziemlich turbulente Zeit für mich gewesen, da ich total auf dich abgefahren bin und es gleichzeitig auch so schwer hatte, mich normal in deiner Gegenwart zu verhalten."

Ich zeigte auf meine drei Freunde und lächelte Jimin an. "Das sind Jin, Hoseok und Jungkook. Wir haben sie damals in der Schule kennengelernt und seitdem unternahmen wir jeden Tag etwas miteinander." Seufzend rieb ich mir über meine Augen und lächelte bitter. "In der Nacht, als ich das Foto von uns gemacht habe, sind wir uns näher gekommen. Wir haben uns irgendwann sogar von den anderen entfernt und haben draußen zwischen den Bäumen rumgeknutscht. Mir-.. mir hat das wirklich gefallen und du warst ebenfalls nicht abgeneigt von mir gewesen, also sind solche Kleinigkeiten immer mal wieder passiert. Eine Umarmung, die etwas zu intensiv war oder ein Kuss, den man so nicht mit normalen Freunden austauscht."

Jimin's Wangen nahmen eine rote Farbe an und ich schmunzelte nur etwas. "Irgendwann hat Jin-Hyung dieses Knistern zwischen uns bemerkt und es dann den anderen erzählt. Ich weiß noch, wie mir das alles unendlich peinlich war und als du dann noch rausgehauen hast, dass wir sogar bei denen Zuhause mehr als nur einmal rumgemacht haben, bin ich völlig im Erdboden versunken." Es machte mich so fertig davon zu erzählen. Von der Zeit, wo alles noch so unbeschwert lief. Wo ich Jimin ohne Hintergedanken lieben und halten konnte.

"Du warst immer so laut und ehrlich gewesen und das habe ich so sehr an dir gemocht. Du hast nie ein Blatt vor dem Mund gehalten und dich mit jedem angelegt, der dir ein Dorn im Auge war, während ich dich im Hintergrund angefeuert habe. Gott, deine Art war so attraktiv Jimin, das glaubst du mir gar nicht." Ich rieb mir mit meinem Ärmel über meinen Augen und schluckte schwer. Er legte das Bild zur Seite, woraufhin ich seine Hände in meine nahm und sie leicht drückte.

"Manchmal habe ich mich so gefühlt als seist du derjenige, der mich beschützt und nicht andersherum. Du hast immer so laut und schön gelacht und deine Umarmungen waren so fest, dass ich fast erstickt bin. Und trotzdem warst du so sanft und vorsichtig und hast mir das Gefühl gegeben, geliebt zu werden. Ich konnte bei dir so glücklich und unbeschwert sein und.. und Jimin, du bist das kostbarste, was ich in meinem erbärmlichen Leben habe."

𝐁𝐈𝐓𝐓𝐄𝐑𝐒𝐖𝐄𝐄𝐓Where stories live. Discover now