9 | Silvesternacht

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"Wie wärs, ich kann das nächste Mal ja etwas mitbringen." Jimin's Augen begannen zu funkeln. Ich lächelte, hatte dabei einen bitteren Beigeschmack im Mund. Das nächste Mal.. "Ja? Das würdest du tun?", fragte er erfreut und nickte zusätzlich. Er freute sich so süß und irgendwie erinnerte mich sein Grinsen an einen Zeitpunkt, den wir miteinander verbracht haben. Das letzte Silvester, als wir draußen in der Kälte standen.

"Ja? Das würdest du wirklich tun?" Ich lachte leise, legte ihm meine dicke Jacke um die Schultern, die Mütze auf seinen Kopf. "Ja, ich würde sogar nackt in den Schnee springen, nur damit du mir nicht erfrierst." Er brach in schallendes Gelächter aus. Seine Nase und die Fingerspitzen waren schon ganz rot angelaufen. "Ach ja?"

"Jaja, ich schwöre es." Er warf sich um meinen Hals und ich konnte seine kalten Lippen an meiner Wange spüren. Ohne meine Jacke begann ich ja tatsächlich zu frösteln und ich fragte mich, wie er so lange in dieser Kälte nur in einem Pulli stehen konnte. "Du Spinner!" Seine Lippen trafen meine andere Wange. Mir wurde ganz warm.

"Stimmt, die Nachbarn tun mir leid, sollte sie diesen schrecklichen Anblick zu Gesicht bekommen." Jimin kicherte in mein Ohr und er löste sich von mir, breitete die Jacke aus und umhüllte mich dann mit ihr. Verträumt legte ich meine Arme um ihn und hörte im Hintergrund die lauten Knaller der Silvesterraketen. Der Himmel begann zu glitzern und leuchtete in allen Farben. "Auf ein wunderschönes, neues Jahr, in dem wir weiterhin zusammen bleiben."
"Nur du und ich?"
"Nur du und ich."

"Magst du mir sagen, was genau du haben wollen würdest?" Mir brannte wieder der Hals. Die Erinnerung an diese sorgenfreie Nacht machte es mir schwer, noch ruhig zu bleiben und ohne einen gequälten Gesichtsausdruck sprechen zu können. Ich.. hatte alles verloren. Hatte ich doch, nicht wahr? "Hauptsache kein Brokkoli." Ich hörte ihn schmunzeln.

Ich wendete meinen Blick ab, atmete einige Sekunden durch und nickte dann. "Gut, dann bringe ich dir ein Kilo Brokkoli mit. Oder nicht eher zwei?" Jimin lachte leise. Er lachte so wunderschön und zuckersüß, dass meine Mundwinkel ebenfalls zuckten und ich mich ihm anschloss. Es fühlte sich wirklich gut an, wieder zu lachen. Wie lange habe ich dies nicht mehr getan? Richtig, das letzte Mal war ja mit Jimin gewesen. Als er noch bei sich Zuhause war. Als er bei uns Zuhause war.

"Störe ich?" Doktor Namjoon kam rein. Seine Haare waren etwas zerzaust und sein Blick war trübe, aber dennoch lächelte er. Ich musterte seine Grübchen und sah zu Jimin rüber. "Ja." Er hatte noch nicht einmal geklopft. Namjoon lachte leise, winkte nur ab und nahm sich den anderen Stuhl, schob ihn auch zu Jimin an's Bett. Aber ich hatte es doch ernst gemeint! Kannst du nicht einfach gehen?

"Na Jimin, du bist ja noch am essen.", meinte der Doktor freundlich und Jimin nickte daraufhin nur etwas. Er schien wieder ganz schüchtern und machte sich sogar etwas klein. Mein armer, armer Jimin.. "Ich bin Namjoon, dein Arzt. Darf ich dir ein paar Fragen stellen?" Und schon ging es wieder los.

Die Zeitschleife begann an Form zuzunehmen, ich hörte Namjoon's Fragen nur dumpf und Jimin's Antworten nahm ich erst recht nicht wahr. Ich wusste doch schon, wie das alles ablief. Was Jimin sagen würde. "Mir geht es gut. Schmerzen? Nein, ich habe keine Schmerzen. Aber meine Beine fühlen sich etwas taub an." oder: "Ja, mir schmerzt der Rücken vom Sitzen. Aber weitere Beschwerden habe ich nicht." Es war nämlich immer nur das gleiche. Immer und immer wieder.

"Yoongi könnte dich doch zum Badezimmer begleiten. Nicht wahr?" Ich zuckte bei der Nennung meines Namens hoch, sah direkt in Namjoon's Gesicht. Er musterte mich streng, deutete mit seinen Augen auf meine Blüte. Was? "Ja, klar.", stotterte ich schnell, stand auf und griff Jimin unter seine Arme. Seine Beine berührten den Boden und ich zog ihn etwas zu mir, woraufhin er einknickte und leise keuchte. So ein Mist!

"Alles okay?", fragte ich erschrocken und kniete mich zu ihm runter, strich über seinen Oberarm. Sein Blick war verängstigt und panisch und er versuchte sich an dem Bett hochzuziehen, aber er schaffte es nicht. "Ich-! Meine Beine! Ich kann nicht aufstehen!", hauchte er leise und er krümmte sich zusammen, begann dann leise zu weinen.

Namjoon eilte aus dem Raum, vielleicht ließ er uns auch einfach alleine, vielleicht holte er auch Hilfe. Ich gab mir Mühe dabei Jimin hochzuheben und wieder auf dem Bett abzusetzen, denn er war irgendwie schwerer als ich gedacht hatte und da sich selber nicht stützen konnte, musste ich sein ganzes Gewicht hochhiefen.

Schnaufend setzte ich mich neben ihn, nahm ihn in den Arm und strich über seinen Kopf. Er weinte immernoch kleine Tränen, die auf seine Oberschenkel tropften und seine Hose ganz nass machten. Mir tat das alles so schrecklich leid. Er verstand nicht einmal, was los war. Wieso er nicht laufen oder gar stehen konnte. Ich..

"Es ist alles in Ordnung.", flüsterte ich ihm zu und sah Namjoon mit einem Rollstuhl rein kommen. Hinter ihm ein anderer Pfleger, welchen ich schon viel zu oft gesehen hatte. Und dabei war ich nicht einmal derjenige, der als Patient im Krankenhaus lag. "Hey Jimin, alles ist okay.", lächelte der Pfleger, Hoseok, und setzte sich ebenfalls neben Jimin. Ich glaube, er war noch in der Ausbildung oder so.

Jimin schluchzte unverständliche Dinge und schüttelte auf die Frage hin, ob er sich mal in den Rollstuhl setzen wollte, seinen Kopf. Ich bat den Doktor und Hoseok leise, den Raum zu verlassen und begründete dies damit, dass ich Jimin am Besten beruhigen konnte (ob das noch stimmte, wusste ich nicht.)

Netterweise hörten sie auf meinen Vorschlag und ließen uns kurz darauf alleine. Jimin weinte nicht mehr lange, aber er schien noch immer wirklich niedergeschlagen und verwirrt. Schniefend rieb er sich über seine nasse Hose und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Er hatte sich an mich gelehnt und seinen Kopf auf meiner Schulter abgelegt.

"Du möchtest also nicht in den Rollstuhl?", fragte ich leise und Jimin schüttelte sofort den Kopf. Das konnte ich verstehen. Ich würde das auch wirklich ungern wollen. "Weißt du, ich habe da eine Idee.", lächelte ich leicht und löste mich von ihm. Ich legte meine Hände an seine Wangen, musterte seine geröteten Augen. "Der Doktor holt für mich einen zweiten Rollstuhl und dann fahren wir draußen ein bisschen herum. Zusammen. Wie hört sich das für dich an?"

Jimin schüttelte wieder seinen Kopf. Ich schnaubte auf. "Hä?! Wie kannst du denn Nein dazu sagen? Weißt du eigentlich, wie schön es draußen ist?" Er zögerte, sah dann langsam zum Fenster und musterte die schneebedeckte Außenwelt. Ich lächelte ihn an. "Ich gebe dem Arzt Bescheid und in der Zeit isst du den Rest auf. Dann ziehen wir uns dick an und gehen raus. Gut? Gut."

𝐁𝐈𝐓𝐓𝐄𝐑𝐒𝐖𝐄𝐄𝐓Opowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz