1 - Robert

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Ungeduldig stand Robert vor seiner Berliner Wohnung. Zehn Minuten. Zehn Minuten waren sie schon zu spät. Der kleine Bus hätte längst da sein sollen. Aber auch als er wieder von seinem Handy aufsah, konnte er nichts dergleichen erkennen. Na gut, es war in der Straße auch noch ziemlich dunkel. Immerhin war es noch Winter. Aber so langsam wurde es Zeit, dass Robert nicht mehr draußen in der Kälte stehen musste. Hätte er mal eine wärmere Jacke angezogen, ärgerte er sich leicht über sich selbst. Aber dann endlich die Erlösung. Am Ende der Straße erschien ein blauer, kleiner Bus. Und hielt direkt vor ihm. Als die Tür geöffnet wurde, schnappte sich Robert seine Umhängetasche und begab sich schnell ins Warme. Claudia Roth strahlte ihn vom Fahrersitz aus an und freute sich sichtlich über das Dasein des Grünen. Aber Robert fragte sich nur, seit wann Claudia einen Busführerschein hatte? Die Frau überraschte ihn doch immer wieder. Verrückt.

"Robert, da sind wir endlich. Nun los, komm schon rein und such dir einen Platz. Wir haben nicht ewig Zeit. Wie du siehst, sind wir schon im Verzug. Aber ich freue mich sehr über etwas grüne Unterstützung hier."

Robert nickte nur und schaute sich im Rest des Fahrzeugs um. Und fragte sich sogleich, warum er das alles mitmachte. War er wirklich für solche Aktivitäten Vizekanzler geworden? Die ganze Idee hingegen stammte vom Kanzler. Er wollte die eigentlich ganz gute Stimmung in der Führungsspitze der Koalition aufrecht erhalten. Deshalb hatte er vorgeschlagen, im Januar zehn Tage mit wichtigen Vertretern der Ampelfraktionen gemeinsam an die See zu fahren. Dort sollten sie ihre Gemeinschaft stärken und neue Ideen entwickeln. Dafür hatten sie ein ganzes Hotel gebucht, in dem sie ungestört die Tage verbringen sollten. Erst war Robert ja ganz angetan von der Idee, einige Tage an die See zu fahren und dort vertraulich zusammen arbeiten zu können. Aber die Lust war ihm doch mittlerweile schon vergangen. Es war auch noch viel zu früh am Morgen.

Ganz hinten im Bus sah Robert Christian Lindner und Marco Buschmann. Natürlich hatten sie die Köpfe zusammen gesteckt und schienen sich sehr angeregt zu unterhalten. Bestimmt über Aktien. Oder über Marcos neuesten Song. Es war Robert in dem Moment ziemlich egal. Immerhin waren sie relativ ruhig. Davor saß Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die ziemlich motiviert aussah. Beinahe so wie Claudia. Ziemlich unheimlich, fand Robert. Das sollte man unbedingt im Auge behalten. Etwas weiter vorne erkannte Robert Lars Klingbeil und Kevin Kühnert, die nebeneinander saßen und sich angeregt unterhielten. Offenbar über Musik. Robert konnte vernehmen, dass sie wild Argumente wechselten, weshalb Klingbeil zum nächsten Roland Kaiser Konzert mitkommen sollte, oder eben nicht. Die SPD war wohl selber nicht so angetan von der Idee ihres eigenen Kanzlers, weshalb bisher keiner der Minister:innen im Bus saß. Da mussten dann wohl Parteivorsitzender und Generalsekretär herhalten. Ganz vorne saßen Olaf Scholz und Bärbel Bas. Scholz schien zu schlafen, währenddessen die Bundestagspräsidentin ein Buch aufgeschlagen hatte. Auch ein interessanter Anblick. Einige Plätze im Bus waren noch frei, weshalb sich Robert relativ weit vorne auf einen fallen ließ. Natürlich nicht, ohne die anderen vorher begrüßt zu haben.

Der letzte Stopp des Busses war in Potsdam. Robert hatte keine Ahnung, warum Scholz nicht auch dort eingestiegen war. Aber es sollte ihm auch egal sein. Sein Blick lag jetzt eher auf den zwei Frauen, die durch die Tür kamen. Claudia wurde ganze euphorisch, als sie Annalena sah. Und unterbrach offensichtlich eine Unterhaltung von den zwei zusteigenden Frauen. Linda Teuteberg, die FDPlerin, ging dann schonmal weiter ins Innere des Busses und ließ sich in eine leere Reihe fallen. Robert wunderte sich, dass sie sich nicht zu den restlichen FDPlern gesellte. Aber eigentlich wunderte sich Robert sowieso, wieso Teuteberg mit war. Immerhin hatte sie keines der höchsten Ämter in der FDP. Aber es hatte sicherlich einen Sinn. Wobei, bei der FDP machte nicht immer alles einen Sinn.

Robert grinste leicht, als Annalena sich auch endlich auf ihn zu bewegte. Er machte extra Platz neben sich, damit sie sich zu ihm setzen konnte. Doch da wusste er noch nicht, was Annalenas Plan war.

"Hey Robert, sei mir nicht böse, aber ich setze mich zu Linda, ja? Wir haben uns eben gut unterhalten und waren eigentlich noch nicht fertig. Vielleicht kann ich ja später zu dir rüber kommen", lachte sie, während sie sich leicht nervös umschaute. Irritiert nickte Robert einfach und ließ seine Parteikollegin weiter ziehen. Seit wann duzten Annalena und die FDPlerin sich? Und war ihr ihre Gesellschaft lieber, als seine? Offenbar schon. Aber gut, damit musste Robert leben. Und dass er jetzt dort alleine saß, hatte auch etwas positives. Er konnte die anderen in Ruhe beobachten und sich ausruhen. Und er ahnte schon, dass ihm das vor den nächsten Tagen gut tun würde. Doch von vorne wurde diese Ruhe schon kurze Zeit später gestört.

Claudia hatte wohl zu einem Mikrofon gegriffen. Und sprach viel zu motiviert in dieses. Mein Gott Claudia, es war gerade mal 6:21 Uhr, dachte sich Robert.

"Soo, meine Lieben. Wir sind vollständig. Und da der Kanzler offenbar schläft, übernehme ich hier einfach mal. Auch wenn ich gar nicht die Verantwortliche für all das bin. Aber immerhin fahre ich euch."

Claudia wurde unterbrochen von einigen Lachern aus der hintersten Reihe des Busses. Robert drehte seinen Kopf leicht nach hinten und sah Christian und Marco, die sich offenbar über etwas auf Christians Handy amüsierten. Genervt schaute Robert wieder nach vorne. Das konnte noch anstrengend werden, gerade mit den FDPlern. Die lebten doch in einer ganz anderen Welt als Robert. Und als alle anderen. Sie versuchten immerhin, bodenständig zu bleiben. Bei Lindner hatte er nicht den Eindruck. Claudia räusperte sich und zog wieder die Aufmerksamkeit auf sich.

"Wenn ich jetzt die Aufmerksamkeit haben dürfte. Ja? Auch in der letzten Reihe? Na geht doch. Also gut. Wir sind vollständig und werden jetzt etwa 3 Stunden fahren, dann sind wir in unserer Unterkunft angekommen. Dort haben wir kleine Häuser gebucht, in denen jeweils zwei Personen untergebracht sind und ein größeres Gemeinschaftshaus. Olaf hat die Aufteilung der Häuser beschlossen und wird sie uns später, hoffe ich zumindest, noch verkünden. Alle Beschwerden dann bitte zu ihm. Ich bin hier nur die Fahrerin. Wenn wir angekommen sind, erhalten wir auch noch einen ersten Tagesplan für den heutigen Tag. Seid gespannt, das werden sicherlich tolle Tage. Und jetzt geht's los."

Robert glaubte, sich verhört zu haben. Aufteilung auf die Häuser? Und Olaf hatte diese Aufteilung beschlossen? Davon war nie die Rede gewesen. Robert hatte gedacht, dass sie alle ein einzelnes Zimmer in einem Hotel bekommen würden. Oder zumindest innerhalb ihrer Parteien aufgeteilt würden. Aber das war offensichtlich nicht der Fall. Und das bereitete ihm doch einige Sorgen. Und hätte er das gewusst, wäre er vielleicht doch nicht mitgekommen. Wobei, die Grünen waren doch auch jetzt schon bei dieser Fahrt im Vergleich zu SPD und FDP unterbesetzt. Also war es schon gut so, dass er mit war. Was auch immer diese ganze Sache bewirken sollte. Und was auch immer passieren würde.

Ein kurzer Blick zu seiner linken Seite bestätigte Robert, dass Annalena sich immer noch mit Linda unterhielt. Also hieß das wohl, dass er sich die Zeit weiter alleine vertreiben musste. Vielleicht sollte er auch schlafen, so wie der Kanzler es tat. Aber dafür war es Robert doch zu laut. Er brauchte mehr Ruhe. Und bei all den Unterhaltungen in diesem Bus war diese Ruhe mehr Wunsch als Realität. Also holte er endlich sein Handy wieder aus seiner Tasche, suchte nach seiner Brille und öffnete den Chat mit seiner Frau. Wenn ihn jemand ablenken konnte, dann war es Andrea. Oder seine Söhne. Aber die wollte er so früh am Morgen noch nicht nerven.

Nach einiger Zeit ertönte die Stimme des Kanzlers durch den Bus. Sie mussten mittlerweile die Hälfte der Strecke gefahren sein. Und Scholz war offenbar endlich wach.

"Auch von mir noch einmal Herzlich Willkommen und vielen Dank, dass ihr euch hier drauf einlasst. Die Hälfte der Strecke haben wir hinter uns und ich denke, dass ich euch so langsam verraten kann, wie die Aufteilung in den Häusern aussieht. Und vorab schonmal die Bemerkung, dass es selbstverständlich keine Änderungen an dieser Aufteilung gibt. Also gut."


Hier geht's also los! Ich hoffe ihr seid auch gespannt und euch gefällt der Anfang. Selbstverständlich freue ich mich auch über Feedback :)

Fahrt ins UngewisseWhere stories live. Discover now