Kapitel 19

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Erde 2019

Mordlustig starrten Lilliana gelbe Schlangenaugen an.

Sie war starr vor Angst, konnte ihre Gliedmaßen nicht mehr kontrollieren. Ihr Puls war mittlerweile genauso laut wie das bedrohliche Zischen des Nagas, der langsam von der Gasse aus auf sie zu schlängelte. So als kostete er jeden Augenblick ihrer Angst aus. Er wartete auf den Moment, in dem ihre Schockstarre sich lösen und sie eine Entscheidung treffen würde.

Kämpfen oder Fliehen?

Lillianas Hände begannen unkontrolliert zu zittern, während sie stoßweise ausatmete. Und alles, was sie in dem Moment denken konnte, war Nein, das kann nicht sein. Das darf nicht sein.

Der Naga erstreckte sich nun zu seiner vollen Größe und verdeckte so den dunklen Sternenhimmel mit seinen gigantischen Schuppen. Nur wage konnte sie erkennen, dass sich die hintere Hälfte seines Körpers noch in der Gasse befand.

Nein, nicht in der Gasse.

Lauf weg, Lauf weg!

Sie wagte es, einen Schritt zurückzutreten, die Augen weiterhin auf den Naga gefesselt. Doch sie stolperte über einen Kabel, der mit der großen Antenne verbunden war, und fiel unsanft auf den Boden.

Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Das flackernde Bild verschwand nicht, der Naga verschwand nicht. Er war real. Er war hier, auf der sicheren Erde. Nein, nein, das durfte nicht sein.

Fieberhaft suchte sie nach einem Ausweg, während die gelben Augen sich immer weiter näherten, das Zischen immer lauter wurde. Lilliana lief es kalt den Rücken hinunter, während sie versuchte, sich zusammenzureißen.

Das hier war keine Astralreise.

Es war real. Sie konnte sich bewegen. Sie würde nicht sterben.

Sie war Lilliana Anderson, eine Soldatin, eine Kriegerin, die die meisten Nagas in ganz New York getötet hatte.

Sie würde hoch erhobenen Hauptes kämpfen.

Sie wartete, bis sie den Naga mit ihren Augen fixiert hatte, während sie unauffällig die schmale Schwertscheide an ihrem Oberschenkel ertastete. Ihre Hände zitterten noch, doch sie war wild entschlossen. Denn sie wusste, dass ihr nur noch wenige Sekunden blieben.

Also überlegte sie nicht lange. Schnell rollte sie sich zur Seite und zückte ihren Dolch. Ein ohrenbetäubendes Kreischen erklang, das in jeder Faser ihres Körpers widerhallte. Als der Naga sich zur Seite wand und seine triefenden Giftzähne entblößte, sprang Lilliana auf die hohe Antenne. Eine scharf gezackte Zunge blitzte hervor, die ihren Rücken streifte. Von Übelkeit erfasst unterdrückte sie den Schrei, der in ihrer Kehle stecken blieb.

Der Dolch war zu kurz, um ihn damit zu erlegen, ohne sich selbst dabei zerfleischen zu lassen. Also stieß sie sich mit aller Kraft gegen die Antenne, immer wieder, bis sie endlich stürzte und mit ihrem ganzen Gewicht auf den Rumpf des Nagas krachte. Schmerzerfüllt kreischte er wieder auf und Lilliana glaubte, ihr Trommelfell platzte. Blitzschnell griff sie nach den langen Kabeln und sprang mit aller Kraft auf die ledrigen Schuppen.

Wie gehofft wand der Naga sich daraufhin hin und her, was sie ausnutzte, um das Kabel zwei Mal um seinen Rumpf zu schlingen. Irritiert versuchte er sich von ihnen zu befreien, doch Lilliana zog sie bereits so stramm wie möglich. Der Naga gab einen röchelnden Laut von sich, als die Kabeln sich zwischen seine Schuppen bohrten. Und als er immer schwächer wurde, seine Bewegungen nur noch mit großer Mühe vollbracht wurden, zögerte Lilliana nicht. Sie ließ das Ende des Kabels fallen und warf mit voller Wucht ihren Dolch in das rechte Auge des Nagas.

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