Kapitel 12

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Erde 2019

Angewidert starrte Lilliana auf die mit Schimmel übersäte Decke, die sie, obwohl kein einziges Licht mehr brannte, klar und deutlich erkennen konnte. Da sie nicht das Risiko eingehen wollten, noch einmal einen Peilsender angesteckt zu bekommen, beschlossen Lilliana und Will, an diesem Abend nicht zum Apartment zurückzukehren. Stattdessen lagen sie nun im Wohnzimmer des Unterschlupfs, den Maria Hernandez in der Bronx hegte. Jeder hatte jeweils eine Seite der Couchgarnitur bekommen, um es sich auf dieser gemütlich zu machen. Dabei hatte Lilliana versucht, den muffigen Gestank und die Kaffeeflecken zu ignorieren, die überall auf dem Sofa verteilt waren. 

Lilliana genoss die eingetretene Stille, während sie Kopf an Kopf da lagen. Sie hatte nun endlich nach diesem äußerst ungewöhnlichen Tag Zeit, ihre Gedanken zu sortieren.

Da es spät geworden war, hatten sie beschlossen, ihr weiteres Vorhaben am nächsten Tag zu besprechen, was Lilliana nur recht war. Sie glaubte nämlich nicht, dass sie dazu fähig gewesen wäre, noch weitere Informationen aufzunehmen. Außerdem hatte sie damit gerechnet, dass sie nicht so schnell zurück auf Tellus gelangen würde.

Schuldbewusst dachte sie daran, dass sie noch vor wenigen Stunden die Hoffnung gehegt hatte, auf der Erde bleiben zu können. Beschämt musste sie sich selber eingestehen, dass sie die Möglichkeit trotz der verheerenden Folgen in Erwägung gezogen hatte. Sie hatte doch genug, ihr ganzes Leben lang, gelitten. Sie verdiente es, ihr restliches Leben in Frieden, unter freiem Himmel und ohne Nagas, zu verbringen.

Doch sie wusste, dass sie sich so bloß ihrer Verantwortung entzog. Sie glaubte nicht, dass sie mit dem Gewissen leben konnte, dass weiterhin Milliarden Menschen auf Tellus litten und starben, darunter auch ihr treuester Freund William und ihre Team-Mitglieder, Nour und Jiang. Zudem schien sie auf der Erde auch nicht sicher zu sein

Mit einem bitteren Geschmack im Mund dachte sie an den Peilsender, den Hernandez ihr aus dem Nacken geschnitten hatte. Sie konnte noch das leichte Brennen der Wunde wahrnehmen. Es machte sie rasend vor Wut, dass sie den Peilsender nicht selbst entdeckt hatte. Sie musste von nun an vorsichtiger sein, ermahnte sie sich. Vielleicht ist die Erde nicht so perfekt, wie sie es angenommen hatte, denn sie wollte sich nicht ausmalen, was ihre Verfolger mit ihr durch den Peilsender vorgehabt hatten.

Seufzend fuhr sich Lilliana durch die dunklen Haare und zog die dünne staubende Decke, die Hernandez ihr gegeben hatte, enger an sich. Misstrauisch dachte sie dabei an die Astrophysikerin. Lilliana glaubte ihr zwar, dass sie ihnen helfen wollte, doch sie hatte den starken Eindruck vermittelt, dass sie ihnen etwas Grundlegendes verschwieg. Lilliana musste ihr bloß noch auf die Schliche kommen.

Ein Husten durchbrach die angenehme Stille. Lilliana zog eine Braue in die Höhe. Allem Anschein nach war sie nicht die einzige, die noch wach war und sich den Kopf zerbrach.

„Bevor Dr. Hernandez die Welt rettet, sollte sie erst einmal diese Bude hier vor dem Staub retten.", ertönte Wills Stimme dicht an ihrem Ohr. Lilliana meinte, seine Locken an ihrem Scheitel spüren zu können. Sie murmelte bloß zustimmend. Nach einem kurzen Zögern sprach Will weiter. „War das heute das erste Mal, dass du ins Freie konntest? So ganz ohne Schutzausrüstung, meine ich."

Lilliana brachte sich die warme Sommerbrise auf ihrer Haut und das raue Gefühl vom Rasen zwischen ihren Fingern ins Gedächtnis. Ein kleines Lächeln huschte ihr über die Lippen. Ein lang ersehnter Traum war heute für sie in Erfüllung gegangen. „Ja, die Verseuchung gibt es schon mein ganzes Leben lang und auch die Nagas sind kurz nach meiner Geburt aufgetreten. Bis zu meinem 16. Lebensjahr, also bis zu meiner Einberufung in die Basis vor drei Jahren, lebte ich, so wie die meisten Bürger auf Tellus, in häuslicher Isolation."

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