Kapitel 1

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Erde 2019

„Wir leben in einem Paralleluniversum" Will grinste selbstsicher und pustete sich eine dunkle Locke aus dem Gesicht.

„Und wie kommst du jetzt auf die Idee?", fragte Lilly mit hochgezogener Augenbraue, während sie neben ihm schlenderte und den College Campus verließ. Räuspernd blickte Will ihr ernst ins Gesicht. „Professor Willard hatte heute blonde Haare. Hatte sie schon immer blonde Haare? Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie letzte Woche noch brünett war." Will gestikulierte wild mit den Händen. „Deshalb denke ich, dass wir in einem Paralleluniversum gelandet sind, in dem Professor Willard blond ist und schon immer war."

Lachend setzte Lilly ihren Weg zügig fort und war erleichtert, den Campus endlich verlassen und die stets befüllten Straßen New Yorks betreten zu haben. Nun hatten die Semesterferien offiziell für sie begonnen und sie freute sich darauf, mit ihrem besten Freund die freie Zeit zu genießen.

Empört stolperte Will ihr hinterher. „Glaubst du mir etwa nicht?"

Lilly schüttelte grinsend den Kopf und klopfte Will neckend auf die Schulter. „Will, Professor Willard färbt sich beinahe wöchentlich die Haare. Das hat nichts mit einem Paralleluniversum zu tun. Ich finde es erschreckend, dass dir das noch nie aufgefallen ist."
Will schien diese Antwort nicht zufriedenzustellen und er kräuselte die Stirn, woraufhin Lilly ihm die Zunge ausstreckte. „Hah! Aber dein Grübchen ist gerade auf der linken Seite deiner Wange. Und ich bin mir sehr sicher, dass es vorher immer auf der rechten Seite war."

Vollkommen überzeugt davon, dass er den ultimativen Beweis für die Existenz von Paralleluniversen gefunden hatte, quetschte er sich mit Lilly in die, wie immer, überfüllte U-Bahn. Lilly rümpfte dabei die Nase und versuchte den üblen Gestank nach Schweiß zu ignorieren. „Nein, es war schon immer auf der linken Seite.", antwortete sie ihm dann schließlich.

„In Ordnung, ich sehe es schon ein: Ich kann dich nicht überzeugen. Deshalb mache ich es mir jetzt zur Hauptaufgabe für die Ferien, Mandela-Effekte zu entdecken und dir Beweise zu liefern."
„Was sind Mandela-Effekte?", fragte Lilly, während sie aus der Bahn stieg und dabei mindestens drei Mal angerempelt wurde. „Einige meinen, dass es sich bei Mandela-Effekten bloß um falsche Erinnerungen handelt. Wenn sich eine große Gruppe an Menschen kollektiv falsch an ein Ereignis, ein Phänomen oder sogar Liedtexte erinnert, spricht man von einem Mandela-Effekt. Ich denke aber, dass diese falschen Erinnerungen dadurch entstehen, dass sich Paralleluniversen überlappen. In einem anderen Universum ist die Erinnerung also nicht falsch."

Lilly seufzte gespielt genervt bei dem Ausblick, dass Will sie mitten in der Nacht wecken könnte, weil er der Überzeugung war, irgendeinen weltbewegenden Mandela-Effekt gefunden zu haben. Schließlich wohnten die besten Freunde seit dem College in derselben Wohnung und konnten sich dementsprechend auch 24 Stunden am Tag aufziehen. Vielleicht sollte sie über die Ferien zu ihrem Vater am anderen Ende Brooklyns ziehen. Lilly lächelte bei dem Gedanken daran, dass Will sich wahrscheinlich auch davon nicht aufhalten lassen würde und schlichtweg beschließen würde, seine Mutter zu besuchen, die nur ein Stockwerk über ihrem Vater wohnte. Er würde ihr folgen, bis er ihr seine Theorie beweisen konnte.

Schon bald erreichten sie den kupferfarbenen Wohnblock in Brooklyn, doch sie betraten instinktiv das Café, das sich nebenan befand, als wäre es das Natürlichste der Welt. Das Cup o' Joe war ein kleines Café inmitten zahlreicher Wohnblocks in Brooklyn. Geführt wurde es von Onkel Joe, ein älterer Herr mittleren Alters, der eine Glatze, dafür aber einen außergewöhnlich langen Schnurrbart hatte. Lilly und Will waren überzeugt davon, dass niemand auf der ganzen Welt mehr Kaffeevariationen kannte, geschweige denn besseren Kaffee machte, als Onkel Joe. Deshalb zählten sie sich stolz zu seinen treuen Stammkunden.

EchoesWhere stories live. Discover now