Kapitel 6

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Tellus 2019:

„Ich denke, dass dein Zuhause ganz weit weg ist. In einem anderen Universum, um genau zu sein. Denn von dieser Welt kommst du ganz sicher nicht.", erklärte William ihr ganz sachlich, so als sagte er ihr gerade, was es zum Abendbrot geben würde.

Lilly dachte erneut an Wills scherzende Worte, dass sie in einem Paralleluniversum leben würden. Und dass er alles tun würde, um sie davon zu überzeugen. Für einen kurzen Moment erwog Lilly die Möglichkeit, dass Will hinter alldem steckte .Will war immer so ehrgeizig, dass er alle Risiken vergaß, wenn er jemanden von seiner Meinung überzeugen wollte. Aber auch wenn Lilly von Wills Ehrgeiz und seiner Intelligenz begeistert war, glaubte sie dennoch nicht, dass seine Fähigkeiten so weit reichten.

Als Lilly William bloß starr ansah, fuhr er mit einem Räuspern fort: „Du wirst wahrscheinlich zu dem gleichen Entschluss gekommen sein. Offensichtlich kommst du aus New York, aber nicht aus einem New York, in dem wütende Schlangen die Straßen zerstören und Menschen verschlingen. Sondern aus einem New York, in dem SoHo noch existiert."

Lilly war entgeistert über seine Gefasstheit und seiner neutralen Miene. Wie konnte er ihr davon berichten, als gäbe es nichts Üblicheres auf der Welt? „Und in deiner Welt existiert allem Anschein nach eine Kopie von mir, so wie es in meiner Welt eine Kopie von dir gibt." William brauchte nicht weiterzureden, denn Lilly wusste, worauf er hinauswollte. Wenn sie hier war, dann war ihre Kopie -Lilliana - höchst wahrscheinlich in ihrer Welt. Lilly fragte sich, ob Lilliana sich besser schlug als sie es gerade tat.

„Wie kann so etwas passieren?", hauchte sie leise und sah zu William hoch, der die ganze Zeit über ziellos durch das Zimmer gegangen war, nun jedoch beinahe überrascht stehen blieb. „Das ist eine überaus wichtige Frage. Denn wenn wir herausfinden könnten, wie du hier hin gelangt bist, könntest du eventuell auf dem gleichen Weg zurück. Falls es ein Zurück gibt." Den letzten Satz teilte er ihr auch ganz unverblümt mit.

Bestürzt riss Lilly die Augen auf. „Aber keine Sorge, ich werde alles tun, um Lilliana zurückzuholen." Und damit machte er ihr bewusst: William würde ihr helfen, um Lillianas willen. Denn Lilly selbst schien ihn herzlich nur wenig zu kümmern.

„Was ist mit diesem Professor, dem wir vorhin im Flur begegnet sind? Können wir ihn nicht nach Rat fragen?", fragte Lilly hoffnungsvoll, während sie ein Gähnen unterdrücken musste. Seitdem sie von ihrer mordlustigen Mission zurückgekehrt waren, fühlte sich Lilly ganz schlapp. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie sich wieder an die gelben Schlangenaugen erinnerte, die sie hungrig angestarrt hatten. Mit blankem Entsetzen stellte Lilly fest, dass sie heute um eine Haaresbreite dem Tod entwischt war. Sie bezweifelte, dass sie es noch einen Tag auf diesem Planeten - der ein dunkleres Spiegelbild der Erde zu sein schien - überleben würde.

„Professor Burrows ist ein brillanter und von mir sehr geschätzter Wissenschaftler. Und ich vertraue ihm voll und ganz. Wem ich jedoch nicht vertraue, ist der Regierung. Und zu unserem Pech arbeitet der Professor für die Regierung." In seiner Stimme klang aufrichtige Faszination und Bewunderung für den Professor.

Mit hochgezogener Augenbraue sah Lilly ihn an. „Tust du das denn nicht auch? Für die Regierung arbeiten, meine ich."

Schmunzelnd zwinkerte er ihr zu. „Da hast du recht, das tue ich. Aber jede Regierung kann doch einen getarnten Rebellen vertragen."

Zum ersten Mal an diesem Tag grinste Lilly und ignorierte für einen Augenblick den Ernst der Lage zusammen mit William, dessen Grinsen sich jedoch genauso schnell verflüchtigte wie es gekommen war.

„Wir sollten es fürs Erste unterlassen, irgendjemandem von diesem ganzen Vorfall zu erzählen und im Geheimen nach Informationen suchen. Ich kann für nichts mehr garantieren, sobald unsere Vorgesetzten dich in die Finger kriegen." Lilly schluckte und nickte. „Und ich habe auch schon eine Idee."

EchoesWhere stories live. Discover now