Die Zeit heilt alle Wunden

105 8 5
                                    

Leise fällt ein Wassertropfen in die Badewanne und bringt die Oberfläche ganz leicht in Schwingung. Schon seit einer Stunde, liegt Zeldris regungslos da und ist absolut tiefenentspannt. Es hat auch Vorteile klein zu sein, daher kann er sich komplett ausstrecken und seine Gedanken einfach schweifen lassen. Doch eine Sekunde später, öffnet er mürrisch die Augen und brummt einmal total genervt. Das aufdringliche, laute Klopfen gegen die Tür, hat ihn ruckartig aus seinem Dämmerzustand gerissen. „Wie lang willst du noch da drin bleiben, Smaragdäugchen? Du bist seit einer Stunde im Badezimmer, ich muss auf die Toilette, verdammt." Nun gibt der jüngere Dämon ein herablassendes Geräusch von sich. „Nimm doch das andere Badezimmer", grollt er genervt durch die Tür. „Das ist vom Silberlöckchen besetzt", faucht sie zurück. Schließlich gibt Zeldris nach und holt einmal tief Luft, um lautstark zu seufzen. Es ist schon schlimm genug, dass sich Hannah an den Dämonenbrüdern gerächt hat dafür, dass die beiden sie neulich in der Nacht ausgesperrt haben. Entnervt, steht er also aus dem Wasser auf, drückt sich die Haare ein wenig aus und bindet sich ein Handtuch um die Hüfte, bevor er schließlich die Tür entriegelt und sie öffnet.

Beide schauen sich einen Moment lang einfach nur an, ohne ein Wort dabei zu sagen. Das nasse Haar von Zeldris, klebt wie ein geschmeidiger, schwarzer Teppich an seinem Rücken. Anders als sein großer Bruder, hat er es in den letzten Jahren nie geschnitten, weshalb es ihm mittlerweile bis ans untere Ende der Schulterblätter reicht. Hannah hingegen, hat ihre goldene Mähne zu einem Zopf geflochten und lässt diesen locker über die linke Schulter hängen. „Wenn du dann fertig bist mit dumm schauen, kannst du mich ja endlich vorbei lassen." Sie schiebt sich einfach an ihm vorbei und knallt die Türe zu, um sich sofort erleichtern zu können. Zeldris verzieht das Gesicht und geht erst einmal in das Zimmer des Goldfasans zurück. Freundlicherweise, hat sie ihm es nämlich vorerst überlassen. Was also bedeutet, dass Hannah erst einmal wieder das Sofa als Schlafplatz hat. Kaum hat es der jüngere Dämon betreten, bildet sich eine dicke Wutader an seiner Schläfe. Sofort macht er eine Kehrtwende und starrt Hannah an, die gerade aus dem Bad kommt. „Was zur Hölle hast du mit meinen Klamotten gemacht?" Sie legt den Kopf schief und verschränkt die Arme. „Die hab ich gewaschen und aufgehängt." „...Spinnst du, warum das denn?" Sie grinst ihn einmal an. „Weil sie tierisch gemüffelt haben." Nun bildet sich noch eine zweite Wutader. „Darf ich dich daran erinnern, dass ich ein stolzer Dämon bin? Ich werde auf keinen Fall dieses lächerlich, bunte Zeug anziehen." Nun zuckt Hannah mit den Schultern. „Kannst ja nackt rumlaufen wenn dir irgendetwas nicht passt." Dieser Konter macht Zeldris für einen Moment absolut sprachlos. „Jetzt reicht es mir aber endgültig mit dir. Ich reiß dir deinen Bauch auf und sauge deinen Darm aus wie eine Nudel."

Ein Stockwerk weiter unten legt sich eine sichtbare Röte auf die Wangen von Natalia. Sie lächelt einfach vor sich her und lehnt sich an Estarossa. Der Dämon hat sie endlich dazu bringen können, mit ihm zusammen ein Bad zu nehmen. „Ich glaube, die beiden mögen sich", sagt sie und lacht. Immerhin sind die Schreie der beiden durch das ganze Haus zu hören. „Ich bin sogar ziemlich sicher, dass er den Goldfasan mag. Sie ist vom Charakter her Gelda ein wenig ähnlich. Ziemlich aufbrausend und lässt sich nichts gefallen. Zeldris braucht einfach jemanden an seiner Seite, mit dem er nach Herzenslust streiten kann." Nun schaut Natalia zu ihm über die Schulter. „...Gelda...? Wer ist das?" Es ist kein Wunder, dass sie nach ihr fragt. „Gelda war die Frau von Zeldris. Sie starb vor langer Zeit im Krieg, wurde vom Feind getötet. An diesem Tag ist mein kleiner Bruder so dermaßen durchgedreht, dass er eine ganze Stadt innerhalb einer einzigen Nacht dem Erdboden gleich gemacht hat. Ich glaube, dass er ihren Verlust noch immer nicht ganz verarbeitet hat." Diese Geschichte berührt das Herz von Natalia. Nun kann sie besser verstehen, warum Zeldris ihr anfangs feindselig gegenüberstand. Er hat alles verloren und Estarossa ist das einzige, was er noch in seinem Leben hat.

Plötzlich wird sie ganz still und lässt sich bis zum Hals im Wasser versinken. „...Was ist mit dir, Estarossa? Hattest du früher auch eine Frau?" Sein Gesichtsausdruck verändert sich auf einmal und er beißt sich nervös auf die Unterlippe. „...Ich rede nicht gern darüber..." Da legt die Farmerin den Kopf schief, entscheidet sich aber dafür, nicht weiter nachzuhaken. Sie wäscht sich noch eilig die Haare und verlässt dann das Wasser, um sich in ein schönes, flauschiges und warmes Handtuch zu wickeln. „Ich sollte langsam wirklich ins Bett. Du weißt doch, dass ich morgen früh wieder aufstehen muss." Da kratzt sich der Dämon am Kopf und verlässt das Wasser ebenfalls. Kaum ist er aufgestanden, legt sich wieder eine ziemlich auffällige Röte auf ihre Wangen und sie dreht ihm nervös den Rücken zu. Estarossa grinst einmal nur breit. „Langsam sollte dir das nicht mehr peinlich sein, Natalia." Daran wird sie sich wohl nie gewöhnen. Ein kurzer, erschrockener Schrei dringt aus ihrer Kehle, nachdem Estarossa sie ohne Vorwarnung gepackt und auf den Arm genommen hat. „H...Hey...", beschwert sie sich und zappelt etwas hilflos. Der großgewachsene Dämon hat sich mit nur einer Hand ziemlich ungeschickt ein Handtuch um die Hüfte gebunden und marschiert mit der Farmerin auf dem Arm aus dem Badezimmer, um sie in ihr Schlafzimmer zu bringen. „Ich gehe mir noch einen kleinen Snack holen und komme dann wieder zu dir." Estarossa haucht ihr einen Kuss auf und sucht erstmal die Küche auf. In der Zeit wo er etwas isst, zieht sie sich an und schaut nochmal zu ihren Kindern. Sowohl Xander, als auch Anunnaki schlafen tief und fest. Sie lächelt und gibt ihnen einen Kuss auf den Kopf. Zum Schluss besucht sie nochmal Johann, der ebenfalls schon im Bett ist und noch ein bisschen gelesen hat. „Brauchst du noch etwas, Großvater?" Johann schüttelt den Kopf und hustet einmal kräftig. Der Gesundheitszustand des alten Mannes macht Natalia wirklich Sorgen. Auch ihm gibt sie einen Kuss auf den Kopf. „Gute Nacht, Großvater. Schlaf gut."

Shauna blökt erschrocken auf, als Zeldris sie plötzlich auf den Rücken dreht und festhält. Beide Dämonen, halten das arme Schaf fest und sorgen dafür, dass es sich nicht wehren kann. „Bitte haltet sie gut fest. Shauna wehrt sich oft heftig dabei." Die Sonne steht heiß am Himmel und brennt auf das Land nieder. Natalia setzt an und schneidet vorsichtig die Klauen des Tieres. Dem Paarhufer gefällt das gar nicht, weshalb es sich mit allen Kräften wehrt. Doch gegen die geballte Kraft zweier Dämonen, hat Shauna, das Schaf keine Chance. Endlich wird sie nach dem schneiden ihrer Klauen wieder losgelassen. Sofort rollt sie sich herum, steht auf und springt beleidigt davon. „Gar nicht schlecht für dein erstes mal, Smaragdäugchen." Hannah grinst ihn einmal breit an, doch bevor er auch nur auf die Idee kommt eine Antwort zu geben, stopft sie ihm eine Leber zur Belohnung in den Mund. Zeldris murrt einmal, dennoch verfliegt seine aufkommende Wut sofort wieder und er kaut zufrieden auf seiner Belohnung herum. Natalia muss sich das lachen verkneifen. Es ist immer mehr zu sehen, dass die beiden sich mögen. Nun wischt sich die Farmerin mit einem Handtuch den Schweiß von der Stirn. „Vielen dank für eure Hilfe. Alleine hätte ich sicherlich doppelt solange dafür gebraucht." Sie sieht einmal zu Johann herüber, der gerade die Eier im Hühnerstall einsammelt. Estarossa entgeht ihr sorgenvoller Blick nicht, weshalb er neben ihr in die Knie geht. „Du machst dir Gedanken wegen ihm, nicht wahr?" Sie nickt, ohne den Blick abzuwenden. „Er wird in zwei Jahren achtzig. Ich möchte einfach nicht, dass er sich überanstrengt und sollte nichts mehr auf der Farm tun." Auch wenn Natalia dieser Gedanke nicht besonders angenehm ist, sie sollte deswegen mit ihrem Opa demnächst einmal ein ernstes Gespräch führen.

Bruno prescht an ihr vorbei und fängt einen Stock, den Xander eben geworfen hat. Der Bernhardiner ist trotz seines Alters noch fit und spielt auch noch sehr gerne. Molly liegt lieber auf einem Baumstumpf und lässt sich das Fell von der Sonne wärmen. Anunnaki liegt in ihrem Weidenkörbchen und schreit fröhlich vor sich her. Das kleine Mädchen macht auf sich aufmerksam, weshalb ihr Vater sie auf den Arm nimmt. In nur wenigen Sekunden, hat sich ihre Welt um ein vielfaches erweitert. Neugierig schaut sie sich um, kaut auf einer silbernen Haarsträhne ihres Vaters herum und grinst ihren Onkel einmal an. „Hannah...?" Natalia sieht ihre beste Freundin einmal an und lächelt unsicher. „Ich weiß, mach dir keine Sorgen. Ich passe auf die zwei Rabauken auf." Erleichterung macht sich in ihr breit, dennoch sieht sie den Blick des älteren Dämons. „Darf ich um Aufklärung bitten?" Die Farmerin legt sich eine Hand auf die Wange und errötet ein bisschen. Sie hat ganz vergessen, ihn darüber zu informieren. „Ich habe einen besonderen Stoff bei einem Händler in Kusa bestellt. Allerdings ist der Besitzer vor kurzem krank geworden und kann ihn nicht mehr liefern, weshalb ich ihn selbst holen muss." Sie seufzt einmal sehr schwer. „Der Stoff ist zwar schon bezahlt, allerdings sind das wieder drei Tage, wo für mich verloren sind." Dennoch ist die Farmerin sehr überrascht, als der Dämon plötzlich belustigt schnauft. „Wenn es weiter nichts ist..." Nun gibt er Hannah die kleine Anunnaki auf den Arm. „Wir sind heute Abend wieder da", sagt er. Instinktiv weicht Natalia einen Schritt vor ihm zurück. „Estarossa...wie meinst du das...was hast du vor?" Ohne Vorwarnung, nimmt er die Farmerin auf die Arme. „Pass gut auf die Farm auf, kleiner Bruder." Und dann setzt sich der ältere Dämon schon Bewegung. Spätestens als seine schwarzen Flügel aus seinem Rücken hervorbrechen weiß sie, was er vor hat. „...Nein...Estarossa, ich warne dich. Ich...ich habe...HÖHENANGST...!"

Natalia krallt sich ängstlich an ihm fest und schreit dabei ziemlich laut. Das flatternde Geräusch seiner Flügel, das sanfte Rauschen des Windes und das seltsame Gefühl keinen Boden unter den Füßen zu haben. Sie kann Estarossa lachen hören, weshalb sie sich nur langsam traut, die Augen wieder zu öffnen. Der angenehme Flugwind streicht ihr durch das Gesicht und umschmeichelt ihr langweiliges, braunes Haar. „...Wow..." Sie hat die Welt noch nie von oben gesehen. Von hier oben sehen die Bäume aus wie kleine Pflanzen und ein paar Tiere kann sie nur als winzige Punkte erkennen. Sie fühlt den festen Griff von Estarossa und weiß, dass er sie niemals fallen lassen würde. Sie vertraut ihm. „Du hast mich wirklich ganz schön erschreckt. Das nächste mal solltest du mich besser vorwarnen." Da grinst der Dämon einmal breit, sodass sie seine Reißzähne sehen kann. Doch da fällt ihr auf, dass er noch immer die kleine Glasflasche mit ihrer Locke darin um den Hals trägt. „Du...trägst sie ja immer noch...", sagt sie total überrascht. „Natürlich. So etwas wertvolles werfe ich doch nicht einfach weg." Diese Worte sorgen dafür, dass sich erneut ein Rotschimmer über ihre Wangen legt. Natalia kann wirklich nicht glauben, wie schnell sie über die Flugroute in Kusa ist. Estarossa setzt zur Landung an und lässt sie vor dem Eingang der Windstadt runter. Kurzerhand lässt er sein Dämonenmal auf der Stirn verschwinden und begleitet sie zum Händler. „Möchtest du wirklich mitkommen?" Er nickt nur einmal darauf. „Nicht, dass am Ende wieder so ein Verrückter über dich herfällt." Auf einmal muss Natalia an Antonio und die Öllampe denken. Wenn Estarossa sie damals nicht aus dem Weg geschubst hätte, würde sie heute nicht mehr leben. Daher fühlt sie sich in seiner Nähe tatsächlich sicher und geborgen. „In Ordnung, aber wir sollten uns beeilen und uns nicht ablenken lassen."

Ihr großer Freund hat Wort gehalten. Sie sind am Abend wieder zurück auf der Farm. Natalia ist einfach nur glücklich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Menschen sind einfach nicht dafür geschaffen, um zu fliegen. Dennoch ist sie dem Dämon sehr dankbar, da sie den Stoff bekommen hat und ganze zwei Tage Zeit gespart hat. „Puh...das war wirklich sehr aufregend. Mein Herz klopft noch ganz schnell." Bruno kommt angerannt und begrüßt sein Frauchen mit wedelnden Schwanz und einem liebevollen Jaulen. „Hey, mein Junge." Sie krault ihn hinter den Ohren und geht nun zurück in ihr Haus. Zeldris sitzt noch am Küchentisch, hat den Kopf auf einer Hand abgestützt und starrt vor sich her. „...Du bist noch wach?" Er reagiert nicht. Erst als ihm die Farmerin einen selbstgemachten Joghurt hinstellt, löst er seine starre Haltung. Misstrauisch beäugt er die cremige Leckerei. „Was ist das?" Genau dieselbe Frage hat Estarossa ihr beim ersten mal auch gestellt. „Joghurt", sagt sie. Sein großer Bruder setzt sich und vertilgt ebenfalls eine Schale voll davon. Plötzlich springt ein blaugraues Bündel auf den Tisch und fordert seinen Anteil ein. Der Dämon schiebt Molly seine Schale hin und lässt ihr diese auslecken. Als sie dabei auch noch gestreichelt wird, schnurrt sie einmal laut und zufrieden. Natalia gähnt einmal herzhaft und streckt sich. „Ich bin furchtbar müde...", brummt sie erschöpft. „Gute Nacht, Zeldris." Sie streicht Estarossa durch die Haare und geht nochmal nach ihrem Großvater und ihren Kindern schauen. Die beiden Dämonenbrüder tauschen einen Blick miteinander. Da hebt Estarossa den Arm und tippt ihm gegen die Stirn. „Die Zeit heilt alle Wunden, kleiner Bruder. Du musst es nur zulassen. Meine Wunden sind auch alle verheilt und diese waren tiefer als deine." Danach steht er auf und folgt der Hausherrin ins Schlafzimmer. Der jüngere Dämon lässt sich den Rat durch den Kopf gehen und macht sich auf den Weg in sein geliehenes Zimmer. Doch vorher öffnet er einfach einmal dreist das Schlafzimmer von Natalia und schaut hinein. Sie liegt auf der Brust von Estarossa und ist schon eingeschlafen. Da dreht er den Kopf zu seinem jüngeren Bruder und sieht ihn an. Zeldris grinst ihn an und nickt einfach nur einmal.


Mein Freund, der DämonWhere stories live. Discover now