Scheues Kennenlernen

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Estarossa ist aus allen Wolken gefallen, nachdem er von seinem Sohn erfahren hat. Am Vorabend, hat er noch ziemlich lange mit Natalia draußen auf der Weide geredet. Selbst Hannah, die eine Stunde später wiedergekommen ist, hat ihren Augen nicht getraut, dass das Silberlöckchen wieder da ist. „Den kannst du nicht abstreiten", hatte sie ihn angeknurrt. Anders als es seine Mutter vermutet hat, war Xander sehr schüchtern und zurückhaltend, nachdem er seinen Vater das erste mal gesehen hat. Immerhin ist er ein Fremder für ihn und hat sich daher ängstlich hinter seinem Urgroßvater versteckt. Dennoch war der kleine Halbdämon ziemlich aufgeregt und es hat noch ganz schön gedauert, bis seine Mutter ihn endlich ins Bett bekommen hat. Xander weiß, dass seine Mutter jeden Tag um fünf Uhr aufsteht, um das Vieh auf die Weide zu bringen. Zwei Stunden später, weckt sie ihn dann immer und macht ihm sein Frühstück. Doch heute ist er schon früher wach und schleicht sich daher ins Schlafzimmer. Natalia ist schon mit Hannah draußen auf der Weide. Der Junge geht zum Bett, wo er Estarossa noch schlafen sieht. Der Dämon war ziemlich erschöpft und ist auch sehr schnell eingeschlafen. Er hat nicht einmal bemerkt, wie Natalia aufgestanden ist und das Zimmer verlassen hat. Xander spitzt mit den Augen über die Decke und mustert seinen Vater einmal argwöhnisch.

Ein wenig ungeschickt, klettert er auf das Bett seiner Mutter und kommt vorsichtig ein bisschen näher. Es ist ganz normal, dass ein Kind neugierig auf seinen Vater ist. Deshalb schaut er sich ihn genau an und erinnert sich, wie Natalia ihn beschrieben hat. Groß, silberne Haare und dunkle Augen. Vorsichtig, berührt Xander seine Hand und schaut sich seine scharfen Klauen an. Da blickt er auf seine eigenen, kleinen Hände, die auch schon ähnliche Merkmale zeigen. Zwar sind sie nicht so lang und so spitz wie bei Estarossa, doch wenn er älter ist, reicht es allemal, um damit jemanden die Augen auskratzen zu können. Nun will er die Fangzähne seines Vaters sehen, weshalb er noch ein bisschen mehr an ihn heranrückt. Doch bevor der kleine Junge überhaupt in die Nähe von seinem Gesicht kommt, öffnet Estarossa die Augen und sieht ihn verschlafen an. Xander erschreckt sich furchtbar, fällt auf den Rücken und strampelt sich schnell unter die Bettdecke seiner Mutter, um sich vor ihm zu verstecken. Da schnauft sein Vater einmal belustigt, streckt sich kräftig und gähnt herzhaft. „...So gut habe ich seit Monaten nicht mehr geschlafen", brummt er und setzt sich auf. „Jetzt komm schon her, Kleiner. Ich hab bestimmt nicht vor, dich zu fressen." Ein paar Sekunden passiert absolut gar nichts, doch dann linst Xander verstohlen unter der Bettdecke hervor. Eine Minute vergeht, wo sich Vater und Sohn einfach nur schweigend anschauen. Dann kommt er endlich aus seinem Versteck, um ihn weiter zu inspizieren. Xander streckt die Hand aus und berührt scheu sein Gesicht. Er streicht über das schwarze Mal auf Estarossas Stirn und berührt mit der anderen Hand sein eigenes.

Nun fährt er über seine Lippen, sodass sein Vater den Mund öffnet. Ganz vorsichtig, berührt er mit seinem Finger den Fangzahn. Xander öffnet den Mund und befühlt seine eigenen, kleinen Milchreißzähne. „...Bist du echt mein Papa...?" Estarossa legt den Kopf ein wenig schief. „Nun..." Er nimmt Xander und setzt ihn auf seinen Schoß. „...Du siehst aus, wie ich und du riechst wie ich...also bin ich das wohl tatsächlich." Er lässt sich ins Bett zurückfallen und stöhnt dabei einmal, während er sich durch die silbernen Haare fährt. „Verdammt nochmal...da hat man mal eine halbe Stunde Spaß und dann kommt sowas dabei heraus." Etwas mutiger geworden, krabbelt Xander auf seine Brust und sieht ihn an. „Du hast geflucht. Mama sagt, ich darf nicht fluchen. Als ich es einmal gemacht hab, hat sie mich ganz doll ausgeschimpft." Estarossa, der eigentlich noch etwas dösen will, öffnet die Augen wieder. „Ach...hat sie das? Wirst du mich jetzt bei ihr verpetzen?" Xander setzt sich auf seinen Bauch. „Was bedeutet verpetzen?" Da lacht der Dämon einmal verzweifelt. „Na das kann ja noch lustig werden..." Leise Schritte sind zu hören, bevor blaugraue Pfoten auf das Bett springen. Xander nimmt Molly auf den Arm und schmust mit ihr. „Was denn, du lebst immer noch?" Die Kätzin schnurrt und beachtet Estarossa gar nicht. „Molly ist meine beste Freundin. Ich hab sie und Bruno ganz arg lieb." Da ertönt auf einmal ein lautes Magenknurren, weshalb Xander seinen Vater mit großen Kulleraugen ansieht. „...Ich bin echt am verhungern...runter von mir, Kleiner. Sonst fresse ich dich doch noch."

Da flitzt der kleine Junge die Treppe hinunter und rennt in die Küche, wo er seine Mutter antrifft. „Guten Morgen, mein Liebling. Du bist ja schon wach." Sie nimmt ihn auf den Arm und küsst seine Wange ab. Sein Vater kommt die Treppe heruntergelaufen, weshalb sich Xander in Natalias Oberteil festkrallt und sein Gesicht in ihrer Halsbeuge versteckt. „Nicht doch...du musst vor deinem Papa keine Angst haben", sagte sie sanft. Schüchtern, riskiert er einen kurzen Blick, drückt sich dann aber wieder an sie. Selbst auf dem Arm seiner Mutter, kommt ihm Estarossa wie ein Riese vor. Dennoch wird Xander langsam unleidlich und fängt an zu quengeln. „Mama...ich habe Hunger..." Sie küsst seine Wange noch einmal. „Ich weiß", sagte sie und lässt ihn runter. Eingeschüchtert von der Größe seines Vaters, sucht sich der kleine Halbdämon ein Versteck zwischen den Stühlen. Natalia fängt an zu lachen und sieht Estarossa an. „Sei ihm bitte nicht böse. Er ist am Anfang immer so schüchtern. Das legt sich mit der Zeit bestimmt." Der Dämon schaut zu Xander und ist von dieser Ähnlichkeit wirklich fasziniert. Also streicht er sich einmal durch die silbernen Haare. „Den kann ich echt nicht abstreiten, was? Wie auch immer...ich brauche etwas zu Essen. Ich bediene mich einfach mal", sagte er und fängt an den Kühlschrank zu plündern. Nun setzt Natalia ihren Sohn auf seinen Kinderstuhl und macht ihm sein Frühstück. Währenddessen, beobachtet er seinen Vater, der sich rohe Eier und rohe Leber einverleibt. „Bäh", sagte er. „Mama sagt, man soll das nicht roh essen." Estarossa hebt eine Augenbraue und sieht seinen Sprössling an. „Menschen können das nicht roh essen, Dämonen hingegen schon." Xander schaut ihn an, als ob er etwas komisches gesagt hat. „Was sind denn Dämonen?"

Natalia stellt ihm eine Schüssel mit Rühreiern und gebratenen Speck hin. „Nun...dein Papa ist ein Dämon, mein Schatz. Das ist wie ein Mensch. Nur, dass Dämonen viel stärker sind als Menschen und viel, viel älter werden." Anders hätte Estarossa es ihm auch nicht erklärt. Er schneidet ein Stück von der Leber ab und hält es ihm hin. „Iss...das wird dir schmecken." Angewidert, schaut Xander das Stückchen Leber an und schüttelt den Kopf. Doch dann schaut er doch ein wenig überfragt zu Natalia, die einmal nickt. „Probier es doch mal...und schön kauen." Unsicher, lässt sich der Junge das Stückchen Leber in den Mund stecken und kaut darauf herum. Da fangen seine Augen an zu leuchten und seine Wangen färben sich rot. „Das schmeckt gut." Estarossa grinst einmal und gibt ihm noch ein bisschen davon. Nachdem Xander seine Schüssel leer gegessen hat, stellt seine Mutter ihm noch eine kleine hin, in der etwas weißes, cremiges ist. Dem Silberlöckchen stellt sie auch so etwas hin. Da steigt ihm ein milchiger, süßlicher Geruch in die Nase. „...Was ist das?" Seinem Sohn scheint es jedenfalls zu schmecken. „Joghurt", sagte sie. „Probier mal...das habe ich aus Milch und Rahm hergestellt." Estarossa versucht einen Löffel und kostet davon. Ein bisschen bleibt an seiner Lippe hängen, das er sich mit der Zunge noch holt. „...Nicht übel...", gibt er zu und löffelt die Schüssel leer.

Kaum hat Xander sein Frühstück aufgegessen, flitzt er nach draußen, um mit Bruno zu spielen. Estarossa reibt sich zufrieden den Magen und blickt ihm hinterher. „Ich weiß, was du sagen willst. Wir waren alle sehr überrascht", sagte Natalia. „Aber...ich bin so glücklich ihn zu haben..." Die Farmerin sieht ihrem Sohn einen Moment dabei zu, wie er ein Stöckchen ungeschickt wirft und Bruno es wieder zurückbringt. Auf einmal ändert sich ihr Gesichtsausdruck. „...Ich verlange nicht von dir, dass du ihn liebst oder akzeptierst." Da spürt sie auf einmal seine Hand auf der Schulter. „Ich habe eher bedenken, dass es andersherum ist. Der Knirps hat Angst vor mir. Auch wenn ich sein Vater bin, bin ich dennoch ein Fremder für ihn." Nun legt Natalia ihre Hand auf seine und scheint darüber nachzudenken. „...Er hat neulich nach dir gefragt..", sagte sie. „Xander hat mich gefragt, wie sein Papa heißt und wie er denn aussieht. Jetzt wo er dich kennt, hat sich sein Horizont erweitert. Ich denke mal, dass er das noch gar nicht richtig realisieren kann." Sie lacht einmal bitter. „Nur...wie lange wirst du diesmal hierbleiben?" Eine sehr berechtigte Frage, die Estarossa schmunzeln lässt. „...Für immer...", sagte er. Da weiten sich ihre Augen, die sich leicht mit Tränen füllen. „...Ist das dein Ernst?" Er nickt einmal darauf. „Ich habe keinen Grund mehr, nach Britannia zu gehen. Meinen Bruder habe ich zurückgelassen. Wir gehen einfach nicht denselben Weg. Wenn du es also zulässt...ist das hier mein Zuhause." Natalia lächelt gerührt und nickt einmal. „Natürlich...du kannst solange hierbleiben, wie du willst." Sie wischt sich die Tränen weg. „Ich muss arbeiten...sie erledigt sich nicht von alleine."

Estarossa hat sich am frühen Nachmittag unter einem Baum gelegt und döst leicht vor sich her. Xander beobachtet ihn aus der Ferne und kommt langsam näher. Da öffnet der Dämon ein Auge und blickt zu ihm. Sofort versteckt sich der kleine Junge hinter einem Schaf. Da schnauft Estarossa einmal belustigt. „Ich kann dich sehen, Kleiner." Vorsichtig, linst er hinter dem Tier hervor und blickt verstohlen zu ihm. Sein Vater ist aufgestanden und kommt ein bisschen näher. Dabei lässt Xander ihn keine Sekunde aus den Augen. Schließlich geht er auf ein Knie und streckt die Arme aus. „...Komm her, Xander..." Für einen langen Moment zögert er, doch dann traut er sich doch hinter seinem tierischen Versteck hervor und lässt sich von seinem Papa auf den Arm nehmen. Zaghaft, hält er sich an ihm fest und staunt, wie groß seine Welt auf einmal ist. „Na siehst du...so schlimm ist das doch gar nicht..." Wie schon heute morgen, betastet er sein Gesicht und streicht über sein Mal auf der Stirn. „...Papa...", sagte er auf einmal und legt den Kopf auf seine Schulter. Für Estarossa, ist es sehr ungewohnt, so genannt zu werden. „Ich hab dich lieb, Papa..." Da nimmt das Gesicht des Dämons eine erstaunte Mimik an. Doch er entspannt sich sogleich wieder. „...Ich hab dich auch lieb, Xander." Eine ganze Weile, bleiben Vater und Sohn einfach so stehen, bis der Junge seinen Kopf wieder anhebt. „Spielst du was mit mir, Papa?" Da legt Estarossa den Kopf schief. „So...? Was willst du denn spielen?" „Verstecken", grinst er sogleich. Estarossa lässt ihn wieder runter. „In Ordnung! Du versteckst dich und ich zähle bis zwanzig."

Kaum hat sein Vater die Augen zugemacht, rennt Xander davon und sucht sich ein Versteck. Der Junge flitzt in den Viehstall und versteckt sich dort im Heu. Xander kichert leise und ist sich sicher, dass man ihn hier niemals findet. „Achtzehn...Neunzehn...Zwanzig...ich komme." Estarossa dreht sich um und schaut erstmal nach, wohin sein Sohn gegangen sein könnte. „Du machst es mir aber leicht, Sohn." Er geht auf direkten Weg in den Viehstall und weiß, dass er sich hier irgendwo versteckt. Da greift der Dämon ins Heu und zieht Xander heraus. „Hab dich", grinst er. Da schreit der Junge erschrocken auf. „Wie hast du mich so schnell gefunden? Urgroßvater hat dafür immer ganz lange gebraucht." Da versucht es der kleine Halbdämon gleich nochmal. Doch sein Vater findet ihn auch im Hühnerstall, unten am Fluss, im Futtersilo und sogar unter dem Kleid seiner Mutter.. „Hab dich", sagte Estarossa schon wieder und zieht ihn aus dem Weizenfeld heraus. Xander schmollt ein kleines bisschen und will wissen, warum sein Papa ihn immer so schnell findet. „Das ist mein Geheimnis", sagte er, woraufhin sein Sohn noch mehr schmollt. Doch durch das ganze spielen ist Xander müde geworden und schläft halb auf seinem Arm ein. „Ich denke, dass wir erstmal aufhören sollten, zu spielen." Estarossa legt sich wieder unter den Baum und schließt die Augen. Kurze Zeit später, kommt Hannah zu Natalia und grinst. „Schnell...das musst du dir ansehen." Sie nimmt die Farmerin mit zu ihrem Lieblingsbaum, wo Estarossa inzwischen auch eingeschlafen ist und Xander auf seiner Brust liegt und tief und fest schläft. „Ich hab es dir doch gesagt...den kann er nicht abstreiten...", sagte Hannah und lachte einmal. Natalia lächelt und schüttelt den Kopf. „Du meine Güte..." Sie streckt sich einmal. „Eine kleine Pause, wäre jetzt wirklich gut." Also legt sie sich dicht neben die beiden, um ebenfalls ein wenig vor sich her zu dösen.


Mein Freund, der DämonWhere stories live. Discover now