Der Nachtwächter

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Hannah kneift die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und starrt Estarossa feindselig an. „Hör zu, Dämon...nur weil Natalia dir ihr Vertrauen schenkt, muss das bei mir noch lange nicht der Fall sein. Ich vertraue dir nur so weit, wie ich dich sehen kann." Der eben Angesprochene hat seinen Kopf gelangweilt auf der Hand abgestützt und öffnet nun eines seiner Augen, um sie anzusehen. „Wenn du sonst keine anderen Leiden aufzuweisen hast, kann ich ja beruhigt sein", erwidert Estarossa sarkastisch. „Spare dir deinen Sarkasmus, Silberlöckchen. Ich weiß ganz genau, was du vorhast", knurrt Hannah. Nun öffnet er noch das zweite Auge und schenkt ihr seine volle Aufmerksamkeit. „So...? Und was soll das deiner Meinung nach sein?" Eine gewisse Provokation liegt im Ton seiner Stimme. „Als ob du das selbst nicht wüsstest. Ich weiß genau, dass du Natalia verderben und somit ihre Seele fressen willst." Da bricht Estarossa in lautstarkes Gelächter aus. „Das hatte ich eigentlich nicht vor...aber super Idee", sagte er und grinst sie an. Wütend nimmt Hannah ihre leere Teetasse in die Hand und wirft sie dem Dämon an den Kopf. Allerdings fängt er diese gelassen auf und stellt sie auf den Tisch zurück. „Ich hasse dich...", faucht sie. „...Tust du nicht. Wenn du mich wirklich hassen würdest, hätte dich schon lange der Fluch getroffen, der auf mir lastet." Da reißt die Freundin die Augen überrascht auf. „Was für ein Fluch? Du lügst doch", sagte Hannah nun doch verunsichert.

Die Mittagssonne brennt heiß und unbarmherzig vom Himmel herab. Der Spätsommer neigt sich langsam dem Ende zu, daher zeigt er sich nochmal von seiner besten Seite. Natalia wischt sich mit einem nassen Tuch den Schweiß von der Stirn und versucht einen kühlen Kopf zu bewahren. „Wenn du so weiter machst, wirst du bald mehr als nur einen Hitzschlag kriegen." Die Farmerin blickt auf und sieht Hannah, die ihre Fäuste in die Hüfte gestemmt hat. „Lass mich auf dem Kornfeld weitermachen. Du bist schon ganz rot im Gesicht. Geh zurück ins Haus und trink erstmal was." Ihre Freundin sieht sie mit einem Blick an, der keine Widerworte duldet. Also nimmt sie ihr die Sichel weg und macht sich daran das Getreide zu ernten. „Danke...ich bin dir etwas schuldig." Natalia schwankt, als sie sich aufrichtet, schafft es aber sich wieder zu fangen. Sie ist wohl erschöpfter als sie zugeben will und diese trockene Hitze setzt ihr mehr zu als gedacht. Dieser Sommer ist besonders heiß und die Trockenperiode scheint kein Ende zu nehmen. Daher sind regelmäßige Pausen besonders wichtig. Wie von Hannah verlangt, setzt sich Natalia daher erst einmal in die Küche, um dort ein Glas Wasser zu trinken und einen Pfirsich zu essen. „Estarossa?" Keine Antwort. „Wahrscheinlich ist er draußen und hält im Schatten ein Nickerchen." Natalia legt den abgeknabberten Kern auf einen kleinen Teller, damit er trocknen kann. Später würde sie ihn ebenso wie die anderen Kerne einpflanzen und hoffen, dass ein neuer Baum daraus wächst. Immerhin schaffen es nicht alle Samen zu einem Setzling aufzukeimen.

Die Farmerin hat gerade den letzten Schluck an Wasser getrunken, als die Tür geöffnet wird. Herein kommt Estarossa, der einen Korb voller Eier dabei hat. „Bist du endlich zur Vernunft gekommen, oder hat dich der Goldfasan vom Feld vertrieben?" Er stellt den Korb auf die Küchenzeile ab und blickt dann ein wenig finster drein. „Deine dummen Hühner wollten einfach nicht runter von den Eiern, also habe ich sie einfach runter geschubst. Bedauerlicherweise ist bei der Prügelei das ein oder andere Ei zu Bruch gegangen. Und weil ich so ein netter Dämon bin, habe ich sie für dich auf eigene Kosten entsorgt." Der Blick von Natalia wandelt sich von dümmlich, zu erstaunt um, bis sie schließlich belustigt anfängt zu lachen. „Gib doch einfach zu, dass du die Eier mit voller Absicht zerbrochen hast. Ich habe dich schon lange durchschaut und weiß genau, wie gern du diese Dinger isst." Da zuckt Estarossa einmal mit den Schultern. „Ein Versuch war es wert gewesen." Daraufhin schüttelt sie nur den Kopf. „Meine Güte...du frisst mir wirklich noch die Haare vom Kopf." Wobei sie das auch nicht sonderlich stören würde. Immerhin wachsen sie wieder nach und vielleicht würden sie dann nicht mehr so langweilig sein. „Solange es nur deine Haare sind...du musst mehr Angst haben, dass du morgen früh eine Kuh weniger hast." Diese indirekte Drohung nimmt Natalia durchaus ernst. Immerhin wäre es nicht das erste mal, dass er eines ihrer wertvollen Tiere fressen würde. Die Sache mit dem Huhn, hat sie ihm nämlich noch immer nicht ganz verziehen.

Der Abend ist hereingebrochen. Man sieht Natalia richtig an, wie müde sie ist und dennoch weigert sie sich ins Bett zu gehen. Stattdessen arbeitet sie noch ein wenig an einem Kleidungsstück in Dämonengröße. Estarossa beobachtet, wie ihre flinken Finger Stück für Stück zusammennähen. „...Was machst du da?" Hannah hat es inzwischen aufgegeben, ihre beste Freundin ins Bett zu beten. „Ich nähe ein Wams für dich. Bald kommt der Herbst und da sollte deine Kleidung wärmer sein." Da schüttelt er einfach nur den Kopf und sagt dazu nichts. Bruno liegt neben dem Sofa und hält ein Schläfchen, während Molly unterwegs ist und nach Mäusen sucht. Nach einer weiteren Stunde, gibt Natalia ihrer Müdigkeit endlich nach und will ins Bett. Sie räumt das unfertige Wams auf und steckt die Nähnadel in ihr Nadelkissen. Auf einmal zuckten die empfindlichen Ohren von Bruno. Da schießt der sonst so ruhige Hund auf und fängt an laut und wütend zu bellen. Er wedelt heftig mit dem Schwanz und kratzt an der Haustür. Die Farmerin hat sich so erschreckt, dass sie wieder hellwach ist. „Was ist los, mein Junge?" So aufgebracht, hat sie ihn noch nie erlebt. Als sie die Tür öffnet und ihn rauslässt, prescht er sofort davon und sein bellen scheint noch lauter zu werden. „Da stimmt etwas nicht, Estarossa. Bruno ist vorher noch nie so durchgedreht." Sie nimmt eine kleine Laterne, entzündet sie und folgt dem Bernhardiner dann.

„Bruno...komm sofort wieder zurück." Da bemerkt sie, dass ihre Schafe Angst haben und sich zu einer Gruppe zusammendrängen. Da blitzen auf einmal ein paar gelbe Augen aus der Dunkelheit, die sich langsam nähern und von einem bedrohlichen Knurren begleitet werden. „Ein Wolf", schreit Natalia erschrocken. Bruno fletscht die Zähne, bellt weiterhin und versucht den ungeladenen Besucher zu vertreiben. Zu seinem Leidwesen, scheint der Wolf von seinen Abschreckversuchen allerdings wenig beeindruckt zu sein. Natalia schlägt das Herz bis zum Hals. Und es droht ihr in die Hose zu rutschen, als der Wolf zum Sprung ansetzt und sich auf Bruno stürzen will. „Verschwinde, du stinkender Köter, bevor ich einen Pelzmantel aus dir mache." Estarossa schiebt Natalia hinter sich und zieht Bruno am Halsband zurück. „Man sollte dich wegen Tollwut einschläfern", knurrt er. Da legt der Wolf bedrohlich die Ohren an und überlegt, ob er sich auf diesen Kampf einlassen soll. „Überleg dir besser zweimal, ob du wirklich herausfinden willst, wer von uns beiden das größere Raubtier ist." Estarossa wird keine Sekunde zögern, ihm das Fell über die Ohren zu ziehen. „Ich glaube...er hat einfach nur Hunger", sagte Natalia. Sie will sich schon umdrehen und gehen, als der Dämon sie an der Hand packt und den Wolf keine Sekunde aus den Augen lässt.

„Denk nicht einmal daran, den Flohsack zu füttern. Wenn du das machst, wird er wieder kommen. Beim nächsten mal sind sie schon zu zweit und dann hast du irgendwann das ganze Rudel am Hals." Verunsichert sieht sie ihn an. „Aber...", setzt sie an. „Nein! Hör endlich auf damit, jede arme Seele retten zu wollen. Mach die Augen auf, Natalia. Die Natur ist grausam. Fressen und gefressen werden. Wenn diese übelriechende Töle nicht gleich verschwindet, reiße ich ihr eigenhändig den Kopf ab." Hunger vernebelt den Verstand. Natalia hat Bruno am Halsband gepackt und hat mühe ihn festzuhalten. Aus purer Fressgier heraus, springt der Wolf den Dämon an und verbeißt sich in seinem Arm. Da faucht er bösartiger denn je auf und gibt dem Wolf so eine heftige Maulschelle, dass es knackt und er laut winselnd davonrennt. Als er endlich fort war, beruhigt sich Bruno auch langsam wieder. Die abgebrochenen Zähne des Wolfes stecken im Arm von Estarossa. „Oh nein...er hat dich gebissen..." Er zieht sich die Fangzähne einfach aus dem Fleisch. „Das ist nur ein Kratzer. Bis morgen ist das wieder verheilt." Doch sieht er den besorgten Blick von ihr, woraufhin er mit den Augen rollt. „Meine Fresse...wenn es dich glücklich macht..."

Natalia hat die Bisswunde mit klaren Wasser gereinigt und streicht nun eine Paste darauf. Sie besteht aus Goldrute, Schafgabe und Honig. „Hoffentlich bist du jetzt zufrieden, Sturkopf", brummt Estarossa. Hannah wickelt eine dünne Mullbinde um seinen Arm. „Zumindest in dieser Sache sind wir uns einmal einig. In manchen Situationen kann sie sturer als ein Esel sein." Während Natalia schon fast im sitzen einschläft, zeigt Estarossa keine Anzeichen von Müdigkeit. Nachdem seine Wunde versorgt ist, zieht er den Ärmel seines Mantels wieder darüber und steht auf. „Es ist schon nach Mitternacht. Ich werde draußen auf der Weide Wache halten. Nur für den Fall, dass der Flohsack zurückkommen sollte." Sein Blick fällt auf die Reißzähne, die auf dem Tisch liegen. „Ich werde sie behalten. Fangzähne erzielen einen hohen Preis bei Sammlern. Da wo ich herkomme, schmiedet man sogar Dolche daraus." Estarossa begleitet Natalia noch ins Schlafzimmer und versichert sich, dass sie auch wirklich ins Bett geht. „Und denk nicht einmal daran, in ein paar Stunden wieder aufzustehen. Wenn ich dich vor acht Uhr auf der Weide antreffe, verpasse ich dir so heftig eine, dass du die nächsten sieben Tage durchschlafen wirst."

Seine ohnehin leere Drohung hat sie nicht mehr mitbekommen. Kaum hat sie die Augen zugemacht, ist sie innerhalb weniger Sekunden eingeschlafen. Estarossa schüttelt den Kopf. „Menschen..." Lautlos verlässt er das Schlafzimmer, um Hannah ebenfalls eingeschlafen auf dem Sofa zu finden. Ohne einen Blick an ihr zu verschwenden, geht er nach draußen und setzt sich auf die Weide. Da kommt Molly angetapst, die zwei Mäuse an den Schwänzen im Maul herumträgt. Sie lässt beide fallen und schiebt eine mit der Pfote näher zu ihm. „Ach...hast du mir ein Geschenk mitgebracht?" Er nimmt die tote Feldmaus und kaut auf ihr herum, während sich Molly an der anderen bedient. „Einen guten Geschmack hast du ja...das muss ich dir lassen, Flohkugel." Er verschlingt noch die andere Hälfte und versucht ihr dann ihre Beute abzunehmen, woraufhin die blaugraue Kätzin drohend die Pfote erhebt. Sie knurrt und scharfe Krallen blitzen im Mondlicht auf. „Hab schon verstanden, es ist dein Essen." Nun legt er sich auf den Rücken und verschränkt die Arme hinter dem Kopf. Nachdem Molly fertig ist, leckt sie sich das Maul, springt auf seinen Bauch und fängt an sich zu waschen. „Katzenwäsche, was? In Ordnung, Staubfänger! Du bleibst heute Nacht bei mir und wenn die Töle wiederkommt, kannst du ihr deine Klauen über die Nase ziehen." Fast so, als ob Molly ihn verstanden hat, maunzt sie einmal zustimmend. Sie setzt sich hin und ringelt ihren Schwanz um sich. Mit einem aufmerksamen Blick und gespitzten Ohren, lauert sie auf die Umgebung und achtet dabei auf jedes noch so leise Geräusch.


Mein Freund, der DämonOnde histórias criam vida. Descubra agora