Der Weg der Klauen und Zähne

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Dampf steigt aus dem Tee hervor, den Natalia gerade eingeschenkt hat. Sie reicht Johann die Tasse, der sie gerne annimmt und ihr einmal dankbar entgegen lächelt. Eine gemeinsame Pause unter freien Himmel und auf einer Decke ist etwas wunderbares. Estarossa hat die Arme hinter dem Kopf verschränkt und döst leicht vor sich her. „Erst zwanzig Eier verdrücken und dann pennen", stichelt Hannah. Darauf reagiert der Dämon gar nicht, sondern denkt sich nur seinen Teil. Natalia lacht einmal sanft und schaut in das Weidenkörbchen. Anunnaki schläft. Neben ihr liegt Xander, der ebenfalls ein kleines Schläfchen hält. Auf einmal kommt ein blaugrauer Fellball an stolziert, der auf Estarossa springt und es sich auf ihm gemütlich macht. Ohne die Augen zu öffnen, hebt er die Hand und krault Molly hinter den Ohren. Sofort fängt sie wohlig an zu schnurren und lässt sich entspannt auf die Seite fallen. „Ich gehe uns schnell ein paar Snacks holen", sagt Natalia. Die Farmerin steht auf und geht in ihr Haus. Aus der Küche holt sie ein paar kleine Leckerbissen, die sie heute morgen fertig gemacht hat. Allerdings geht ihr im selben Moment eine unnatürliche Gänsehaut auf. Sie fühlt sich einer gewissen Zeit unwohl und beobachtet. Schnell schüttelt sie diesen Gedanken ab und kommt mit einem Tablett voller Leckereien zurück. In der gleichen Sekunde, fängt Anunnaki an zu weinen und weckt dabei gleich ihren großen Bruder mit auf. Verschlafen reibt sich der kleine Halbdämon die Augen und gähnt einmal herzhaft.

„Nicht weinen, meine Kleine." Natalia nimmt ihre weinende Tochter auf den Arm und zieht sich mit ihr unter ihren liebsten Baum zurück. Dort kann sie sie in aller Ruhe anlegen und trinken lassen. Währenddessen, hat Estarossa die blaugraue Kätzin von sich heruntergenommen und hat sich aufgesetzt. „Ach...ist die schlafende Prinzessin endlich aufgewacht?" Hannah kann es einfach nicht lassen. „Ha...der Goldfasan sollte lieber aufpassen, dass sich die Prinzessin nicht jeden Moment in einen hungrigen Wolf verwandelt." Nun muss sogar Johann einmal das lachen anfangen. Der alte Mann amüsiert sich wirklich prächtig über die Hassliebe der beiden. Xander steht auf und setzt sich zu seiner Mutter, nachdem sie seine Schwester fertig gefüttert hat. „Mama...? Darf ich meine kleine Schwester einmal halten?" Da schenkt die Farmerin ihrem Sohn einen warmen Blick. „Natürlich, mein Schatz. Schau...ich helfe dir." Sie zeigt Xander, wie er das wehrlose Baby halten muss. Anunnaki gähnt einmal gesättigt und kuschelt sich richtig in den Arm ihres großen Bruders ein. Dieser Anblick lockt auch Estarossa an, der sich gegenüber niederlässt und seine beiden Kinder betrachtet. „Du hast deine Schwester wirklich gern, nicht wahr, kleiner Bengel?" Darauf nickt er einmal und bläst kurzerhand die Backen verärgert auf. „Ich bin kein Bengel...meine Mama sagt ich bin ein artiges Kind." Daraufhin brüllt sein Vater vor lachen. „Wundert mich eh, dass du so brav bist. Dafür, dass du Dämonenblut in dir trägst, bist du viel zu gut erzogen." Nun legt er den Kopf schief und passt auf seine Schwester auf. „Warum denn, Papa? Wie warst du denn als Kind?" Estarossa lehnt sich zurück und stützt sich mit den Armen ab.

„Nun...ich war ein sehr aufbrausendes Kind gewesen. Hab mich so gut wie jeden Tag mit meinen Bruder geprügelt. Einmal war es sogar so schlimm, dass mein Vater dazwischen gehen musste." Je mehr Estarossa von seiner Kindheit erzählt, umso mehr wird Natalia klar, dass sie von seiner Vergangenheit ziemlich wenig weiß. Vielleicht sollte sie ihn einfach mal darum bitten, ein wenig von seinem Leben zu erzählen. Der Nachmittag zieht schwül vorbei und hinterlässt noch einen letzten Hauch des Tages. Schließlich hat Natalia die letzten Aufgaben nach der Pause erledigt und möchte nun das Abendessen vorbereiten. Sie öffnet den Kühlschrank und verzieht das Gesicht daraufhin. „Oh...ich habe kein Fleisch mehr...und Fisch ist auch keiner mehr da..." Die nächste Lieferung kommt erst in zwei Tagen, also steht Estarossa auf. „Ich werde mir einfach etwas fangen gehen. Mach dir darum keine Gedanken", sagt er und verschwindet sogleich. „Verlauf dich unterwegs nicht, Silberlöckchen", stichelt Hannah. „Keine Sorge, Goldfasan....ich werde dir ein paar Frösche mitbringen, die du küssen kannst", erwider der Dämon und grinst darauf. Xander schaut seinem Papa hinterher und zieht dann am Kleid seiner Mutter. „Darf ich dir helfen, Mama?" Natalia lächelt und streicht ihm durch die silbernen Haare. „Das wäre sehr lieb von dir, mein Schatz. Lass uns rausgehen und hinten aus dem Lager einen neuen Sack Reis holen." Die Farmerin nimmt ihren Sohn an die Hand. „Großvater...würdest du bitte kurz auf Anunnaki aufpassen?" Johann nickt und lächelt ihr zu. „Selbstverständlich, meine Kleine." Natalia ist inzwischen wirklich froh, so viel Unterstützung im Haushalt und auf der Weide zu haben. Sie geht mit ihrem Sohn aus dem Haus ins hintere Lager. „So...zu zweit schaffen wir das, nicht wahr? Du bist doch schon ein starker Junge." Während Mutter und Sohn einen neuen Sack voller Reis holen, wollte Estarossa sich gerade auf die Lauer legen. Doch auf einmal...strömt ihm ein anderer Geruch in die Nase. Einen Geruch, den er sehr gut kennt. „...Das...ist nicht wahr..." Der Dämon vergisst seine Beute augenblicklich und sprintet schnell wie ein junges Reh, zur Farm zurück.

„Mach schön langsam, Xander." Er und seine Mutter tragen zusammen den Reis und sind auf dem Weg zurück ins Haus. Natalia hätte absolut keine Probleme damit, ihn alleine zu tragen. Doch es ist wirklich herzallerliebst, dass ihr Sohn so fleißig im Haushalt mithilft. Plötzlich raschelt es hinter ihr. Sie dreht sich um und lässt den Sack Reis fallen. So schnell sie nur kann, packt sie Xander an der Hand und will mit ihm davonrennen. Doch die Farmerin wird aus den Schatten hervor angesprungen und zu Boden gerissen. „...Mama!" Natalia gibt einen Schrei von sich. Sie sieht nur noch scharfe Klauen und ein klaffendes Maul voller Zähne auf sich zukommen. Doch bevor sich das eine oder andere in ihr Fleisch bohren können, gibt ihr Angreifer auf einmal ein schmerzhaftes stöhnen von sich und taumelt benommen zurück. Die Faust von Estarossa hat sich in seinen Magen gebohrt und ihn gerade noch daran gehindert, sie zu töten. „Fass...meine Frau und mein Kind nicht an...", knurrt er bösartiger als je zuvor. Sofort steht Natalia wieder auf und zieht Xander an sich. „Estarossa...wer ist das...?" Eine schlanke, geschmeidige Gestalt richtet sich wieder auf und hält sich den Magen. Sein schwarzes Haar ist zerzaust und smaragdgrüne Augen sprühen voller Hass und Eifersucht. „...Mein Bruder..." Der Dämon schiebt die beiden hinter sich. „Geht ins Haus...alle beide. Und egal was ihr hört...kommt nicht heraus, verstanden?"

Natalia stellt keine Fragen, sondern nimmt Xander an die Hand und rennt mit ihm ins Haus zurück. Da ist jetzt auch der Sack voller Reis nicht mehr wichtig. „Natalia, was ist passiert?" Hannah sieht sie mit großen Augen an. „Wo ist das Silberlöckchen?" Hastig schüttelt sie den Kopf und schaut nach ihrer Tochter. „Geh nicht raus...wir sollen alle im Haus bleiben", sagt sie verstört. Sekunden später, kann man von draußen ein lautes kreischen hören. „Hab ich dir nicht gesagt, dass du mir nicht folgen sollst?" Zeldris bleckt die Zähne und starrt seinen älteren Bruder an. „...Ich habe gewusst, dass du mich belogen hast. Du hast mich wegen einer Frau....und dazu noch einem Menschen alleine gelassen. Ich...akzeptierte diese Bruderdiebin nicht..." Eine Antwort bekommt der jüngere Dämon nicht mehr darauf. Momente später, gehen die beiden Brüder mit Klauen und Zähnen aufeinander los. Xander drückt sich im Haus an seine Mutter und fängt an zu weinen. „Ich habe Angst, Mama..." Natalia nimmt ihn in den Arm und versucht ihn zu trösten. „Ich weiß...ich habe auch Angst..." Zum Glück bekommt Anunnaki von dem Theater nichts mit. Sie schläft noch tief und fest. Nun gibt sie Xander an Johann weiter, während sie vorsichtig aus dem Fenster blickt und beinahe nicht hinschauen kann. Beide Dämonen kämpfen um die Überhand. Zeldris hat Estarossa die Klauen durch das Gesicht gezogen, während dieser ihm schmerzhaft in die Schulter beißt. Brüllend und kreischend, versuchen sie sich gegenseitig zu zerfleischen und umzubringen. Die Farmerin hält sich die Ohren zu und Tränen treten ihr in die Augen. „Hört auf...bitte hört auf damit..." Ein lauter Schmerzensschrei hallt durch das Haus. Estarossa blutet ziemlich stark aus mehreren Wunden und hat sich auf seinen Bruder gestürzt. Mit einem Schrei, der das Blut in den Adern gefrieren lässt, rammt er Zeldris seine Zähne in den Hals und beißt ihm die Kehle halb durch.

Sofort fängt er an zu gurgeln und versucht sich aus dem Biss zu lösen. Natalia schüttelt den Kopf und rennt gegen die Anordnung von Estarossa aus dem Haus. Der jüngere Dämon holt nochmal aus und schlitzt seinem Bruder den Bauch auf. Sofort lässt er los und will sich erneut auf ihn stürzen. Der kräftige Kiefer umschließt erneut die Kehle von Zeldris und will sie komplett durchtrennen. Die Farmerin hält das einfach nicht mehr aus. „HÖRT AUF!" Sie zieht an Estarossa herum. „Hör auf...bitte...du bringst ihn noch um..." Estarossa schnauft schwer durch die Nase und weigert sich, seinen Kiefer um die Kehle seines Bruders zu lösen. Inzwischen hat Zeldris sogar beide Hände um den Hals des Älteren gelegt und versucht mit letzter Kraft aus seinem Biss zu kommen. Plötzlich löst Zeldris eine Klaue und zerfetzt den unteren Teil von Natalias Kleid. Sofort beißt Estarossa wieder fester zu und will ihn töten. „Nein...bitte tu das nicht...Estarossa, er ist doch dein Bruder." Sie zerrt an seiner Hose und stemmt sich dagegen. „Hör auf...bitte hör endlich auf..." Doch der Dämon ist nicht zu erweichen. Er weigert sich noch immer ihn loszulassen. Allerdings...macht sich der Blutverlust langsam bemerkbar und das bei beiden. Inzwischen ist auch Hannah herausgekommen, die sich zur Sicherheit mit einer Pfanne bewaffnet hat. Der Dämon fängt an zu schwanken. Seine Sicht ist verschwommen und schließlich kippt er bewusstlos zur Seite, ohne seinen Bruder loszulassen.

Natalia sinkt auf die Knie und ist total verstört. Hannah lässt die Pfanne fallen und tröstet ihre Freundin erst einmal. „Ich hätte nie gedacht, dass das Silberlöckchen mal so weit gehen wird...", sagt sie. „Hilf mir bitte, Hannah..." Zuerst müssen sie den Kiefer um Zeldris' Kehle lösen und Estarossa dann auf den Rücken drehen. Bei dem Anblick wird Natalia schlecht. Sie dreht sich um und muss sich übergeben. Die Farmerin hat schon vieles gesehen, doch das übertrifft alles. „Geht es, Natalia?" Sie wischt sich mit ihrem ohnehin kaputten Kleid den Mund ab und nickt. „Wir müssen sie erst einmal verarzten..." Natalia geht kurz ins Haus. „Großvater? Kannst du bitte mit Xander und Anunnaki ins Kinderzimmer gehen?" Der alte Mann stellt keine Fragen, sondern nimmt das Weidenkörbchen. „Komm, mein Kleiner." Sie versichert ihrem Sohn, dass alles in Ordnung ist. Sie holt schnell einige Dinge aus dem Schlafzimmer. Erst danach geht sie zurück zu Hannah und versucht mit ihr die Blutungen der beiden zu stoppen. „Bist du sicher, dass du diesem Kerl da helfen willst?" Hannah drückt gerade einen Lappen gegen die Kehle von Zeldris. „Ja...ich kann ihn doch nicht hilflos hier liegen lassen..." Das war so typisch für ihre sanfte Freundin. Herzensgut, egal wie schlimm der Feind auch sein mag. „Auf deine Verantwortung...wenn er aufwacht und wieder randaliert, ziehe ich ihm eine Bratpfanne über den Schädel." Das treibt ihr sogar ein kleines lächeln ins Gesicht. „...Estarossa...er ist auf seinen Bruder losgegangen, um mich zu beschützen..." Natalia streicht ihm einmal über das blutverschmierte Gesicht. Seine Verletzungen sind schlimmer, als sie im ersten Moment aussehen. Da wird weder der eine noch der andere an Nadel und Faden vorbeikommen. „Es scheint langsam aufzuhören, Hannah....sehen wir zu, dass wir die beiden ins Haus bringen..."


Mein Freund, der DämonWhere stories live. Discover now