Ein schicksalhaftes Wiedersehen

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Estarossa starrt die Kätzin an, wie sie in aller Ruhe über seinem Teller gebeugt ist und ihm das Fleisch vor der Nase wegfrisst. Molly maunzt zufrieden auf und ignoriert die verwirrten Blicke. „Verschwinde, Staubfänger. Das ist mein Essen." Völlig unbeeindruckt, frisst sie einfach weiter. Estarossa zieht ihr daraufhin den Teller weg, woraufhin sie einmal faucht und drohend ihre Pfote erhebt. „Überlege dir besser zweimal, ob du dich wirklich mit mir anlegst, Flohkugel." Molly stößt einen Drohlaut aus, legt die Ohren wütend an und ist bereit, ihm ihre Krallen durch das Gesicht zu ziehen. Die selbstsüchtige Kätzin versteht keinen Spaß, wenn es um Futter geht. Sie stiehlt anderen gerne das Essen. Doch andersherum, verteidigt sie es mit Krallen und Zähnen. „Molly! Wo bist du?" Die Ohren von ihr, schnellen in die Höhe, als sie Natalia rufen hört. Also hat sich der Dämon doch nicht getäuscht. Eilig, krempelt er ein paar Silbermünzen aus seinem Beutel und knallt sie dem Koch auf den Tresen. Sofort steht er danach auf und rennt wie von einer Tarantel gestochen davon. „Fremder! Du hast dein Wechselgeld vergessen", brüllt der Koch ihm hinterher. Doch eine Antwort hat er nicht mehr bekommen.

Ein kurzer Moment der Ruhe vergeht, als sich das Geräusch von trampelnden Hufen nähert. „Molly!" Natalia zieht die Zügel an und bringt ihre Pferde zum stehen. Beinahe wäre sie aus dem Wagen gefallen, so schnell wie sie ausgestiegen ist. „Oh, es tut mir so Leid. Sie hat absolut kein Benehmen, wenn es um etwas Futter geht." Die Kätzin lässt sich widerstandslos auf den Arm nehmen. „Ich werde den Schaden bezahlen, den meine Katze angerichtet hat", verspricht sie. Doch der Koch wischt sich nur mit einem Leinenstofftuch über die Stirn. „Es ist alles in Ordnung, junge Dame. Das Essen ist bezahlt und mir wurde ein großzügiges Trinkgeld gegeben." Natalia fällt ein Stein vom Herzen. „Dennoch...es ist mir wirklich unangenehm, dass meine Katze einfach über das Essen eines anderen hergefallen ist." Für dieses unangebrachte Verhalten, wird sie Molly nachher noch richtig ausschimpfen. „Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen, junge Dame. Tiere sind unberechenbar. Außerdem hat sie weiter niemanden belästigt." Natalia bringt ihre Kätzin in den Wagen zurück, bevor sie sich noch einmal an den Koch wendet. „Sie wissen nicht zufällig, wo ich für ein paar Tage unterkommen kann?" Er legt einen Finger an sein Kinn und scheint über ihre Frage nachzudenken. Man sieht Natalia richtig an, dass sie vom Land kommt. Sie trägt ein schlichtes Kleid in altrosa, eine abgenutzte, alte Schürze und ein paar Halbstiefel aus Leder, die ihre besten Tage auch schon hinter sich haben.

„Folgen Sie dieser Straße bis zur nächsten Abzweigung. Da müssen Sie nach rechts und dann gleich wieder nach links. „Da müssen Sie bis ans Ende der Straße. Dort steht ein kleiner Hof. Vielleicht haben Sie Glück und bekommen dort noch einen Platz." Natalia bedankt sich bei dem Koch und setzt ihren Weg fort. Die Stadt ist für sie wie eine andere Welt. Dennoch hat sie keine Schwierigkeiten, um den Hof zu finden. Er liegt mitten in der Stadt und ist daher für sie eine ganz neue Erfahrung. Ein bisschen nervös, klopft sie an die Tür und hofft, dass man ihr aufmachen wird. Nichts. Sie will gerade ein zweites mal klopfen, als die Tür geöffnet wird und eine alte Dame sie mit freundlichen Blicken begrüßt. „Hallo, Kindchen...hast du dich verlaufen?" Ein bisschen überrascht von der Frage, erwidert sie die freundlichen Blicke. „Guten Abend. Ein hilfsbereiter Koch hat mir gesagt, dass ich bei Ihnen übernachten kann." Die Greisin sieht sie verwirrt an. „...Wie bitte? Du willst Lebertran?" Sofort wird Natalia klar, dass die alte Frau schlecht hört. Sie kratzt sich ein bisschen überfordert an der Nasenspitze und überlegt, wie sie ihr mitteilen kann, was sie möchte. Doch da kommt eine jüngere Frau an die Tür. „Lass mich das machen, Mama." Sie führt ihre alte Mutter in ein anderes Zimmer und kommt dann wieder. „Verzeihung...meine Mutter ist manchmal ein wenig durch den Wind. Kann ich Ihnen helfen?"

Natalia zeigt Respekt und Verständnis, für die alte Dame. Sie erklärt ihrer Tochter, um was es geht. „Wir haben noch ein Zimmer frei und ihre Pferde können wir hinten im Stall unterbringen." Die Farmerin wirkt erleichtert und ist dankbar für diese Unterkunft. „Sie sind bestimmt erschöpft. Bringen wir die Pferde erst einmal unter und danach zeige ich Ihnen ihr Zimmer." Philly bläst einmal glücklich die Nüstern auf, als ihm endlich das Zuggeschirr abgenommen wird. Lili ist sehr müde und legt sich nach ein paar Mäuler voll Heu direkt hin. „Ohne euch, hätte ich es nie bis hierher geschafft." Sie streichelt den beiden über den Kopf. „Gute Nacht."
Auf ihrem Zimmer angekommen, packt sie das wenige Gepäck aus, während Molly sich schon auf einem Tierfell zusammengerollt hat und es zu ihrem Lieblingsplatz auserwählt. Da klopft es an der Tür und ihre Gastgeberin kommt herein. „Sie sind bestimmt hungrig." Sie reicht Natalia einen Teller mit zwei Scheiben Brot, Schinken, Käse und ein wenig Butter. „Danke. Das kommt wirklich genau richtig." Nachdem sie gegessen hat, öffnet sie noch kurz das Fenster und atmet die frische Nachtluft ein. Der Mond hat fast seine volle Größe erreicht und wirft sein helles Licht über die Stadt. „...Ob er wohl wirklich hier irgendwo in der großen Stadt ist?" Nach fünf Minuten schließt sie das Fenster wieder und fällt todmüde ins Bett. „Gute Nacht, Molly..." Sie schließt die Augen und schläft in wenigen Minuten ein. Nichtsahnend, dass Estarossa näher ist, als sie glaubt.

Natalia steht vor der Windmühle und macht große Augen. Sie hat noch nie in ihrem Leben, so ein großes Gebäude gesehen. Die Balkone erstrecken sich vor jedem Stockwerk und bieten eine hervorragende Aussichtsplattform. Doch am meisten beeindrucken sie die Flügel, am obersten Punkt. „Wow...wie groß die ist..." Von unten sieht die Windmühle schon sehr interessant aus, doch will Natalia sie auch von innen sehen. „Ich bin gespannt, wie viele Stufen das sind und ob ich es bis nach oben schaffe." Sie beginnt die Wendeltreppe hinauf zu gehen und zählt jede Stufe, die sie hinter sich lässt. Anders als Estarossa, hält sie in jedem Stockwerk an, merkt sich die Stufenanzahl und verbringt einige Minuten auf dem Balkon. Bereits auf dem zweiten Zwischenpodest, bemerkt die Farmerin eine aufkommende Erschöpfung. Ihr Herzschlag erhöht sich und sie nimmt tiefere, längere Atemzüge. Je näher sie dem letzten Stockwerk kommt, umso länger werden die Pausen auf den anderen Balkonen. Endlich erreicht sie die letzte Stufe und ist oben angekommen. „Zweihundert...achtund...zwanzig...", keucht sie erschöpft und völlig entkräftet. Natalia ist von der Arbeit auf der Farm einiges gewöhnt, doch so viele Stufen auf einmal zu steigen, ist eine ganz andere Herausforderung.

Obwohl ihr fürchterlich die Beine wehtun, hat sie nicht aufgegeben und sich bis nach ganz oben durchgekämpft. Unterwegs hat sie die Warnung gesehen, dass Kinder nicht in das fünfte Stockwerk dürfen. Natalia nimmt diese Warnung durchaus ernst, sodass sie sich erst noch fünf Minuten ausruht, bevor sie sich auf den letzten Balkon traut. Ihr Herz klopft laut vor lauter Aufregung, dann öffnet sie die Tür. Sofort wirbelt der Wind heftig ihr Haar auf und bläst schneidend kalt in ihr Gesicht. Sie hat die Kraft des Windes unterschätzt und hat das Gleichgewicht verloren. Glücklicherweise, erreicht sie eine der Eisenstangen, an der sie sich wieder hochzieht und festhält. Mit einer gewissen Angst im Bauch, tastet sich Natalia vorwärts und erreicht die Eisenstäbe an der Brüstung, an denen sie sich festklammert. Ihr Blick gleitet nach oben, wo die riesigen Flügel rotieren und Wind erzeugen. Doch am besten gefällt ihr dieser absolut göttliche Blick auf die Stadt. „...Ich wünschte, Großvater wäre jetzt hier und könnte das sehen...", sagte sie absolut überwältigt. Natalia kann wirklich die ganze Stadt überblicken. Den Marktplatz, die Wohnsiedlungen, sogar den Stadtrand. Irgendwo an diesem Ort muss er sein. Doch je mehr die Farmerin zu sehen bekommt, umso mehr wird ihr klar, dass die Chance ihn hier zu finden, bescheiden gering ist. Sie fühlt, dass er irgendwo in dieser riesigen Stadt sein muss. Die bedeutende Frage ist nur, wo. „Ich habe nicht bedacht, dass ich alle Stufen wieder hinabsteigen muss." Natalia errötet leicht und lacht einmal peinlich berührt.

Nach ihrem Abenteuer auf der Windmühle, gönnt sie sich ein wenig Ruhe auf dem Marktplatz. Sie schaut sich die liebevollen Arbeiten der Schneiderin an, die emsig an einem königsblauen Hemd arbeitet. Natalia schenkt ihr einen freundlichen Blick und deutet an, dass sie sich umsehen möchte. Die Nähstube ist in zwei Seiten unterteilt. Auf der einen Seite ist Herrenbekleidung und auf der anderen Damenbekleidung ausgestellt. Ein Stück hat es Natalia besonders angetan. Ein einfaches, olivfarbenes Kleid, mit einer dunkelbraunen Schürze. Sie geht jetzt schon zum dritten mal daran vorbei und streicht nun über den Stoff. Die Schneidermeisterin unterbricht nun ihre Tätigkeit und geht zu ihr. „Das Kleid scheint Ihnen zu gefallen." Natalia lächelt und nickt darauf. „Es ist wunderschön. Kann ich es anprobieren?" Die Schneiderin nimmt es von der Halterung. „Selbstverständlich können Sie das." Sie geht mit ihr in das Hinterzimmer, wo sie Natalia in das Kleid hilft. Die Farmerin betrachtet sich im Spiegel und liebt dieses Kleid jetzt schon. Für die Arbeit ist es viel zu schade, doch für einen besonderen Anlass, oder eine Freizeitbeschäftigung, ist es großartig. „Ich nehme es", sagte sie. Nachdem sie sich wieder umgezogen hat, lässt sie das Kleid einpacken und bezahlt die Schneiderin für ihre Arbeit.

Der Abend ist über die Stadt hergezogen. Die Sonne hat sich rot gefärbt und verschwindet langsam am Horizont, um sich schlafen zu legen. Natalia hat ihr neues Kleid in ihre Unterkunft gebracht und Molly gefüttert. Die Kätzin hat ihr Futter aber nicht angerührt, da sie streunen gegangen ist und eine fette, saftige Maus gefressen hat. Gerade ist Natalia auf dem Weg zum Koch, der ihr diese Unterkunft ermöglicht hat. Sie will sich bei ihm nochmal bedanken und gleich etwas essen. Nichtsahnend, dass dieser Besuch dort, für sie ein ganz besonderer Moment sein wird. Sie geht um die letzte Ecke und kann das kleine Plätzchen schon sehen. Doch dann passiert etwas völlig unerwartetes. Silbernes Haar huscht um eine andere Ecke und plötzlich bleibt er stehen. Die Blicke von Estarossa und Natalia treffen sich. Den ganzen Tag ist er in der Stadt unterwegs gewesen, hat versucht ihr aus dem Weg zu gehen. Ständig hat er sich ihren Geruch eingebildet, hat ihn an jeder Straßenecke unbewusst wahrgenommen. Und nun steht er ihr genau gegenüber, vor der kleinen Taverne, die er jeden Abend besucht, um dort zu essen. Die Unterlippe von Natalia zittert, für einen Moment scheint die Zeit zwischen den beiden still zu stehen. Sie will etwas zu ihm sagen, doch da kommt er ihr zuvor. Estarossa geht einen Schritt auf sie zu und schaut sie argwöhnisch an. „...Was soll das...was machst du denn hier?"

Die überraschte und völlig überrumpelte Natalia, setzt ein glückliches Lächeln auf ihr Gesicht. Sie hat ihn gefunden...und er erinnert sich an sie. Estarossa kann sich nicht vorstellen, wie sehr sie sich freut ihn zu sehen. Schließlich löst sie ihre starre Haltung und faltet die Hände überglücklich zusammen. „Du...schuldest mir noch ein auf Wiedersehen...", sagte sie. Tatsächlich nimmt das Gesicht des Dämons eine absolut erstaunte Mimik an, die ihn für einen Moment komplett sprachlos macht. „...Was? Ist das dein verfluchter ernst...?" Natalia hält sich die Hand vor den Mund und beginnt leise zu kichern, bis sie schließlich in ein herzhaftes Lachen ausbricht. „Du hast dich kein bisschen verändert", sagte sie freudestrahlend. Nun geht sie einen Schritt auf ihn zu. „Komm...lass uns zusammen etwas essen gehen." Estarossa wendet den Blick ab und neigt den Kopf zur Seite. „...Nein...", knurrt er bedrohlich. Die Farmerin hat schon sein wahres Gesicht gesehen, doch sie fürchtet sich nicht vor ihm. Nicht mehr. „Na komm schon...du bist ja noch sturer als die alte Bessy." Dieser Name löst eine kurze Erinnerung aus, woraufhin er sie einmal anstarrt. „Du kennst den halbtoten Maulesel?" Erneut muss die Farmerin herzlich auflachen. „Natürlich kenne ich sie. Bessy gehört meinem Großvater."


Mein Freund, der DämonWhere stories live. Discover now