Der Kreislauf von Leben und Tod

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Ein wunderschönes Abendrot hat sich über das Land geworfen. Mit den letzten Sonnenstrahlen an diesem Tag, verabschiedet sich das lachen der Sonne und legt sich allmählich schlafen. Natalia steht im Schlafzimmer vor ihrem Spiegel und streicht sich über ihren runden Bauch. „Das war heute ein sehr aufregender Tag. Findest du nicht auch, Hannah?" Am späten Nachmittag sind die neuen Küken geschlüpft. Alle haben dabei zugeschaut, wie die kleinen, nackten Vögelchen sich unter größter Anstrengung aus ihrer Eierschale befreit haben. Völlig wehrlos, haben die frisch geschlüpften Jungvögel nach ihrer Mutter gerufen. Die Henne war sehr aufgebracht und hat schließlich ihren Nachwuchs unter die Flügel genommen. „Ich kann einfach nicht glauben, dass das Silberlöckchen dir das zum zweiten mal angetan hat." Da muss Natalia plötzlich herzlich darauf lachen. „Du tust ja gerade so aus, als ob er mich dazu gezwungen hat, Hannah", lacht sie. „Hat er ja auch..." Zumindest ist das ihre Ansichtssache. „Raus aus meinem Schlafzimmer, Goldfasan", grollt Estarossa, der gerade aus dem Badezimmer kommt. „Dein Schlafzimmer? Du hast wohl vergessen, dass dein Schlafplatz in der Besenkammer ist." Inzwischen weiß die Farmerin, dass weder der eine noch der andere diese ewigen Sticheleien sein lassen kann. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, packt er Hannah am Oberteil und wirft sie hochkant raus und knallt ihr die Tür vor der Nase zu. „Na warte, du großspuriger Muskelprotz...du bekommst morgen keine Eier zum Frühstück", faucht sie durch die Tür. Estarossa fängt daraufhin höhnisch das lachen an. „Als ob du mich damit treffen könntest, Goldfasan. Jetzt nimm endlich deine dünnen Hühnerkeulen in die Hand und mach ne Fliege." Natalia ist vor lauter lachen schon ganz rot geworden. „Du meine Güte...ihr beide habt euch wirklich gern", sagt sie und wischt sich eine Lachträne weg. „Kakerlaken sind mir lieber, die kann man wenigstens auffressen."

Nun aber legt er seine Hand auf ihren Bauch und streichelt ihn einmal zärtlich. „Wir waren wohl beide überrascht, dass Xander unbedingt ein Geschwisterchen will." Dennoch bereut sie es nicht, sich für ein zweites Kind entschieden zu haben. Jede Sekunde kann es soweit sein, dass es sich entscheidet, geboren werden zu wollen. Natalia streckt sich einmal kräftig. „Ach...ich bin furchtbar müde...lass uns schlafen gehen." Zusammen kriechen sie unter die Decke, während Estarossa einen Arm um sie schlingt und seine Hand auf ihren Bauch legt. „Es ist sehr aktiv in letzter Zeit. Du hast mir ja erzählt, dass das bei Xander auch so war." Sie nickt einmal und kuschelt sich an ihn heran. „Ein paar Tage später ist er dann geboren worden." Estarossa bereut es bis heute, dass er an diesem Tag nicht bei ihr gewesen ist. Allerdings kann er in dieser Nacht seine Schuld wieder begleichen, denn sein Kind hat es auf einmal sehr eilig. „Estarossa..." Natalia weckt ihn auf und sieht ihn mit einem schmerzverzerrten Gesicht an. „Mir ist die Fruchtblase geplatzt..." Eine Sekunde später ist er hellwach und springt aus dem Bett. Der Dämon sprintet ein Zimmer weiter und zieht Hannah die Bettdecke weg. „Wach auf, Goldfasan! Mein Kind kommt." Dann klopft er noch heftig an eine weitere Tür und reißt sie auf. „Johann! Schnell, steh auf...das Baby kommt." Der alte Mann schreckt hoch und schaltet die Nachtlampe ein. „Ach du...ich komme sofort, mein Junge." Er zieht sich schnell seine Hausschuhe an und geht dann schwerfällig in das Schlafzimmer der Hausherrin. „Natalia...ist alles in Ordnung, meine Kleine?" Sie nickt einmal und verzieht das Gesicht. Eine ziemliche Aufregung entsteht und schließlich kommt auch noch Xander aus seinem Kinderzimmer. Er reibt sich müde die Augen und gähnt einmal herzhaft. „Papa..? Was ist denn passiert...?" Während Johann heißes Wasser und Hannah frische Handtücher holen, nimmt Estarossa seinen Sohn auf den Arm. „Dein Geschwisterchen kommt gerade auf die Welt." Da bekommt er riesengroße Augen.

Dennoch muss ein Kind das nicht sehen, weshalb Johann anbietet, mit Xander vor der Tür zu warten. „Warte bitte mit Urgroßvater in deinem Zimmer. Wir holen euch dann." Er rubbelt Xander durch die Haare und schließt dann die Tür zum Schlafzimmer. Zwei lange Stunden vergehen, in denen der kleine Halbdämon nichts anderes tun kann, außer mit seinem Urgroßvater zu warten. Kurz vor fünf, kommt schließlich Hannah zu ihm, die einen sanften Blick aufweist. „In Ordnung...du kannst jetzt zu deiner Mama gehen." In dem Moment, kann nichts und niemand mehr den Jungen halten. Seine Mutter ist erschöpft an seinem Vater gelehnt und hält ein kleines, wimmerndes Bündel im Arm. Neugierig, klettert Xander auf das Bett und schaut sich sein Geschwisterchen an. Natalia beugt sich zu ihm und gibt ihrem Sohn einen Kuss auf die Stirn. „Es ist ein kleines Mädchen...jetzt bist du der große Bruder." Xander grinst einmal breit und liebt sie jetzt schon. „Wie heißt meine Schwester denn?" Natalia lächelt sanft und schaut voller Liebe ihre Tochter an. „...Als du geboren wurdest...da habe ich dir deinen Namen gegeben. Und ich finde, dass dein Papa nun an der Reihe ist." Estarossa reißt die Augen auf. „Was denn...ich soll ihr einen Namen geben?" Daraufhin errötet sie einmal und nickt. „Ja...gib ihr einen Namen." Sie gibt ihm seine Tochter auf den Arm, woraufhin Estarossa sie einmal ruhig betrachtet. Er scheint über etwas nachzudenken, doch dann lockert sich sein Blick. „...Anunnaki...", sagt er. Schweigen. Eigentlich rechnet der Dämon mit einem lauten Protest. Doch...er bleibt aus. „Anunnaki...das ist ein schöner Name. So soll sie heißen", stimmt Natalia schließlich zu.

Das war eine sehr turbulente Nacht für die Farmerin. Vor zwei Stunden, hat sie ihre neugeborene Tochter gefüttert. Das kleine, wehrlose Bündel liegt auf der Brust ihres Vaters und schläft. Die Hand des Dämons liegt schützend über ihr und bedeckt beinahe vollständig ihren Rücken, so klein ist sie. Estarossa sieht einmal zur Seite und betrachtet Xander, der zwischen seinen Eltern liegt und ebenfalls schläft. Seine kleine Schwester hat auch ein schwarzes Mal auf der Stirn. Allerdings hat sie es auf der rechten Seite, während Xander sein Mal auf der linken Seite der Stirn trägt. „Soll ich sie dir abnehmen...?" Natalia ist gerade aufgewacht und streckt sich einmal. „...Du solltest dich lieber noch etwas ausruhen. Ich denke nicht, dass du schon aufstehen solltest." Sie streichelt ihrem Sohn durch die Haare und küsst seine Stirn. „Mir geht es gut...mach dir keine Sorgen." Sie sorgt sich viel mehr um das Wohl ihrer beiden Kinder. „Xander...wach auf, mein Liebling. Wir wollen frühstücken." Da quengelt der kleine Halbdämon, windet sich in der Decke seiner Mutter und reibt sich müde die Augen. „Guten Morgen, Mama und Papa." Nun setzt er sich auf und klebt eine Sekunde später an seiner Schwester und schmust mit ihr. „Ich hab dich lieb, kleine Schwester." Nach einer kurzen Kuscheleinheit, hilft Natalia ihrem Sohn beim anziehen und macht ihm dann sein Frühstück.

Hannah und Johann sind schon auf der Weide und erledigen die täglichen Arbeiten. Kaum zu glauben, dass Natalia diese Aufgaben über Jahre allein erledigt hat. Dadurch, dass sie mittlerweile so viele helfende Hände hat, kann sie mehr Zeit mit ihrem Nachwuchs verbringen. Gerade kommt ihre Freundin herein und hat einen Korb voller Eier dabei. „Vergiss es, Silberlöckchen. Ich hab dir gesagt du bekommst heute keine Eier." Estarossa sagt darauf nichts und grinst sie nur einmal an. Hannah stellt den Korb erst einmal ab und blickt nun in das Weidenkörbchen, das Natalia noch vor der Geburt von Xander geflochten hat. Sie hat es all die Jahre aufbewahrt und kann es nun noch einmal verwenden. „Anunnaki also...auf so einen Namen kann echt nur ein Dämon kommen", sagt Hannah. „Ein bisschen neidisch bin ich ja schon. Das muss ich leider zugeben." Da brüllt Estarossa auf einmal vor lachen. „Gute Idee, Goldfasan. Dann bin ich dich endlich los, wenn du selbst Kinder hast." Sein Sohn zieht den Kopf ein, als Hannah ihn plötzlich mit einer Tasse bewirft und er diese gezielt auffängt. „Hab keine Angst, mein Schatz. Papa und Hannah ärgern sich nur ein bisschen gegenseitig." Immerhin dachte Xander, dass die beiden wirklich ständig am streiten sind. Dabei mögen sich die beiden mehr, als sie eigentlich zugeben wollen. „Ach...ihr seid ja alle da...dann muss ich die traurige Nachricht nur einmal überbringen", sagt Johann, der gerade hereingekommen ist. In seinem Arm liegt eine leblose Henne. Sofort wird der Gesichtsausdruck von Natalia sehr traurig und sie nimmt ihm das tote Tier ab. „Sie starb an Altersschwäche." Estarossa läuft schon das Wasser im Mund zusammen, doch das vergeht ihm ganz schnell, als sein Sohn plötzlich zu weinen beginnt und an seiner Mutter hängt.

„Ach, Xander..." Sie gibt Johann die Henne zurück und geht auf die Knie, um ihn in den Arm zu nehmen. „Nicht weinen, mein Schatz...es ist ganz normal, dass etwas stirbt wenn es zu alt geworden ist." Ihr Sohn schluckst laut und kann nicht aufhören zu weinen. „...Aber...Sissi war mein Lieblingshuhn. Sie hat immer so schöne Eier gelegt." Natalia tröstet ihren Sohn und lässt ihn einfach weinen. Für ein Kind ist es immer schwer zu verstehen, warum etwas auf einmal nicht mehr da ist, was man gern hat. Nun steht sein Vater auf und geht neben ihm die Hocke. „Na komm, mein Großer. Gehen wir hinter das Haus und machen deiner Freundin ein schönes Grab." Tapfer wischt sich Xander die Tränen weg und nickt. „Ich will Sissi tragen..." Sein Urgroßvater gibt ihm die Henne auf den Arm und Xander streichelt noch einmal durch ihr braunes Gefieder. Zusammen mit seinen Eltern, geht er hinter das Haus, wo Estarossa mit einem Spaten ein Loch in den Boden buddelt. Die leblose Sissi wird hinein gelegt, mit einem alten Tuch abgedeckt und sein Vater schaufelt das Loch wieder zu. Schließlich sucht er mit seinem Papa ein paar Steine, um sie als Andenken auf das Hühnergrab zu legen. Natalia hat in der Zwischenzeit ein paar Wildblumen gesammelt und schmückt das Grab damit noch ein wenig.

Der kleine Halbdämon drückt noch ein paar Tränen raus und hängt sich dann an seinen Vater. Die Farmerin streicht ihm eine Strähne aus dem Gesicht. „Sissi war acht Jahre alt, mein Schatz. Sie hatte ein schönes Leben bei uns." Darauf nickt er einmal und sieht Estarossa an. „...Papa? Wie alt bist du denn?" Mit dieser Frage hat er nun wirklich nicht gerechnet. Dennoch gibt er ihm eine ehrliche Antwort. „...Mein Alter? Nun...ich bin jetzt dreitausendvierhunderteinundsechszig Jahre alt." Da bekommt er riesengroße Kulleraugen und fragt sich, wie man nur so alt werden kann. Doch das ist eine Sache, die er seinem Sohn erklären muss, wenn er älter ist. Nun lässt er seinen Sohn wieder los und richtet sich auf. „Gehen wir nach deiner Schwester schauen?" Darauf nickt Xander und ihm scheint es ein bisschen besser zu gehen. Ein Windstoß kommt auf und es raschelt in einem der Bäume. Sofort wirbelt Estarossa herum und fletscht die Zähne. „Was ist los...?" Natalia nimmt sofort ihren Sohn in die Arme und drückt ihn an sich. Der Dämon schaut sich mit geschärften Sinnen um und knurrt. „...Ich glaube, hier ist jemand...." Estarossa hebt den Kopf und schnuppert einmal, doch...er kann nichts wahrnehmen. „Nichts...ich muss mich getäuscht haben. Vielleicht war es auch nur ein Vogel oder ein anderes Tier, dass schnell vorbeigekommen und wieder verschwunden ist." Da entspannt sich Natalia wieder und seufzt. „Manchmal machst du mich wirklich nervös. Also gut...gehen wir Anunnaki holen und dann gehen wir etwas auf die Weide." Da gehen sie wieder und verschwinden um der Ecke. Doch plötzlich...blicken zwei boshafte, grüne Augen zwischen den Bäumen hervor. Natalia bekommt eine Gänsehaut. Sie fühlt sich schon seid ein paar Tagen beobachtet...


Mein Freund, der DämonWhere stories live. Discover now