24.

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Kai

"Okay, Leute. Ich lass euch jetzt noch ein wenig Zeit für euch." , sagte Julian plötzlich und stand auf. Sarah sah ihn ungläubig an, während er vor ihr stand und wahrscheinlich wartete, bis sie sich erhob, um sich zu verabschieden. "Müsst ihr etwa schon gehen?" , fragte sie und sah mich jetzt an, woraufhin ich nur leicht nickte. Es graute mir schon den ganzen Tag vor diesem Moment und es schmerzte, Sarahs verletztes Gesicht zu sehen.
Sie stand auf und nahm Julian in den Arm, woraufhin ich lächeln musste. Ich war froh, dass ich nicht eifersüchtig auf die beiden reagierte, ich meine, klar, wenn Sarah irgendwann seine Klamotten anziehen würde, würde mich das schon nerven, aber wenn sie ihn umarmte, freute es mich. Sie waren mir nunmal beide wichtig. Mir gefiel unsere Clique, ich mochte es, dass mein bester Freund und meine Freundin -es fühlt sich immer noch komisch an, Sarah so zu bezeichnen- , sich gut verstanden. Natürlich verstanden sie sich gut, Jule kannte Sarah ja auch schon länger, als ich.
"Ich warte im Auto." , sagte er nur, bevor er Sarahs Wohnung verließ. Auch, wenn ich weiß, dass das jetzt vielleicht komisch für Jule war, war ich froh, noch ein wenig Zeit mit Sarah zu haben und ich war froh, dass er so viel Verständnis für unsere so frische Beziehung aufbrachte. Er war echt ein super Freund, ich konnte wirklich froh sein, das hätte nicht jeder gemacht.
"Ich will nicht das du gehst." , sagte sie und kam auf mich zu. Ich nahm sie ohne zuzögern in den Arm, schlang meine Arme um ihre Hüfte und legte meinen Kopf behutsam auf ihren, was unser Höhenunterschied ermöglichte. "Kannst du nicht einfach hier bleiben?"
"Ich bin schon am Sonntag wieder da, du wirst nicht einmal Zeit haben mich zu vermissen." , sagte ich, obwohl ich wusste, dass diese Aussage auf mich und wahrscheinlich auch auf sie nicht zu traf. Ich würde sie schon vermissen, wenn ich im Auto saß.
"Du weißt, dass das nicht stimmt, oder?" Sarahs Stimme klang leise, als hätte sie nicht die Kraft, als wäre sie erschöpft. "Ja, ich weiß." , erwiderte ich mit einem kleinen Schmunzeln auf den Lippen, richtig lächeln konnte ich jedoch nicht. Ich drückte sie noch ein wenig näher an mich, versuchte ihren Duft einzusaugen, versuchte, mir das Gefühl ihrer kleinen Hände an meinem Hals, zu merken.
Ich bemerkte ihre Bedrücktheit, als sie mich noch ein wenig zu sich zog und plötzlich begann, leise zu schniefen. Ich löste mich von ihr, nahm ihr, so klein wirkendes, Gesicht in meine Hände und sah sie an, sah in ihre glasigen Augen. "Kannst du nicht einfach bei mir bleiben?" , wiederholte sie, als hoffte sie, die Antwort würde sich noch irgendwann zu einem "Ja" ändern.
"Oh Sarah, du weißt, wie gern ich das machen würde. Wenn ich nur könnte." , sagte ich und drückte sie wieder an meine Brust. Am liebsten hätte ich sie nie wieder losgelassen und ihr immer wieder gesagt, ich würde sie nicht alleine lassen, nicht im Stich lassen und nie wieder verlassen.
Doch ich musste, ich musste, weil es meine Verpflichtung war. Ich musste mein Herz ignorieren, mich mit dem Trösten, dass ich Sarah am Sonntag wieder haben werde und ich musste jetzt gehen. Und zum ersten mal erkannte ich den wahren Preis dafür ein Profi Fußballer zu sein. Es waren nicht die Fans, nein dieses Problem war nichts verglichen mit dem, was ich jetzt fühlte. Der wahre Preis war, nicht bei seinen Liebsten sein zu können.
Nachdem Sarah und ich uns nochmal einen leidenschaftlichen Kuss gegeben hatten, den ich nur mit großer Kraft beendet hatte, stieg ich ins Auto, in dem Jule bereits wartete.
Ich nahm ohne Worte auf dem Beifahrerplatz und sah aus dem Fenster, während mein bester Freund in Richtung Flughafen fuhr. 

"Alter? Hörst du überhaupt zu?" , fragte mich plötzlich Timo Werner. Ich sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an und lächelte nur leicht. "Ne, sorry. War grad wo anders, was hast du gesagt?"
Timo schüttelte den Kopf und lachte mich an. "Oh, hast du Liebeskummer?" , fragte er neckend, doch da hatten wir schon die Aufmerksamkeit der anderen Spieler, die neben uns im Flugzeug saßen. "Hä? Kai, vorgestern warst du doch noch frisch verliebt. Schon wieder vorbei?" , hörte ich jetzt auch die Stimme von Serge Gnabry, der von einer Reihe vor unserer, zu uns hinter sah.
Ich musste leicht lachen, während Julian, der neben mir saß, laut los lachen musste und nur den Kopf schüttelte. "Nein, nein. Da ist noch alles bestens. Der arme Kai hat nur Sehnsucht." , sagte er und wackelte mit den Augenbrauen, woraufhin die anderen lachen mussten oder ein gedehntes "Achso" von sich gaben. "Ja, Sehnsucht nach meiner Schwester." , hörte ich plötzlich jemanden neben mir, was mein Herz schneller schlagen schließ. Peinlich berührt, sah ich in das Gesicht von Joshua, von dem ich nicht mal wusste, dass er auch bei uns saß. "Was?" , fragte Timo und im selben Moment sah Serge mich mit großen Augen an. "Seine Schwester?" , fragte er.
Ich war so überfordert mit der ganzen Situation, ich konnte nicht mal antworten. Also nickte ich nur, mit den Gedanken bei Sarah, wie sie ihren Bruder nach unserem Spiel gegen die Niederlande so liebevoll umarmt hatte.
"Was? Alter, du bist mit seiner Schwester zusammen?" , fragte Serge jetzt nochmal.
"Jaha." , sagte ich genervt und sah zu Joshua, der nur lachend den Kopf schüttelte und wieder weiter durch den Gang davon lief. Warum musste hier jeder bei solchen Gesprächen zu hören?
"Bro." , sagte Timo und sah mich immer noch mit Überraschung im Gesicht an, während sich Serge endlich wieder nach vorne umdrehte.
Ich schüttelte nur den Kopf. Wieso war es so schlimm, mit der Schwester meines Mannschaftskollegen zusammen zu sein? Ja, es ist komisch, aber ja nur für mich und für Joshua, für niemanden sonst, machte das einen Unterschied. Klar, Joshua und ich müssen uns auch erstmal daran gewöhnen, das geht auch nicht von heute auf morgen, aber wir schafften es auch. Ich verstand nicht, wieso die Jungs da so ein großes Ding daraus machten. Ich hatte mir ja Sarah nicht ausgesucht, weil sie die Schwester von meinem Mannschaftskollegen war.
Plötzlich traf mich eine Erkenntnis. Ich hatte Sarah ausgesucht, weil...weil ich mich in sie verliebt hatte.
Ja, so war es. Ich hatte mich in sie verliebt, in ihre Offenheit, ihren Charakter, ihre Lache, ihre Art, Worte zu sagen, ihre Art, die Welt und die Leute zu sehen. Ich hatte mich in sie verliebt.
Ich hatte mich in sie verliebt und zum ersten mal in meinem Leben war ich mir dieser Sache vollkommen sicher. Ich war verliebt.
Und das war ich nicht, weil Sarah und ich ein Paar waren und Paare das nunmal waren. Nein, erstmals verstand ich auch, was es hieß, verliebt zu sein.
Es war das Gefühl, das sich in meinem Bauch breit machte, wenn jemand ihren Namen erwähnt, wenn ich an sie dachte, wenn ich sie sah, wenn ich sie küsste. Es war das Gefühl, zu wissen, wohin man gehörte. Wo ich jetzt sein sollte. Und zwar bei ihr. Ich wollte zu ihr. Ich gehörte zu ihr.
Ich mochte den Gedanken, zu wissen, dass ich jemanden hatte, keine Affäre, keinen Flirt. Ich hatte eine Beziehung und ich hatte mich in Sarah verliebt.
Sobald ich das erkannt hatte, wusste ich noch eine weitere Sache. Egal, wie weit weg ich war, für wie lange, was ich tat oder wen ich traf, ich würde immer sie wählen. Würde unsere Beziehung wählen. Alles, was ich brauchte war sie und es war egal, dass ich gerade auf dem Weg nach Nordirland und somit Tausende Kilometer weit weg von ihr war, ich würde jeden Tag, jede Sekunde an sie denken und nur warten, bis ich sie wieder sehen würde. Weil ich zu ihr gehörte, weil sie die Frau ist, die ich liebe.

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