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Sarah

Kai hatte die letzte Nacht bei mir geschlafen. Er hatte mich die ganze Nacht in seinen starken Armen gehalten, mich all meine Probleme vergessen lassen.
Zumindest so lange, bis er wieder zum Training musste, was er heute nur Vormittags hatte, da die Nationalmannschaft heute Nachmittag nach Nordirland flog. Und jetzt war ich erneut in meiner einsamen Wohnung alleine. Es war komisch, diese Wohnung besaß ich jetzt schon seit fast zwei Jahren und nie hatte ich mich so einsam, verloren und alleine gefühlt. Doch in jedem Moment, in dem Kai nicht bei mir war, hatten mich diese Gefühle im Griff.
Nachdem ich meine neuen Benachrichtigungen auf Instagram angesehen hatte, die meisten hatte ich gelöscht, ohne sie anzuklicken, da ich von der Vorschau erkannte, dass sie meine Laune nur noch verschlechtern würden, setzte ich mich an meinen Schreibtisch, um den heutigen Tag zu planen.
Diese Nachrichten waren mir natürlich nicht auf einmal egal, es machte mir logischerweise immer noch etwas aus, dass mich so viele Menschen als nicht gut genug für Kai sahen. Es zeigt mir nicht nur, dass sie mich nicht mit ihm zusammen sehen wollten, sondern erinnern mich auch an meine eigenen Selbstzweifel. Immer wieder machte ich mir über mein Erscheinungsbild Gedanken. Und da Kai mir gestern erzählt hatte, dass seine Eltern mich kennenlernen wollten, beschäftigte ich mich immer wieder mit dem Gedanken, vielleicht wirklich ein arrogantes Erscheinungsbild zu haben.
Die schlimmen Nachrichten las ich zwar extra nicht, sondern nur die Guten, die mir auch ein wenig Hoffnung gaben, aber ich wusste trotzdem, über was die meisten handelten.
Ich hatte Kai versprochen, ich würde mich von solchen Nachrichten nicht runter machen lassen, würde sie gar nicht erst ansehen und ich versuchte, dieses Versprechen einzuhalten. "Und wehe du liest auch nur eine schlechte Nachricht heute. Sarah? Ich meins Ernst. Ich will nicht, dass du auf solche Leute hörst." , hatte er gesagt, nachdem er mir einen langen und leidenschaftlichen Abschiedskuss gegeben hatte.
Ich lächelte bei dieser Erinnerung automatisch. Kai könnte genauso gut sagen: "Und wehe du gehst heute aus deinem Haus." , was er natürlich niemals sagen würde, aber ich würde es machen. Egal, wie gelangweilt, frustriert oder einsam ich mich fühlen würde, ich würde machen, was er gesagt hatte. Ich würde im Haus bleiben und die Sekunden zählen, bis er wieder kam.
Ich schüttelte den Kopf, so viel Kontrolle hatte er also schon über mich. Ich hatte immer gesagt, Männer würden mir nicht sagen, was ich tun und lassen sollte. Doch jetzt war Kai in meinem Leben aufgetaucht und hatte mich innerhalb von so wenigen Tagen um seinen Finger gewickelt. 

Nachdem ich mich also endlich auf meine Arbeit konzentriert hatte, ein paar Sachen organisiert hatte, neue Aufträge angenommen und die ersten Treffen vereinbart hatte, war ich auf ungewöhnliche Weise ziemlich erschöpft. Ich fühlte mich, als wäre ich einen Marathon gelaufen und das, obwohl ich nicht mehr, sondern eher weniger gearbeitet hatte, als sonst.
Ich sah auf die Uhr und bemerkte, dass ich doch länger gearbeitet hatte, als mir aufgefallen war. Es war bereits halb 3 Uhr Mittags, das hieß erstens, ich hatte mein Mittagessen verpasst, weshalb ich wahrscheinlich auch so kraftlos war, und zweitens würde Kai bald in den Flieger nach Nordirland einsteigen. Sofort machte sich diese Leere und eine, mir unbekannte, Panik in meinem Inneren breit.
"Was? Nein, natürlich nicht. Hey, Schatz, glaubst du etwa, ich flieg einfach so für 5 Tage weg, ohne mich von dir zu verabschieden?"
, hallte seine Stimme in meinem Ohr wieder. Es war das erste mal gewesen, dass er mich Schatz genannt hatte und ich hatte gegrinst wie ein Honigkuchenpferd, während er nur gelacht hatte und mich weiter beruhigend gestreichelt hatte.
Ich schrieb Kai, ob er und Julian gleich vorbei kommen würden, damit ich mich auch von ihm verabschieden konnte, bevor ich mir einen Toast mit Avocado-Aufstrich machte.
Irgendwie fühlte ich mich schlecht, weil ich das Gefühl hatte, ich würde Julian komplett vernachlässigen. Er und Kai kamen schließlich immer gleichzeitig vom Training heim und nur Kai war der, der dann zu mir kam. Natürlich haben Julian und ich uns auch bevor ich Kai kennenlernte nicht jeden Tag gesehen. Trotzdem war er der einzige, mit dem ich mich so wirklich regelmäßig traf. Und jetzt fühlt es sich komisch an, noch einen anderen Mann in meinem Leben zu haben und dann auch noch einen, für den ich auf eine so andere Art Gefühle habe, als für Julian. Ich wusste, auf Julian war verlass, ich wusste, ich könnte trotzdem noch zu ihm kommen, egal was war, selbst, wenn ich mich bei jemandem über Kai auslassen musste und ich wusste, er würde niemals sauer auf mich sein, wenn ich mehr mit Kai machte, als mit ihm. Wir wussten beide, dass wir nur Freunde waren, er war zwar mein bester Freund, aber Kai war nunmal mein Freund und auch auf dem besten Weg einer meiner besten Freunde zu werden, wäre ja komisch, wenn nicht.
Es war nur logisch, dass es also auch für Juli eine Umstellung war. Schließlich waren seine beste Freundin und sein bester Freund, die sich noch nicht lange kannten, auf einmal mehr als Freunde. Es war für uns alle eine neue Situation, für uns alle etwas, mit dem wir uns erst einmal vertraut machen mussten.
Ich fragte mich nur immer, ob er sich, wie das dritte Rad am Wagen fühlen würde, wenn er mit uns unterwegs war.
Plötzlich kam mir eine Idee. Wir mussten einfach dafür Sorgen, dass Julian eine Freundin fand und wir könnten dann immer etwas zu viert machen. So musste sich auch Julian nicht ausgeschlossen fühlen. Es war mir sowieso immer ein Rätsel gewesen, warum er keine Freundin hatte, er war schließlich ein so liebenswürdiger Mensch, sah gut aus und humor hatte auch.
Meine Gedanken wurden von dem Klingeln meines Handys unterbrochen.
"Wenn man vom Teufel spricht" , murmelte ich nur, als ich Julians Namen auf dem Display laß, schnell mein restliches Stück Toast runter schluckte und abnahm. "Hallo?"
"Hey, Sarah." , hörte ich, dir mir so vertraute Stimme von Julian am anderen Ende.
"Na, fertig mit dem Training?"
"Ja, Kai ist gerade noch am duschen, er hat gesagt, ich soll dir Bescheid sagen, dass wir gleich kurz vorbeikommen."
"Okay, super, danke. Habt ihr schon etwas gegessen oder soll ich noch schnell etwas machen?" , fragte ich, obwohl ich Julians Antwort eigentlich schon kannte. "Ja, wenn es dir keine großen Umstände macht, warum eigentlich nicht!?"
Ich lachte kurz in mich hinein, da es genau die Antwort war, die ich erwartet hatte und so, wie ich Julian kannte, war er auch sehr hungrig und wollte es einfach nur nett ausdrücken. "Ähm, du, Sarah?" , fragte er, plötzlich eine Spur Unsicherheit in seiner Stimme. "Ja?"
"Ist das wirklich okay, wenn ich mitkomme? Du musst es nur sagen, wenn du und Kai ein wenig Zeit für euch wollt. Ich will mich da ja nicht einfach zwischen euch quetschen und euch nur nerven."
"Quatsch, Julian. Ich will meinen besten Freund doch auch mal wieder sehen und gerade, wenn ihr heute noch weg fliegt."
Typisch Julian. Er war immer so zuvorkommend und obwohl wir uns mittlerweile auch schon mehrere Jahre kannten, wollte er mir nie zu viel Last aufbürgen.
Nachdem Julian mich noch ein mal gefragt hatte, ob ich mir auch wirklich sicher war, legte ich schließlich auf und begann, ein paar Sandwiches für die beiden zu richten. Mit meinen Gedanken war ich schon lange bei meinem Wiedersehen mit Kai. Auch, wenn ich es heute mit der Sehnsucht nach ihm ausgehalten hatte, wusste ich, dass dies die nächsten Tage eine große Herausforderung werden würde.
Als es nach ein paar Minuten also endlich klingelte, rannte ich schon fast zu meiner Tür und sah zuerst einen breit grinsenden Julian. Ich schlang meine Arme fest um seinen Hals. Es fühlte sich gut an, meinen besten Freund wieder zu sehen. Auch wenn ich keine so eine Sehnsucht nach ihm gehabt hatte, wie nach manch anderem, fühlte es sich einfach gut an, ihn endlich wieder zu sehen und seine unbeschwerte Lache zu hören.
Ich schickte ihn schließlich in die Wohnung und sagte er solle es sich schon bequem machen, bevor ich mich Kai zuwandte, der geduldig hinter Julian gewartet hatte. "Hey." , sagte er und lächelte mich mit diesem besonderen Lächeln an und sofort war ich in seiner völligen Kontrolle. Ich war bereit, alles für ihn zu tun, Berge für ihn zu versetzten, ich wollte ihn einfach bei mir haben. Auch um ihn schlang ich meine Arme, bevor sich unsere Lippen zu einem leidenschaftlichen Kuss berührten.
Wären wir hier alleine, hätte ich ihn nie wieder losgelassen, diesen Kuss ewig weiter geführt, bevor ich ihn an seiner Jacke in mein Schlafzimmer gezogen hätte.
Doch wir waren nunmal nicht alleine. In der Wohnung saß Julian, der Julian, den ich so gerne sehen wollte und wessen Gefühle ich auf keinen Fall verletzten wollte, weshalb ich mich wieder von Kai löste.
Ich lächelte ihn nochmals an, was er erwiderte, bevor wir ins Wohnzimmer traten, unsere Hände ineinander verschränkt, als müssten wir uns jeden Moment, den wir heute noch mit einander hatten, berühren, bevor ich ihn in ein Flugzeug, was ihn 1200 Kilometer weit weg von mir bringen würde, steigen lassen musste.

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