Kapitel 26c

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Die Straßen am Hafen sind heller beleuchtet, als das kleine Dorf, dass wir durchschritten haben. Ebenfalls wuseln hier bereits einige Menschen herum. Kian und ich ziehen uns die Kapuzen tief ins Gesicht und versuchen möglichst unauffällig zu wirken. Zu unserer Erleichterung schenkt uns keiner der Menschen Beachtung. Alle sind mit sich selbst beschäftigt, um uns auch nur anzusehen. Ich erkenne bereits die ersten groß Masten, als uns eine tiefe Stimme zum Stillstand zwingt. Mein Herz macht einen Sprung. Nicht so kurz vor dem Ziel, bete ich.

„Junge was machst du denn hier?", brummt ein Mann hinter uns und ich sehe, wie er eine Hand auf Kians Schulter legt. Mir rutscht das Herz in die Hose und ich halte die Luft an, während Kian sich umdrehe. Ich presse meine Augen zusammen und wende mich in die Richtung der Stimme.

„Habe ich dir nicht gesagt ...", donnert erneut die tiefe Stimme und eine Alkoholfahne weht mir entgegen. Erschrocken reiße ich die Lider auf und blicke in mir unbekannte Augen. Erleichtert Atme ich auf, doch eine weitere Alkoholfahne lässt mich beinah würgen. Ein Mann Ende vierzig, mit zotteligen braunen Haaren und dunklen Augen, einer roten Nase und einen vernebelten Blick, schaut uns schwankend entgegen.

„Sir, ich glaube hier liegt ein Irrtum vor", entgegnet Kian ruhig, als auch er die Situation für eine Verwechslung hält. Der Mann trägt weder eine Wachmann uniform, noch eine Bediensteten-Uniform des Palastes. Im Gegenteil, seine Kleidung ist schäbig und abgetragen, ähnelt etwas das einst eine Seemännertracht war.

„Junge, so solltest du nicht mit mir sprechen. Wir gehen jetzt", grölt der Mann laut und zieht die Aufmerksamkeit von vorbeigehenden Menschen auf uns. Erschrocken sehe ich zu Kian. Wir dürfen nicht ausfallen. Sonst könnte uns noch jemand erkennen, uns stoppen und alles so kurz vor dem Ziel vermasseln.

„Kian, lass uns gehen", flüstere ich ihm zu. Ich will gerade einen Schritt in die andere Richtung gehen, als der Mann mich schmerzhaft am Arm packt und ich automatisch laut aufschreie. Wieder sehe ich, wie Blicke zu uns jagen.

„Wen haben wir denn da? Ein hübsches Ding hast du gefunden, mein Junge. Hallo, süße. Mach dir keine Sorgen, du darfst uns natürlich begleiten", speit er mit einem unheimlichen Grinsen. Als er eine Bewegung auf mich zu macht, um mich zu küssen klatsch Kians Faust in das Gesicht, des Mannes, der augenblicklich umfällt.

„Alles in Ordnung", will Kian besorgt wissen und ich nicke mit dem Blick auf den bewusstlosen Mann. Ich schlucke kurz und schiebe das Geschehe aus meinen Gedanken. Wir dürfen so kurz vor dem Ziel nicht unachtsam werden. Kurz betrachtet mich Kian noch einmal. Dann verschwinden wir in der nächsten Gasse, um so viel Distanz zwischen dem Mann zu bringen wie mögliche. Die kleinen Wege zum Hafen sind ein Irrgarten und kurz verfluche ich, dass wir uns gegen die Hauptstraße entschieden haben. Inzwischen sind zu viele Männer unterwegs, darunter auch einige der Seeleute, die mich eventuell erkennen können.

Die Sonne ist noch nicht ganz am Horizont zu sehen, aber taucht diesen bereits in einem dunklen orange, als wir endlich den Pier erreichen. Erschreckend stellen wir fest, dass viel mehr Leute unterwegs sind als gedacht. Aber erkennen schnell den Vorteil in der Masse untergehen zu können. Die Seeluft scheint nach Freiheit zu riechen und das Gemurmel der Leute nach Siegesmusik.

„Okay, welches der Schiffe ist es?", will Kian aufgeregt wissen. Auch ihm hat sich ein kleines Lächeln unter geschlichen. Kurz blicke ich zur rechten und zur Linken. Kann die Flagge von Merah nirgends entdecken. Als mein Blick auf das etwas kleinere und dunklere Segelschiff fällt, erkenne ich es augenblicklich. Ich deute in die Richtung und Kian nickt mir zu. Er greift meine Hand und beginnt mich in die Richtung des Schiffs zu ziehen. Mit jedem Schritt wächst mein Grinsen und ich hoffe, dass sich Avis oder sein Vater bereits auf ihm befinden.

Immer wieder rempeln vorbereitende Matrosen an mir an, doch ich schenke ihnen keine Beachtung. Mein Blick ist fixiert auf das Schiff, das immer näher kommt. Der Weg in die Freiheit, jubelt mein Herz. Vor ihm bleiben wir stehen und erkennen die kleine Fahne unserer Heimat, an dem Masten hängen. Aufgrund des flachen Winds flackert sie nur ein wenig und war deshalb zuvor nicht sichtbar. Das Grinsen in meinem Gesicht wird größer, genauso wie das von Kian. Wir haben es geschafft.

Ein älterer Matrose, der mir bekannt vorkommt, aber den ich nicht ganz zuordnen kann, kommt gerade vom Bug über den Steg, auf den Pier. Erleichtert betrachte ich das Treiben auf Deck und die Hoffnung, dass Avis oder sein Vater darunter sind steigt.

„Entschuldigung, wo kann ich Avis oder ..." Kurz muss ich überlegen und mir wird bewusst, dass ich den Namen seines Vaters nicht kenne. „Oder seinen Vater finden?", sage ich mit fester Stimme an den Mann gerichtet. Dieser betrachtet uns kurz skeptisch und legt ein fieses Grinsen, das mich erzittern lässt. Etwas erinnert es mich an den Blick, des betrunkenen Mannes.

Der Mann deutet auf das Schiff und sagt knapp, „Unterm Deck." Und schreitet an uns vorbei. Ein leiser Freudenschrei löst sich von mir und die restliche Anspannung fällt ab. Sie sind hier. Wir haben es geschafft. Vorsichtig gehen wir über den wackeligen Steg und springen auf das Buk. Die wenigen Männer beäugen uns misstrauisch, hinterfragen unser Handeln nicht. Verwirrt blicke ich mich um, versuche den Weg ins untere Deck zu finden. Als ich sehe, wie ein Mann aus einer Türe tritt, vermute ich die Treppe dort und ziehe Kian in die Richtung.

„Bist du sicher hier geht es zum Unterdeck?", fragt er zweifelnd, aber ich zucke nur mit den Schultern und öffne die Türe. Tatsächlich befinden sich die Treppen dahinter und ohne groß nachzudenken, besteigen wir sie. Der Mann hat gesagt, dass Avis und sein Vater Unterdeck sind. Irgendwie werden wir sie schon finden. So groß kann es nicht sein. Der dunkle Gang ist nur mit einzelnen Fackeln beleuchtet und ich brauche einen Augenblick, um mich an das fahle Licht zu gewöhnen. Hier unten ist nichts von dem oberen Murmeln zu hören und kurz lässt die Stille eine Gänsehaut entstehen. Ein weiterer Mann kommt uns entgegen, kurz zucke ich zusammen. Er betrachtet uns misstrauisch, aber will dann an uns vorbei gehen.

„Entschuldigung, wir suchen Avis und seinen Vater." Meine Stimme ist überraschend feste. Ich bemerke wie Kian sich seine Kapuze tiefer in Gesicht zieht und ein paar Schritte Abstand nimmt. Fürchtet er sich tatsächlich vor seinen Landsleuten? Ich weiß, dass weder Ramir, noch Aris große Bewunderer der Königsfamilie sind. Kann mir aber nicht vorstellen, dass sie ihm schaden würden. Im Gegenteil, sie würden sehen, was für einen Vorteil es haben wird dem König seinen Sohn zurückzubringen. Das Argument musst du dir merken. Für den Fall der Fälle, merkt mein Verstand an.

Der Mann grinst kurz und deutet in den rechten Gang. „Letzte Türe", sagt er kurz und verschwindet. Glücklich strahle ich Kian an und laufe mit eiligen Schritten auf besagte Türe zu. Ich will anklopfen, bemerke aber, dass sie nur angelehnt ist und schiebe sie ein Stück auf. Wie der Gang, liegt auch der Raum, beinah komplett in Dunkelheit. Eine Kerze auf einem Schreibtisch lässt umriss einer Person auf dem Stuhl erahnen und eine weitere daneben. Sie sind tatsächlich hier.

„Avis?", frage ich schüchtern und sehe, wie mich der Mann auf dem Stuhl zu sich winkt. Gefolgt von Kian trete ich in den Raum. Die Aufregung überkommt meinen Körper erneut und Zweifel machen sich in mir breit.

Was, wenn er mir nicht glaubt?

Was, wenn sie uns nicht mitnehmen?

Was, wenn sie uns ausliefern?

Ich schlucke schwer und versuche die Sorgen zu verdrängen. Da mir weder der Name von Jayden Vater einfällt, noch sein Familienname, wende ich mich weiterhin an Avis.

„Avis, ich weiß du kennst mich nicht aber ...", beginne ich zu erklären, werde jedoch von einer Handbewegung gestoppt. Wieder muss ich schwer schlucken und greife nach Kians Hand. Kurz schließe ich meine Augen, um Jayden zu sehen und neuen Mut zu tanken. Bevor ich sie wieder öffne, ertönt eine Männerstimme. Ich zucke zusammen, als ich die Stimme erkenne und auch Kian spannt sich an. Eine unangenehme Gänsehaut macht sich breit, ein zitternd übernimmt meinen Körper und meine Atmung setzt kurz aus.

„Dachtest du wirklich ich würde es nicht bemerken?", durchbricht die verärgerte Stimme, die angespannte Stille die entstanden ist. „Wirklich, Milady?", donnert die Stimme erneut, während er auf den Tisch haut. Mir wird schwarz vor Augen und alles um mich beginnt zu kreisen.

Mein letzter Gedanke heftet an dem einzigen, das nicht davon gespült wurde: Beynon.

Die Flucht (Merahs Fluch 2)Où les histoires vivent. Découvrez maintenant