Kapitel 8b

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Die nächsten drei Tage verlaufen ähnlich. Inzwischen weiß ich Dinge über Beynon, die ich niemals gedacht hätte. Sein liebstes Klavierstück, peinliche Begegnungen und sogar merkwürdige Angewohnheiten. Auch wenn ich die Zeit mit ihm bei weitem nicht genieße, ist sie trotzdem eine willkommene Abwechslung. Ohne eine Aufgabe und die Erlaubnis das Zimmer zu verlassen, sitze ich die meiste Zeit herum, in Gedanken vertieft. Somit meinen Erinnerungen zum Fraß vorgeworfen.

Kian ist aufgewacht, spricht jedoch kein Wort. So sind Konversationen meistens nur mit mir selbst möglich. Ab und zu bekomme ich ein Nicken oder Kopfschütteln von ihm. Jeden Abend berichte ich ihm von den Treffen mit Beynon. Sein Blick ist meist glasig und ich spürte, dass er nicht ganz anwesend ist. Er ist irgendwo in seinen Gedanken gefangen. Ich weiß nicht, wo und so kann ich ihm nicht helfen.

„Guten Morgen", sage ich leise, um ihn nicht zu erschrecken. Die Couch ist mir zu hart geworden und ich liege mit Kian im Bett. Wie gedacht, bietet es mehr als genug Platz. Zwischen uns liegen Welten, nicht nur wörtlich. Kians Kopf dreht sich leicht zu mir. Seine sonst so bezaubernden smaragdgrünen Augen wirken seit vielen Tagen trostlos und ähneln einem Sumpfgrün. Er blickt mir kurz traurig entgegen und wendet seinen Blick an die Decke.

Das Klopfen zwingt mich aufzustehen. Minerva, die ältere Dame, die mir beim Fertigmachen hilft, steht davor.

„Guten Morgen", sage ich unter einem Gähne. Ich schaue kurz zu meiner rechten und linke, doch von den Wachmännern ist keine Sicht. Merkwürdig.

„Guten Morgen, Milady. Ich wollte ihnen nur kurz mitteilen, dass sie das Frühstück heut in ihrem Zimmer zu sich nehmen müssen. Prinz Beynon ist anderweitig beschäftigt." Verwirrt starre ich sie an. Als Zoya, ihre Helferin, auch schon mit einem beladenen Tablett um die Ecke kommt. Schnell stellt sie es auf dem gläsernen Couchtisch ab und verlässt wieder das Zimmer. Ich stehe immer noch im Türrahmen und schaue den beiden zu wie sie hinter eine Ecke verschwinden.

Immer noch ist keine Spur von den Wachmännern. Flucht ist ausgeschlossen, aber vielleicht kann ich das Zimmer meiner Mutter finden und endlich mit ihr sprechen. Das versprochene Treffen mit ihr, von Beynon, hat noch nicht stattgefunden. Ich schnappe mir eine Stoffhose und ein weißes Hemd, das eigentlich für Kian gedacht ist. In einem Kleid will ich ungern herumschleichen. Viel zu unpraktisch und unbequem. Noch einmal versichere ich mich, dass tatsächlich keine Wachmänner in der Gegend sind und husche durch den Flur.

Ich versuche mich an die Beschreibung von Willy, zu seinem Zimmer, zu erinnern. Doch sie war zu ungenau. Immer wieder muss ich mich vor Bediensteten hinter den Vorhängen verstecken, doch bleibe ungesehen. Der Palast ist noch viel größer, als zuvor gedacht und ich befürchte den Weg nicht mehr zurückzufinden. Kurz scheine ich mich tatsächlich zu verirren, als ich an einer Türe, die einen Spalt offen steht, vorbeikomme. Sie weckt mein Interesse, denn die Stimmen die ich höre kommen mir sofort bekannt vor.

„Aus dem Prinzen war nichts herauszubekommen. Dein Plan ihn hierher zu bringen, hat zu unnötigen Schwierigkeiten und Aufsehen geführt." Die Stimme des Königs ist wieder erbost und ich kann mir seine feuer-spuckenden Augen bildlich vorstellen.

„Nicht unnötig Vater. Ein Druckmittel noch besser als Willy, über die Prinzessin." Ich erkenne Beynons Stimme sofort mit dem arroganten Ton, doch etwas anderes ärgerte mich. Prinzessin. Er nennt mich tatsächlich schon Prinzessin. In seinem Universum sind wir bereits verheiratet und ich Prinzessin von Evrem.

Wütend ballen sich meine Hände zu Fäusten und ich spüre wie sich meine Fingernägel wieder in meine Handfläche bohren, doch dieses Mal lass ich nicht locker. Wie kann er nur so ... dazu fallen mir einfach keine Worte ein. Was hast du dir denn gedacht? Die paar Gespräche und Beynon ist ein anderer. Dir war doch klar, dass er noch derselbe ist, meckert mein Verstand. Ich habe in den letzten Tagen vergessen, wer wirklich hinter Beynon steckt.

Ich habe es genossen, mich mit jemand zu unterhalten. Das nichts tun und die Stille treiben mich in den Wahnsinn. Ich brauche meine Routine, meine Aufgaben. Einfach herumsitzen und nichts tun, kann ich einfach nicht. So etwas gab es noch nie in meinem Leben. Nicht mehr seit ich ein kleines Mädchen war. Doch Beynons harte Worte fühlten sich wie ein Verrat an. Tue ich nicht dasselbe? Sein Vertrauen gewinnen, um an Information zu kommen. Meine Gedanken werden wieder von den Männern im Raum unterbrochen.

„Gut. Gut. Somit hat dein dummes Handeln zumindest einen Zweck." Die Worte des Königs an seinen Sohn sind hart und kalt. Selbst ich muss zusammen zucken. „Also hat sie noch keine Ahnung und ihr ist nicht bewusst, dass sie ..." Bevor ich das Ende des Satzes hören kann, ertönen Schritte hinter mir. Erschrocken fahre ich herum und sehe zwei Wachmänner durch den Gang marschieren. Schnell verschwinde ich, um die nächste Ecke und atme erleichtert auf, als ich erkenne, dass sie mich nicht gesehen haben.

Mir ist nicht bewusst, dass ich – wer bin? Verwirrt überdenke ich erneut die Worte des Königs. Die Frage, die schon lange umher kreist, wäre beinah beantwortet worden. Ich könnte mir die Haare ausreißen. Nur ein paar extra Sekunden.

Gedankenversunken gehe ich ein paar Schritte rückwärts und stoße gegen etwas Weiches. Nicht etwas. Jemand. Das Blut gefriert mir in den Venen, mein Herz beginnt zu rasen und meine Hände zu schwitzen. Das war's. Jetzt geht wieder in den Kerker. Panisch mit aufgerissenen Augen drehe ich mich ganz langsam um. Meine Atmung ist flach, obwohl die Luft so dünn scheint.

Zuerst fallen mir die Augen auf. Seltsam aber irgendwie fesselnde Augen. Eines grün-grau, das andere Saphir-blau. Eine beinahe gerade Nase und zartrosa Lippen. Das leicht kantige Gesicht, mit einem fünf Tage Bart erinnerte mich leicht an Beynon. Auch, wenn es reifer und noch einen Tick muskulöser wirkt. Die dunklen Haare mit einem leichten Rotton sind kurz, an den Seiten und oben länger. Nicht so lange wie Beynons. Der junge Mann ist ein Stück größer als Beynon und sein Körper ähnelt dem vom Muskelprotz Kuno. Kurz vergesse ich, dass ich erwischt wurde bei einem verbotenen herumschleiche und reise mich aus meiner Trance.

„Wen spionierst du denn aus?", fragt der junge Mann belustigt und blickt um die Ecke. Seine Stimme ist tief und hat etwas Beruhigendes. Mir fällt einfach nichts ein. Erschrocken starre ich den jungen Mann vor mir an. Der bei meinem Anblick erneut leise auflachen muss.

Die Flucht (Merahs Fluch 2)Where stories live. Discover now