Kapitel 2a

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Ich werde mit einem lauten Knall der Türe geweckt und schrecke hoch. Der Muskelprotz hat die Türe so feste aufgeschlagen, dass sie mit der Wand zusammen schmettert. Er stellt mir eine Schüssel vor die Füße und überprüft den Eimer mit Wasser, der immer noch halb voll ist. Als ich Schritte im Gang vernehme, geht mein Blick zur offenen Türe. Ich kann rennen? Geht es mir durch die Gedanken. Aber wohin? Du bist auf einem Schiff! Willst du etwa ins Meer springen, tadelt mich mein Verstand. Mein Blick bleibt auf den Gang gerichtet, wo ein weiterer stämmiger Mann mit einem bewusstlosen jungen Mann über der Schulter, vorbeigeht. Das lange Haar verdeckt das Gesicht, der Person, doch ich erkenne ihn trotzdem sofort.

„Kian!", schreie ich und springe auf die Türe zu. Bevor ich sie durchschreiten kann, packt mich der Muskelprotz am Arm und schmeißt mich zurück auf mein provisorisches Bett. Unsanft lande ich auf dem Rücken und werfe dem Mann einen bösen Blick zu, doch der knallt die Türe vor mir zu.

„Aus dem ist nichts herauszubekommen", höre ich eine tiefe Männerstimme. Dann ein schweres Aufschlagen und das Zuschmeißen einer Türe. Sie müssen Kian in die Box neben mich gebracht haben. Wild donnere ich gegen die Wand.

„Kian! Kian!", brülle ich so laut ich kann, doch kein Mucks. Er muss noch bewusstlos sein, schlussfolgere ich. Was haben die nur mit dir gemacht?

Mit der Schüssel, die eine Art Haferschleim beinhaltet, setze ich mich an die Wand, die zu Kians Box anschließt, um zu hören, wenn er wach wird. Ich würge die Hälfte, des pampigen Brei hinunter und stelle die Schüssel neben mir ab. Resigniert lasse ich meinen Kopf in den Nacken fallen und stoße hart gegen die Wand, aber zucke nicht einmal zusammen. Inzwischen ist die See ruhiger geworden und das Schiff schwankt nicht mehr so sehr wie zu Beginn. Ich kann ein leises Stöhnen hören und drehe mich zu der Wand um.

„Kian!", rufe ich erneut und entdecke ein kleines Astloch in einem der Bretter, dass mir Sicht auf den neben mir liegenden Raum gibt. Tatsächlich liegt Kian zusammengerollt auf dem Boden. Ich sehe wie sich sein Brustkorb hebt und senkt und erleichtert, dass es noch am Leben ist, atme ich aus. Er zuckt leicht, aber seine Augen sind geschlossen.

„Kian!", rufe ich in der Hoffnung ihn aus seinem Albtraum zu reißen, doch er zuckt nur kurz zusammen und bleibt bewusstlos am Boden liegen.

Sein Gesicht ist übel zugerichtet. Mehrere Hämatome, Schwellungen und eine Platzwunde unter seinem Auge sind zu erkennen. Das Blut ist bereits geronnen und das Hämatom ist eine Mischung aus dunkelrot und blau, was darauf schließen lässt, dass sie vom Vortag oder sogar davor sein müssen. Sein geschwollenes Auge hingegen leuchtet rötlich, was erst vor wenigen Stunden entstanden ist.

Sein sonst so feines weißes Hemd ist zerrissen, verdreckt und mit Blut getränkt. Seine Handgelenke sind wund, seine Schnitte sind um einiges tiefer als meine. Er muss sich heftig gewehrt haben. Eine kleine Blutpfütze unter seinen Händen deutet darauf, dass sie erst vor kurzem aufgehört haben zu bluten.

Bei dem Anblick und den Qualen die er leiden musste wird mir schlecht. Ich übergebe mich in die Kiste, die sich als Toilette entpuppt. Das bisschen Frühstück, was ich runterbekommen habe, wird jetzt ins weite Meer getragen. Ich nehme ein paar Schlucke Wasser, um den beißenden Geschmack loszuwerden, als meine Türe aufgerissen wird. Erneut steht der Muskelprotz in meinem Raum und mustert mich. Ich muss grauenhaft aussehen, denn für einen Bruchteil einer Sekunde sehe ich Mitleid in seinen Augen, die aber schnell wieder weicht. Ohne ein Wort kommt er auf mich zu, packt mich am Arm und zerrt mich aus der Box.

Was machst du da? Lässt du dich einfach so mitschleppen? Wehr dich! Befiehlt mir mein Verstand. Nicht das ich wirklich eine Chance gegen ihn habe, aber mein Verstand hat recht, ich will mich nicht einfach so ihrem Willen untersetzten. Das hätten die wohl gerne. Eine gefügige Gefangene. Ich zerre an meinem Arm und schlage mit meiner freien Hand auf den Mann ein, jedoch beeindruckt ihn das weniger. Er blickt nicht einmal zu mir hinunter. Wir gehen eine paar Stufen hoch, dort öffnet er eine Türe und schubst mich in einen Raum. Strauchelnd komme ich in der Mitte zum Stehen und sehe wie der Muskelprotz die Türe hinter mir schließt.

„Milady", ertönt Beynons Stimme hinter mir und ich fahre abrupt um. Ich muss schwer schlucken, als ich den jungen Mann im Schatten erkennen. Ich nehme ein paar Schritte nach hinten, um mehr Distanz zwischen uns zu bringen. Er schaut mich gierig an. Als sein Blick auf die Kette fällt, die ich immer noch trage, schüttelt er schnell den Kopf.

„Hinsetzen", befiehlt er mir streng und deutet auf einen Stuhl, der neben einem breiten Tisch mit etlichen Karten steht. Ich schüttele den Kopf und gehe einen Schritt nach hinten.

„Müssen wir es wirklich auf die schwere Tour machen?", fragt er gereizt. „Hinsetzen habe ich gesagt!" Immer noch mache ich keinen Anstand, seiner Aufforderung nachzukommen. Ich weiß nicht, was er vorhat, aber ich werde sicher nicht das gehörige kleine Mädchen spielen, soviel ist sicher. Er kommt einige Schritte auf mich zu und ich stoße mit dem Rücken gegen die Wand. Bevor ich ihm ausweichen kann, packt er mich am Arm und zerrt mich auf den Stuhl. Er positioniert sich vor mich, sodass ich gezwungen bin auf dem Stuhl sitzen zu bleiben.

„Arm her und Hand auf", sagt er wieder barsch. Erneut schüttele ich den Kopf. Verschränkte meine Arme vor der Brust und forme meine Hände zu Fäusten.

„Du willst es wirklich auf die harte Tour, oder?", schreit er mich an und seine Hand schellt in mein Gesicht. Ein stechender Schmerz breitet sich über meine Wange aus. Vor Schreck habe ich meine Hände aus der Position genommen und er packt sich meinen rechten Arm, bevor ich ihn entziehen kann.

Plötzlich erkenne ich ein kleines blaues Objekt in seiner Hand. Beinah wie die Glaskugel des Königs schimmert sie blau, ist jedoch um ein vielfaches kleiner. Nicht größer als eine gewöhnliche Murmel. Trotzdem läuft mir ein Schauer über den Rücken, als ich darüber nachdenke, was passiert ist, als ich die große Kugel in der Hand hatte. Meine Hand ist immer noch zu einer Faust geformt.

„Hand auf!" Auf einmal wird mir klar, was er vorhat und Angst wallt in mir auf.

„Nein, bitte nicht. Bitte nicht. Bitte", bettele ich bei dem Gedanken die Bilder wieder vor meinem Auge aufblitzen zu sehen und die Schmerzen erneut zu erleben. Feste donnert er meine Hand auf den Tisch. Der plötzliche Schmerz, der meine Hand durchzieht, löst automatisch meine Faust. Bevor ich sie wieder schließen kann, legt Beynon die Kugel in meine Hand. Vor Angst presse ich meine Augen zusammen. Doch nichts passiert außer einem leichten Kribbeln, das meinen Arm durchfährt.

„Beeindruckend", höre ich Beynon begeistert sagen und öffne meine Augen langsam. Blauer Efeu räkelt sich über meinen Arm und auch meine Narben leuchten blau auf.

Das Zeichen, das zuvor geleuchtet hat, ist verschwunden.

Vorsichtig berührt Beynon das Leuchten, doch seine Berührung brennt auf meiner Haut.














***Schmückt gerne den Nachthimmel und lasst ein paar Sternchen daran funkeln.***

Die Flucht (Merahs Fluch 2)Where stories live. Discover now