Kapitel 1a

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Der Wind peitscht Regentropfen in mein Gesicht und die eisige Kälte lässt sie wie Eiszapfen auf meiner Haut zerplatzen. Die Meeresluft brennt auf meiner Haut und hinterlässt einen salzigen Geschmack in meinem Mund. Ich blicke zu meiner Mutter hinauf, die plötzlich so viel größer wirkt. Oder bin ich einfach nur kleiner geworden? Sie strahlt mir gequält entgegen. Auch ihr setzt die eisige Kälter zu. Mit nur einer dünnen Jacke bekleidet, die bereits durchnässt ist, zittern wir beide um die Wette.

„Ich möchte nach Hause", höre ich meine eigene Stimme. Meine eigene Kinderstimme mit einem leichten Lispeln. Meine Mutter kniet sich zu mir hinunter, legt ihre Hände auf meine Wangen und küsst meine Stirn.

„Wir fahren für einige Zeit weg, Prinzesschen. Das habe ich dir doch erklärt", sagt sie sanft, doch ich höre die leichte Furcht in ihrer Stimme. Sie schaut sich schnell um.

Wir stehen in der Mitte eines Hafens. Zu meiner Linken reihen sich prächtige Schiffe an den Docks und zu meiner rechten tummeln Menschen. Das rege Treiben und die Schreie ängstigen mich und Tränen schießen mir in die Augen.

„Ich möchte nicht weg. Ich möchte nachhause", presse ich unter Tränen hervor. Meine Mutter wischt mir ein paar nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht und zieht mich in eine Umarmung.

„Ich weiß, Prinzesschen. Ich weiß", sagt sie traurig. Langsam löst sie sich aus der Umarmung und nimmt meine Hand feste in ihre. Sie schaut sich ein paar Mal um, bevor sie entdeckt wonach sie sucht. Kurz geht ihr Blick angestrengt über die Menge und lockert sich dann. Mit ihrem Griff noch ein bisschen fester gehen wir schnellen Schrittes an den Schiffen vorbei.

Zu schnell für meine kleinen Beine zieht sie mich hinter sich und ich komme immer wieder ins Straucheln. Die Menschen um mich schenken mir keine Beachtung und immer wieder laufen sie gegen mich oder treten auf meine Füße. Erneut strauchle ich und dieses Mal gelingt es meiner Mutter nicht den Sturz zu bremsen. Schmerzhaft komme ich auf dem Boden auf. Erschrocken blickt meine Mutter zu mir hinunter, hebt mich auf ihren Arm und drückt mich an sich. Immer noch eilen wir schnell durch die Menschenmasse. Mit mir auf dem Arm kommt meine Mutter schnell außer Atem und wir werden immer langsamer.

Vor einem großen Schiff mit einer roten Fahne, auf der ein Löwe abgebildet ist, halten wir. Meine Mutter lässt mich wieder auf den Boden und greift meine Hand. Es hat aufgehört zu regnen und vereinzelte Sonnenstrahlen brechen durch die Wolkendecke. Wir steigen über einen kleinen Steg auf das Deck des großen Schiffes, das von den Wellen leicht hin und her gewiegt wird. Ich torkele etwas ungeschickt, weil es mir schwerfällt mein Gleichgewicht bei dem Wanken zu halten. Ein Mann mit einem Vollbart und langen Haaren kommt verärgert auf uns zu gelaufen.

„Das war nicht der Deal!", ruft er meiner Mutter entgegen. Die Wellen krachen immer lauter gegen das Heck des Schiffes und verschlingen die Worte beinah. „Das Kind kommt nicht mit!", sagt er jetzt wo er vor uns steht. Verärgert betrachtet der Mann mich. An seinem grüner Anorak und schwarzen Gummistiefel perlen Wassertropfen ab. Ich verstecke mich ängstlich hinter meiner Mutter. Immer noch schwingt mein Körper mit dem Boot von Seite zu Seite. Meine Mutter erwidert etwas, doch ich kann es nicht verstehen. Das einzige, was zu mir tritt ist der Name, „Gregori."

Sie reicht ihm etwas, dass ich nicht erkennen kann. Streng begutachtet der Mann es und willigt genervt ein. Er führt uns in eine Kajüte, wo es um einiges wärmer, als an der Luft ist. Nass, müde und verwirrt falle ich in einen tiefen Schlaf.

Als ich aufwache, scheint die Sonne durch ein kleines Fenster, doch von meiner Mutter ist keine Spur. Das Schaukeln des Schiffs hat etwas nachgelassen und vorsichtig schreite ich auf den Gang. Ich folge ein paar Männer eine Treppe hinauf. Die Stufen scheinen zu hoch für mich und es kostet meine ganze Kraft sie zu erklimmen.

Eine Meeresbrise weht mir entgegen und ein kleiner Schmetterling tanzt vor meinem Gesicht. Freudig verfolge ich meinem kleinen Freund bis an die Reling. Von dort fliegt er auf das Land hinzu. Vor mir erstreckt sich ein Hafen und wunderschöne Natur. Eine Welle schlägt gegen das Heck und schmeißt mich zu Boden, doch die Reling schütz mich vor dem Sturz in das Wasser. Erst jetzt bemerke ich meine Mutter, die rechts neben mir am Bug mit dem Kapitän Gregori spricht.

„Mama!", rufe ich und stemme mich auf meine Beine. Doch sie hört mich nicht. Mit schnellen schwankenden Schritten gehe ich auf sie zu. Meinen nächsten Ausruf hört sie und blickt erschrocken zu mir herüber. Eilig kommt sie zu mir gelaufen, als sie nur noch ein Stück entfernt ist, schlägt eine zweite Welle gegen das Schiff und bringt mich erneut ins Straucheln. Dieses Mal ist keine Reling an meiner Seite, um meinen Sturz zu halten. Für einen Bruchteil einer Sekunde bin ich schwerelos.

Kaltes Wasser umhüllt mein Gesicht. Ich reiße panisch die Augen auf und schnappe nach Luft. Ich muss mehrmals Husten bevor ich wieder zu Atem komme.

„Guten Morgen, Milady", höre ich Beynons Stimme, der mit einem amüsierten Grinsen vor mir steht und einen leeren Eimer in der Hand hält. Schockiert schaue ich zu ihm auf. Ich liege auf einem harten Holzboden und meine Hände sind hinter meinem Rücken zusammen gebunden.

Was ist passiert? Meine Gedanken sind immer noch vernebelt und ich versuche meine letzte Erinnerung ausfindig zu machen. Ich war im Zimmer des Königs mit Kian ... dann kam Jayden ... der Alarm ging los ... Panik ... Männer mit Masken ... Jayden ... Beynon. Die Erinnerung trifft mich wie ein Schlag und erneute Panik bricht in mir aus. Beynon hat mir irgendetwas gespritzt und Jayden. Jayden! Er lag regungslos auf dem Boden.

„Wo ist Jayden?", will ich panisch wissen, während ich versuche die Fesseln von mir zu lösen und mich umzusehen. Doch ohne Erfolg. Schmerzhaft schneiden die Seile in meine Handgelenke und das einzige, was ich in dem Raum erkenne, sind die hölzernen Wände und die Tür vor der Beynon steht, der nun amüsiert Lacht.

„Der Junge, der dachte, er kann es gegen uns aufnehmen?", fragt er abschätzig und amüsiert. „Der ist jetzt an einem besseren Ort." Erneut lacht Beynon auf und kommt einen Schritt auf mich zu.

Jayden ist tot.

Tränen schießen mir in die Augen und mein Herz krampft zusammen.

Erfolglos versuche ich von Beynon weg zu robben.

Die Flucht (Merahs Fluch 2)Where stories live. Discover now