Kapitel 25a

1K 94 24
                                    

Vor dem Abendessen gehe ich noch zu Alistair. Tal beachte ich dabei nicht. Wenn ich heute Abend fliehe, kann mir der König sowieso nichts mehr antun und wenn es mir nicht gelingt, ist mir sowieso alles egal. Ich will den Palast nicht verlassen, bevor ich nicht noch einmal bei dem alten Mann war. Auch wenn wir uns im geheimen getroffen haben und vielen Geheimnissen zwischen uns stehen, ist mir der alte Mann sehr ans Herz gewachsen.

„Milady, sie können da nicht rein", protestiert Tal, bevor ich an Alistairs Türe klopfen kann und eilt mit schnellen Schritten auf mich zu. Herausfordernd lächle ich ihm entgegen. Keine Zeit für Angst. Keine Zeit für Regeln.

„Und wieso nicht, Tal? Sollte das nicht der alte Mann entscheiden dürfen", sage ich mutig und sehe dem Wachmann an, wie er bei der Strenge meiner Worte ins Grübeln kommt. Dachte er gerade tatsächlich darüber nach? Frage ich mich verwirrt. Nehme es als Triumph an. Ohne eine Antwort abzuwarten, klopfe ich an und drücke die Türklinke nach unten. Als ich einen Schritt in das Zimmer gehe, kommt Tal hinter mich und will mich wieder herausziehen. Seine Hand legt sich schmerzlich um meinen Arm und ich ziehe scharf die Luft ein.

„Oh Emmelin, schön dich ... Anwyll was machst du denn mit meinem Gast? Lass das Mädchen los und schließe die Türe hinter dir", sagt Alistair in einem ungewohnt strengen Ton. Tal, der in Wirklichkeit Anwyll heißt, gehorcht ihm aufs Wort. Mit aufgerissenen Augen und einem Hauch von Angst lässt er von mir ab und legt keine Widerrede ein. Als die Türe hinter mir ins Schloss fällt, legt sich wieder das übliche Lächeln auf Alistairs Lippen.

„Der junge Bursche kommt seinem Namen nicht nach. Anwyll bedeutet der, der von allen geliebt wird. Aber lass mich dir eines sagen, ich habe den Burschen noch nie leiden können." Gemeinsam fallen wir ins Lachen und ich setze mich wie gewohnt auf Alistairs Bett.

„Was bringt dich her, mein Kind? Und was macht der schreckliche Bursche bei dir?", will Alistair nach einer Weile des Lachens wissen und wir werde wieder etwas ernster.

„Ich wollte dich sehen. Das ist alles", antworte ich mit einem breiten Grinsen. Für die Anwesenheit eines Wachmannes habe ich keine Antwort, weshalb ich den zweiten Teil seiner Frage ignoriere.

„Ich sehe, die Uhrzeit deines Besuchs ist nicht alles, was sich heute verändert hat. Ich sehe es in deinen Augen. Dieses Glitzern. Du bist glücklicher. Haste du endlich die Antworten von dem jungen Mann erhalten, die du so sehr wolltest?", will er neugierig wissen. Ich bin froh, dass er nicht weiter nach Tal fragt. Sein Grinsen wirkt beinah schelmisch, aber die vielen Falten nehmen ihm das spitzbübische. Die Sonne ist noch nicht ganz untergegangen, weshalb ich ihn zum ersten Mal seit Langem wieder im Licht sehe.

„Nicht ganz. Aber ich habe eine Antwort gefunden, von der ich nicht wusste, dass ich sie brauche", antworte ich ehrlich.

„Das freut mich mein Kind. Aber ich verstehe trotzdem nicht, wieso du hier mit einem alten Mann sitzt, anstatt den Abend mit etwas spaßigen zu verbringen." Mir tut der alte Mann leid, dass er so wenig von sich selbst hält. Dass er nicht verstehen kann, dass jemand gerne Zeit mit ihm verbringen wollte.

„Also ich finde das hier ist spaßig", entgegne ich mit einem breiten Grinsen und sehe wie auch Alistairs Lachen wieder größer wird. „Alistair, darf ich dich etwas fragen?"

„Aber natürlich, mein Kind. Was immer du möchtest."

„Wie kommt es, dass du mir nie etwas über dich erzählst? Du hörst immer nur zu und ich glaube beinah, dass du mich besser kennst, als manch ein anderer im Palast. Aber ich weiß so wenig über dich. Ich weiß nicht einmal, was dein Name bedeutet?", überlege ich laut. Alistairs warmes Lachen füllt den Raum.

„Oh, mein Kind. Du hast nie gefragt. Ich habe dir angesehen, dass du ein Ohr brauchst, das zuhört und keinen alten Mann, der von vergangener Zeit spricht", antwortet er und deutet mir an, etwas näherzukommen. Ich rutsche neben ihn aufs Bett und schaue ihm erwartungsvoll entgegen. „Alistair bedeutet der Beschützer. Und glaub mir, ich bin nicht sehr spannend. Meine Geschichten würden dich langweilen, mein Kind." Der Beschützer, irgendwie passt der Name zu ihm. Ich weiß nicht weshalb, aber ich will einfach seiner Stimme lauschen, sie in mein Gedächtnis brennen. Die Ruhe, die er versprüht, tanken. Für die Flucht und die lange Reise.

Die Flucht (Merahs Fluch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt