Kapitel 6c

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 „Wo gehen wir hin?", frage ich etwas außer Puste, da Beynon mich mit schnellen Schritten hinter sich herzieht. Er ist angespannter, als sonst und auch gedanklich leicht abwesend.

„Mein Vater ist zurück", presst er verärgert hervor. Er wendet seinen Blick nicht an mich. Nun wallt auch in mir eine Anspannung und gewisse Angst auf. Ich habe immer noch nicht erfahren was genau ich hier soll. Mit meiner Mutter bekomme ich nicht die Chance zu reden, weshalb auch ihr Aufenthalt hier ein Rätsel für mich ist. Weder ihre, noch meine Entführung, ergibt für mich Sinn.

Warum sollte man mich entführen? Mich? Eine Ari wie jede andere? Oder etwa nicht? Die komische Kugel von Beynon hat irgendwelche Auswirkungen auf mich, aber das konnte der König nicht wissen. Immerhin war Beynon sichtlich überrascht, als er es herausfand. Wieso also bin ich hier? In der Hoffnung auf ein paar Antworten versuche ich zumindest optisch meine Anspannung abzulegen.

„Kein Wort, wenn wir da jetzt hereingehen! Verstanden? Sonst könntest du echt Probleme bekommen." Beynon klingt besorgt. In seinen Augen erkenne ich wie ernst es ihm ist. Er öffnet die schweren Flügeltüren und wir treten in einen großen Saal. Die deckenhohen Fenster fluten den Raum mit Tageslicht. Bis auf eine Art Thron ist der Raum komplett leer. Bei näherem Betrachten erkenne ich eine Person auf der pompösen Sitzmöglichkeit.

„Der Prinz!?" ertönt eine erboste tiefe Stimme, dessen Echo von den Wänden widerhallt. „Der Prinz!", wiederholt die tiefe Stimme, während der Mann auf uns zukommt. „Was fällt dir ein, den Prinzen hierher zu bringen? Haben dich alle guten Geister verlassen? Der Prinz! Ich hoffe für dich, dass dein Handeln nicht auf Evrem zurückfällt, sonst ist der Galgen das letzte, was du fürchten musst!" Der Mann schreit immer noch, obwohl er inzwischen beinahe vor uns steht. Entsetzen ist auf seinem roten Gesicht zu sehen. Seine Zähne fletscht er wie ein wild gewordener Hund und seine Augen speien Feuer.

„Erkläre mir, was in aller Welt in dich gefahren ist!" Nun steht der bebende Mann direkt vor uns, mit seiner Hand, die auf Beynon zu rast. Die Ohrfeige erwischt ihn eiskalt und der Knall halt in dem Raum schmerzlich nach. Wütend dreht sich der Mann wieder um und nimmt ein paar Schritte von uns ab. „Was in aller Welt hast du gedacht?!", schreit er in der Ferne.

„Vater, ich kann es erklären ...", sagt Beynon mit leicht zittriger Stimme.

„Natürlich kannst du das! Das wirst du auch!" Abrupt dreht sich der Mann um und zum ersten Mal blickt er mich an.

„Ist das das Mädchen?" Die Wut hat sich etwas gelegt, doch der Hass ist immer noch deutlich anwesend.

„Ja." Beynons Stimme ist weniger feste, beinah als fürchte er den abrupten Themenwechsel. Mit einer Handbewegung fordert er uns auf näherzukommen. Beynon hält immer noch meinen Arm fest umschlungen und ich fühle wie der Druck sich erhöht. Auch seine Anspannung steigt mit jedem Schritt, als fürchte er um mein Wohlergehen. Wir bleiben vor dem rundlichen Mann stehen, der nur ein paar Zentimeter größer ist als ich. Obwohl seiner geringen Größe strahlt er so viel Autorität aus, wie ich es von niemand anderes kenne.

Mit strengem Blick mustert er mich. Wie so viele Male zuvor werde ich gründlich unter die Lupe genommen. Jeder Zentimeter von mir wird betrachtet. Als der König einen weiteren Schritt auf mich macht, versuche ich aus Instinkt einen zurück zu machen. Beynons Griff ist immer noch feste um meinen Arm gelegt, sodass meine Bewegung eher einem leichten weichen nahekommt. Grob packt der alte Mann mein Kinn und zerrt meinen Kopf von einer Seite zur anderen.

„Nicht schlecht. Sollte eine gute Partie für Leander abgeben." Die Rage ist endgültig abgeklungen. Seine Worte verstehe ich nicht, doch bevor ich mir weitere Gedanken machen kann, ertönt Beynons entsetzte Stimme.

Die Flucht (Merahs Fluch 2)Where stories live. Discover now