Kapitel 5b

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 „Emmelin?"

Vor mir steht eine dünne, aber nicht magere, Frau. Ein paar Zentimeter größer als ich. Langes dunkelbraunes Haar fließt in Wellen von ihrem Kopf. Ihre Augen, grün wie Moos, strahlen Liebe, Freude, Erleichterung und Unglauben aus. Kleine Tränen glitzern in ihren Augenwinkel. Ihre schmale Stupsnase, ihre hohen Wangenknochen und das schmale Kinn schmeicheln ihrer Schönheit. Wahrlich eine der schönsten Frauen die ich kenne. Mein Herz beginnt zu rasen, mein Atem beschleunigt sich und Tränen trüben meine Sicht. Mein Körper beginnt zu beben. Meine Knie lassen nach und ich stürzte zu Boden. Was ist das für ein Zauber?

„Mutter", schluchzte ich. Im nächsten Moment umschlingt sie mich und drückt mich feste an sich. Kein Traum, keine Illusion. Ich weiß nicht, wie lange wir uns weinend in den Armen liegen, doch als sie sich von mir löst, ist es beinah schmerzlich. Wie früher legt sie ihre weichen Hände an meine Wangen und schaut mir direkt in meinen Augen.

„Meine Emmelin, bist es wirklich du?" Tränen steigen wieder in ihre Augen und sie küsst mich auf die Stirn. Erneut muss ich schluchzen und ziehe mich ganz nah an sie. Als der Schock und die überwältigende Freude meine Mutter im Arm zu halten etwas abklingt, löse ich mich wieder um sie erneut zu betrachten. Vater!? Wenn sie noch am Leben ist, vielleicht auch er. Panisch blicke ich mich in dem Raum um, doch außer uns ist niemand hier. Meine Mutter streicht mir behutsam über den Kopf.

„Vater?", frage ich in der Hoffnung, dass er nur gerade unterwegs ist. Doch sie schüttelt traurig den Kopf.

„Ich dachte, dass ihr beide im Feuer umgekommen seid. Ich wusste nicht, dass du noch da draußen bist. Ich hatte keine Ahnung. Als sie mich geschnappt haben, das Haus anzündeten und mich hierher verschleppten, dachte ich, dass ich alles verloren habe." Berichtet sie mir unter Tränen. Mein Verstand ist zu überfordert, um alles zu verarbeiten. Ich verstehe, dass sie, genau wie ich, hier gefangen gehalten wird.

Auf einmal erinnere ich mich an die unverschlossene Türe. Die Gänge waren ziemlich leer auf dem Weg hierher und auch der Hafen ist nicht so weit entfernt. 

Wir können es schaffen. 

Wir können zurück nach Merah. 

Wir können fliehen. 

Mit neuer Energie springe ich auf meine Beine und ziehe auch meine Mutter hoch. Ich zerre sie zur Türe, die ich leise öffne. Sie ist tatsächlich unverschlossen.

„Wir müssen hier weg", flüstere ich meiner Mutter zu und ziehe sie aus der Türe, doch sie bleibt stehen. „Mutter, wir müssen jetzt gehen! Noch eine Chance bekommen wir vielleicht nicht." Ich drehe mich zu ihr um. Sie befreit sich aus meinem Griff und schaut mir traurig entgegen.

„Emmelin ich kann nicht ..." Stimmen die plötzlich hinter mir auftauchen, bringen sie zum Schweigen. Beynon und der kleine blonde Junge kommen gerade die Treppe hinauf. Das war es mit unserer Chance. Von nun an werden sie besser darauf achten die Türe zu versperren. Doch Beynons Blick ist nicht erschrocken, nicht verwirrt, dass wir auf dem Gang stehen. Der kleine Junge kommt auf uns zu gerannt. Seine schulterlangen Haare wehen wild um ihn. Kurz muss ich an den kleinen Micah denken.

„Mama!", brüllt er freudig und springt meiner Mutter in den Arm. Sie drückt den Kleinen an sich und gibt ihm einen Kuss auf die Stirn.

„Willy, komm her", höre ich Beynon liebevoll, aber streng sagen. Ohne Murren gehorcht der Kleine und stellt sich vor Beynon. Der legt die Hände auf die Schultern des Kleinen und schaut streng zu meiner Mutter.

„Wir wollen ja nicht, dass du unsere Vereinbarung vergisst." Er dreht sich mit dem kleinen Jungen um und eilt die Treppe wieder hinunter. Mein Kopf schwirrt von Fragen und auch die Müdigkeit setzt mir langsam zu. Was geht hier vor sich? Ich drehe mich wieder meiner Mutter zu, die wieder Tränen in den Augen hat. Aber nicht der Freude, sondern Trauer willen.

Die Flucht (Merahs Fluch 2)Unde poveștirile trăiesc. Descoperă acum