Prolog

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                           | L e v i |

»Möge der Mond zu euren Gunsten stehen. Und möget ihr auf ewig vereint sein.«, Worte die ich zu oft hören musste. Worte die das Band zwischen zwei Seelen festigen und unüberwindbar machen sollte. Doch in meiner Magengegend lösten sie immer wieder einen Brechreiz aus. Ein Rudel aus dem Norden hatte sich hier hinunter gewagt, um sich von meinem Vater segnen zu lassen. Seitdem ein Wolf meinte, sein Segen habe ihn vor der tödlichen Kugel eines Jagdgewehres gerettet, fanden solche Anlässe öfter bei uns statt. Völliger Stuss, wenn man mich fragte, das tat allerdings Niemand. Aber irgendwas brauchten wir, an das wir glauben konnten, zumindest in schweren Zeiten wie diesen. Nicht nur immer mehr Rudel gerieten in Feindschaft, auch die Jäger wurden sich unser überdrüssig. Sie versammelten sich in immer größeren Gruppen und machten ein riesen Event aus der Jagd nach uns, den letzten Wölfen. Über die letzten zehn Jahre wurden immer und immer mehr Rudel durch die Hand der Menschen ausgelöscht und eigentlich wusste jeder von uns, dass unsere Zeit vorbei war. In meinem Vater sahen die Meisten noch Hoffnung, Hoffnung auf Erlösung und Rettung. Ich befürchte allerdings, dass diese Last meinen Vater das Verderben bringen würde. Sie würden ihn bis in die dunkelsten und tiefsten Ecken seiner selbst zerren und dort für immer gefangen halten. Egal wie selten mein Blut war und wie kostbar ich für die Alphas sein konnte, mehr zu sagen hatte ich dadurch nicht.
Ich verstand nicht einmal, was an meinem Blut so besonders war. Omegas waren selten geworden, dennoch schob man meinem und dem Blut meiner Schwester eine gewisse Wichtigkeit zu.
Die Karten standen also nicht unbedingt zu meinem Gunsten. Unter ständiger Bewachung und Bemutterung zu stehen, widerstrebte mir. All die Aufmerksamkeit die meine Schwester genoss, war mir zu wider. Meinetwegen konnte sie meine gleich mit auf ihre Karte schreiben, doch wie bereits erwähnt, legte man wenig Wert auf meine Meinung. Vielleicht war es nicht das Los eines Omegas, sondern eher das des schwarzen Schafes der Familie. Seitdem ich denken konnte, war ich grade meinem Vater ein Dorn im Auge. Jede Falte in meinem Hemd, jeder Krümel auf meiner Hose, alles machte er zur ultimativen Angriffsfläche. Vielleicht lag es auch mit daran, das ich ein männlicher Omega war und damit abzusehen, dass ich irgendwann der Partner eines männlichen Alphas werden würde. Es gab zwar durchaus hier und da einen weiblichen Alpha, aber sie waren mittlerweile genauso selten wie ein männlicher Omega und noch seltener Omegas zu getan. Meistens durstete es ihnen dann doch nach einem stärkeren Mann.
Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, sah ich mich auch nicht an der Seite eines weiblichen Alphas, eigentlich an der Seite gar keines Alphas. Der Plan war zu verschwinden. Ein Leben dort draußen zu führen, weitab von dem Rudel, den Regeln und meinem Vater. Verrückte Idee, wenn man bedachte das ich nur ein Omega war. Angst hatte ich allerdings nicht. Ein nervöses Kribbeln in meiner Magengegend kam dem schon näher.

Mittlerweile war es mir eine Freude die Enttäuschung meines Vaters zu sein. Er hatte keine Erwartungen mehr, die ich erfüllen musste, denn er hatte mich schon längst aufgegeben. Schon bei meinem ersten Atemzug auf diesem Planeten. So wäre es nur ein weiteres enttäuschtes Kopfschütteln, wenn er erfuhr das ich eine weitere Regel brach. Das es so weitaus mehr sein würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Der Plan war einfach gewesen. Sie sprachen die Worte, wurden geweiht und dann würden sie sich ins Haus zurückziehen und dort anstoßen. Diesen Zeitraum würde ich nutzen, um zu verschwinden. Das war nämlich genau der kurze Zeitraum, in dem die Betas mich nicht im Auge hatten. Viel zu sehr waren sie mit dem Geruch der Erregung und Lust beschäftigt, der sich jedes Mal durch das Dickicht schob, wenn mein Vater ein Paar segnete. Nicht selten endete das in einer Art Orgie. Mit dem Unterschied, das die Paare sich alle stille Ecken suchten. In Nächten wie diesen war der Wald erfüllt von lustvollem Stöhnen und dem Geruch von Sex. Meine Mutter hielt mich für Kaputt, denn ich war wohl der einzige, der sich davon nicht angezogen, sondern abgestoßen fühlte. Der einzige, der unberührt und rein war, wie meine Schwester es nannte. Sie hatte ihren Alpha gefunden, zumindest glaubte sie das, er beachtete sie nicht. Doch ihr diese Sache auszureden, war genauso zum Scheitern verurteilt, wie mich daran zu hindern den Fluss zu überqueren. Es war der einzige Weg in die Freiheit. Doch gleichzeitig auch der Weg zur Darkside und den berüchtigten Alphas. Es war der Weg zu ihm. Der Name Azriel war genauso ein Mythos wie die Legenden von Zeus oder Walhalla. Jeder kannte ihn, doch niemand hatte ihn jemals zu Gesicht bekommen. Ich wollte nicht der Erste sein. Ich war zwar neugierig, aber so Lebensmüde dann doch nicht. Als Omega durch die Welt zu spazieren, vollkommen auf sich gestellt, war schon gefährlich, doch Azriel in die Arme zu laufen? Das hatte noch nie Jemand überlebt. Auch wenn eher von dem Rudel die Rede war. Ich hatte weder die Kraft, noch die Schnelligkeit um alleine einem Alpha zu entkommen und mich jetzt einem Rudel zu stellen, von dem ich nicht einmal wusste, wie groß es wirklich war, war wohl Selbstmord. Aber ich war schon immer gut darin, mich in die Scheiße zu reiten. Das feuchte Holz zerbrach unter meinen Schuhen, als ich mich dem Ufer näherte. Wie bereits vermutet hatte noch Niemand meine Abwesenheit bemerkt. Ich hatte höchstens eine Stunde, dann würde man meine Abwesenheit bemerken.

Die letzten Wölfe, die den Pass und den Fluss überquert hatten, waren nie zurückgekehrt. Die Alphas machten kurzen Prozess mit jedem, der ihre Grenze überquerte. Warum also dachte ich, das ausgerechnet ich es schaffen würde? Leitete mich da vollkommene Dummheit oder ein Selbstbewusstsein, das dem eines Gottes gleichen musste? Man könnte es einen Mix aus beidem nennen.
Der Strom war schnell und wenn ich auch nur einen falschen Schritt machen würde, würde das Wasser mich hinunter ins Tal reißen. Sollte ich dann noch leben, würden sich die Bären meiner annehmen. Ich hatte also die Wahl. Ein Leben in Gefangenschaft, unter dem Hass meines Vaters, ertrinken, gefressen  werden oder ins ungewisse zu wandern. Im die Dunkelheit die wahrscheinlich so viel schlimmer sein würde, als all das was ich bisher kennengelernt hatte. Ich hatte mich schnell entschieden, damals und heute wieder. Ich würde diesen Fluss überqueren. Ungewissheit war immer noch besser als das, was mein Vater von mir verlangte. Mich einem Leben in Gefangenschaft zu fügen.

Beinahe wäre ich abgerutscht. Die Sohle meines Turnschuhs quietschte leise als sie an dem Stein entlang, in Richtung Wasser glitt. Im letzten Moment konnte ich mich fangen und brachte auch den letzten Schritt hinter mir. Ich weiß nicht einmal womit ich gerechnet hatte, als ich an dem Ufer der Darkside angekommen war. Mit einem Haufen mordender Alphas, die sofort aus dem Schatten gesprungen kommen würden, bereit mich zu töten? Wahrscheinlich. Was wirklich geschah war allerdings weitaus beunruhigender. Der tiefe Wald vor mir wirkte unverändert, still und dunkel. Rein gar nichts geschah. Allerdings wusste ich zu gut, dass ich mich nicht in Sicherheit wiegen musste. Wölfe gingen gerne auf die Jagd.
Der Wind fegte leicht durch die Äste, brachte die Blätter in Bewegung, beinahe als würden sie tanzen. Das Gras bog sich leicht vor meinen Füßen und hier und da knarrte sogar ein alter Baum. Doch sonst war es still, kein Vogel der sang, keine Grashüpfer die zirpend durch das hohe Gras am Waldrand hüpfen. Nichts. Nur vollkomme Stille, die drohte mich wahnsinnig zu machen. Jetzt schlug mein Herz schneller gegen meine Brust und mit jedem Schritt, den ich auf den Wald zu machte, wurde es schlimmer. Vielleicht hatte ich ja doch ein wenig Angst. Doch dafür war es jetzt zu spät. Sie wussten das ich hier war, das konnte ich spüren. Entschlossen zog ich nochmal meinen großen Rucksack fester, den ich bereits vor vier Tagen im Wald versteckt hatte. Ich hatte ihn mit einem Seil in die Baumkronen gezogen, um zu verhindern, dass ihn doch jemand fand. Das Seil hatte ich einfach an einem Ast festgebunden und somit verhindert, dass er durch den Wind doch fallen könnte. Jetzt würde ich mich gerne selbst in eine Baumkrone ziehen, wobei mich das wohl kaum vor dem retten würde, das bedrohlich auf mich zu kam. Ich konnte sie wittern, sie waren hier, ganz in meiner Nähe. Eine Hand voll vielleicht, vielleicht auch mehr. Mittlerweile hatte ich die ersten Böschungen hinter mir gelassen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ein verängstigter Omega, was für ein Klischee. Ich wollte nicht schwach sein, ich wollte keine Angst haben. Doch was ich sein wollte und was ich wirklich war, waren eben zwei paar Schuhe.
Ächzend kam ich plötzlich unsanft auf dem Boden auf. Ich hatte wohl ein Schlagloch übersehen, dachte ich zumindest. Die Wahrheit allerdings war eine ganz andere. Irgendwas hatte sich um mein linkes Bein gewickelt und mich zu Boden gerissen. Meine Handflächen brannten leicht, als das Holz und die kleinen Steine sich in meine Haut bohrten. Ich musste nicht nachsehen um zu wissen, das sie rot waren, ebenso wenig musste ich mich bewegen um zu wissen, das mein Hintern höllisch schmerzte.
»Du bist ein ganz schön böser Junge und so gut wie Tod.« In jenem Moment hatte ich mit vielem gerechnet. Doch als meine blauen Augen die Gestalt vor mir erkannten, musste auch ich schwer schlucken. Es war nicht Azriel, der im Dunklen auf mich gewartet hatte. Sie war zwar auch ein Alpha, aber eben nicht der Alpha. Ganz recht, einige Meter vor mir stand eine Frau. Das Werkzeug in ihrer Hand war wohl für meinen Fall verantwortlich, denn ich sah grade noch wie sie die lange Peitsche ein wenig um ihre Hand wickelte, bevor plötzlich alles schwarz wurde.

His  •BoyxBoy•Where stories live. Discover now