47. Johns Entscheidung

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„Bist du sicher, dass es funktioniert?"
Coral schien so ihre Bedenken zu haben. Doch Jake sah sie nur vielsagend an.
„Was bleibt uns anderes übrig?", meinte er schließlich. „Es ist ja auch gerade nur die Hälfte meines Plans."
„Und was ist die andere Hälfte?"
Jake blieb stehen. Dann senkte er leicht den Kopf und verengte die Augen. „Genau aus diesem Grund muss ich in die Stadt zurück. Solange ich nicht weiß, wie es dort aussieht, wäre eine blinde Durchführung des Plans zu riskant."
Er zog den Sheriffstern unter seinem Gürtel hervor und betrachtete ihn nachdenklich.
Die beiden Klapperschlangen waren gerade auf den Weg zurück nach Dreck. Coral hatte ein bisschen Sorgen und natürlich auch Angst. Hätte Jake ihr nicht zugesichert, dass er sie beschützen würde, wäre sie wohl nicht mitgekrochen.
Jake schien das zu spüren. Er steckte den Sheriffstern wieder weg und sah sie eindringlich an. „Vertraust du mir denn?"
Sie zögerte kurz. Dann nickte sie. „Ja."
Plötzlich hören sie eine aufgeregte Stimme rufen: „Bürgermeister John! Bürgermeister John! Wo sind Sie?"
Im nächsten Moment kam ihnen Angelique entgegen. Die Füchsin erstarrte regelrecht als sie die zwei Schlangen sah.
„Mister Jake? Sie hier?" Ihr Blick fiel auf Coral. „Ach du meine Güte. Sie auch?"
„Was ist denn passiert?", wollte Jake sofort wissen, dem das Verhalten der Sekretärin recht ungewöhnlich vorkam.
„Bürgermeister John sagte, er wollte etwas Spazierenfahren", kam Angelique sofort auf den Punkt. „Er hat einen kleinen Brief hinterlassen. Ich dürfte ihn nicht..." Sie brach kurz ab. Ohne Umschweife holte sie den Brief hervor und zog das Schriftstück heraus.
„Aber dann hab ihn dann doch geöffnet. Und... lesen Sie das hier..."
Sie händigte der Klapperschlange den Brief aus, den Jake mit seiner Waffe auffing und die darauf geschriebenen Zeilen überflog.
Der Anfang handelte davon, was John für die momentane Situation empfand und dass er es bedauere nicht der Stadt den gewünschten Glanz beschafft zu haben. Doch ein Satz ließ Jake aufhorchen.
„...Ich werde zu meiner Frau gehen. Kümmert euch gut um August..."
Jake ließ den Brief sinken. Angelique fing seinen Blick auf und knetete nervös ihre Finger. „Zuerst dachte ich, er meinte damit das Grab seiner Frau. Ich bin auch sofort dorthin gegangen, aber dort war er nicht..."
Coral, die über Jakes Schulter in den Brief geschielt hatte, ging ein Schauer über die Schuppen. „Er wird doch nicht etwa, oder doch?"
Sie wagte nicht es auszusprechen, doch jeder schien dasselbe zu denken.
„In welcher Richtung ist er denn verschwunden?", fragte Jake nach.
Angelique sah sich verzweifelt um. „Man sagte mir, man habe ihn hier in diese Himmelsrichtung fahren sehen. Aber ich weiß nicht wohin genau."
Jake zog die Pupillen eng. Wenn die Schildkröte hier irgendwo entlanggefahren ist, dann könnte er versuchen seine Fährte aufzunehmen.
Er drückte Angelique den Brief zurück und züngelte den Boden ab.

Die Landschaft war zwar staubig, aber eben, sodass die Schildkröte keine großen Schwierigkeiten hatte mit dem Rollstuhl durch die Wüste zu kommen. Nach einer guten langen Strecke hielt John an. Ab hier ging der Hügel steil abwärts und mündete in eine tiefe Schlucht.
Die Schildkröte seufzte tief. Sie löste die Bremse und rollte ganz nahe zur steilsten Absenkung. Er musste die Räder jetzt nur noch loslassen und es würde talabwärts ins Unbekannte gehen.
„Nicht gerade ein schöner Abschluss", sagte John zu sich selbst. „Doch irgendwann müssen wir alle mal von dieser Welt Abschied nehmen."
Er schob die Räder nach hinten, um Schwung zu holen.
„Bürgermeister John! Was tun Sie da?!"
Die Schildkröte schrak zusammen und schaute hinter sich. Nicht weit von ihm entfernt stand nicht nur seine Sekretärin, die ihn fassungslos ansah, sondern auch zwei weitere nicht zu übersehende Gestalten.
„Oh, Angelique. Mister Jake und Miss Coral. Was führt Sie denn hierher?"
Die Schildkröte schien nicht daran interessiert zu sein, weshalb Jake auf einmal zurückgekommen war. Er erweckte sogar den Eindruck, als würde er die Welt um sich herum gar nicht mehr wahrnehmen.
Jake kroch ein Stück weiter vor. „Was haben Sie vor einer Schlucht zu suchen, wenn die Stadt im Chaos zu versinken droht?"
John seufzte tief. „Es tut mir leid, Mister Jake. Ich würde mich noch gerne etwas mit Ihnen unterhalten. Aber meine Frau wartet auf mich."
„Und was haben Sie davon?", bohrte die Klapperschlange weiter.
„Ich kann einfach nicht mehr länger dabei zusehen, wie Margarets Traum mehr und mehr dahinsiecht", klärte die Schildkröte ihn auf.
„Ich glaube, aber nicht, dass es Ihrer Frau gefallen würde, dass Sie so einfach aufgeben."
„Was bleibt mir anders übrig, Mister Jake?"
Die Klapperschlange verengte die Augen. „Ich wurde nicht dazu geboren, ein Gesetzeshüter zu sein. Aber diese Stadt braucht einen Beschützer."
„Machen Sie sich keine Umstände, Mister Jake", winkte John tonlos ab. „Sie haben genug eigene Probleme. Kriechen Sie einfach weg und versuchen Sie ein besseres Leben zu leben als wir."
Jake ging nochmal tief in sich bevor er antwortete. „Sie haben mir mal etwas über Glauben erzählt. Dass man glaubt und hofft, dass der nächste Tag irgendwann mal besser wird. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich nie so richtig daran geglaubt habe. Aber ich vermute, ich hab einfach an mir selber gezweifelt. Doch Sie sind der Gründer der Stadt. Sie haben immer an sie geglaubt."
„Aber wir haben nichts mehr woran wir glauben können", wandte die Schildkröte mit Bedauern ein.
„Wir haben vielleicht kein Wasser mehr", erwiderte Jake. „Aber ich weiß, wie wir das Wasser zurückbekommen können."
Die Schildkröte sah ihn skeptisch, aber auch mit müdem Blick an. „Wie wollen Sie das anstellen, Mister Jake?"
„Dafür haben wir uns schon einen Plan ausgedacht." Er fing Corals mahnenden Blick auf. „Na gut, zumindest die Hälfte. Aber wir könnten es schaffen. Hören Sie? Sie können die Blütezeit ihrer Stadt wieder erleben."
John schien nachzudenken. Eine Weile herrschte nur die einsame Stille in der Wüste um sie herum. Doch dann hab er den Kopf.
„Und was wäre das für ein Pla...AHHHH!"
Johns Rollstuhl rollte plötzlich ungebremst den steilen Hang hinunter. Erschrocken sahen die drei zu, wie die Schildkröte versuchte die Bremse zu betätigen, doch sie griff nicht richtig. Der lockere Kies unter den Rädern machte eine Vollbremsung unmöglich. Ungehindert fuhr der Bürgermeister auf den Abhang zu.
Jake überlegte nicht länger und schlitterte zu ihm runter. Noch bevor der Rollstuhl samt Schildkröte über den Hang stürzte, fing die Klapperschlange eins der Räder mit dem Giftzahn auf. Doch die Geschwindigkeit des Rollgeräts war so schnell gewesen, und die Klapperschlange fand kaum Halt auf der Senke, sodass Jake knapp einen halben Meter über den Abhang hinaus zum Stillstand kam. John verlor in dem aufgegangenen Sturz seinen Hut, der in die Tiefe hinuntersegelte.
In schwindelnder Höhe hingen die beiden Reptilien über der Schlucht. John hatte Mühe nicht von der Schwerkraft aus seinem Rollstuhl gezogen zu werden, der immer noch von Jake gehalten wurde. Die Klapperschlange bog den Hals, doch er drohte abzurutschen. Im nächsten Moment umschlang ihn ein weiterer langer Körper, der ihn mit der Schildkröte samt Rollstuhl nach oben zerrte. Kurz darauf schaute Jake in das Gesicht von Coral und gemeinsam zogen und schoben sie die Schildkröte nach oben den Hügel hoch. Dort wurden sie schon ganz aufgeregt von Angelique erwartet.
„Grund Gütiger!", rief sie aufgewühlt. „Herr Bürgermeister! Was haben Sie sich nur dabei gedacht?!"
Coral und Jake rollten sich neben sie.
„Es ist ja nichts passiert", beruhigte Jake sie.
Nervös fasste sich die Füchsin durchs Kopfhaar. „Meine Güte. Was für eine Aufregung..." und murmelte mehrere französische Worte, die keiner verstehen konnte.
Bürgermeister John hatte sich inzwischen wieder von dem Schrecken erholt und sah erwartungsvoll zu Jake hoch.
„Sie haben gesagt, Sie haben einen Plan. Dürfte ich erfahren, woraus er besteht?"
„Genau deswegen müssen Sie mir sagen, was alles in der Stadt passiert ist", bat Jake.
John rieb sich niedergeschlagen die Hände. „Was haben Sie denn vor? Selbst wenn wir alle zusammen diese Gangster aus der Stadt jagen, so werden sie sich das nicht gefallen lassen. Selbst Sie konnten Sie noch nicht mal vertreiben. Was sollen wir dann schon tun?"
Jake verengte die Augen. „Dafür haben wir schon vorgesorgt, dass wir es nicht alleine tun müssen. Dennoch benötige ich eine Auskunft über..."
Plötzlich schraken alle zusammen. Über ihren Köpfen war ein Schatten geflogen. Jake und Coral drückten sich sofort eng aneinander, bis sich auf einmal eine Stimme aus der Luft meldete.
„Hey, Sheriff, Sheriff!" Im nächsten Moment segelte etwas zu Boden, und Ezekiel sprang von einer Fledermaus vor ihre Bauchschuppen. „Hey, Sheriff, wir haben ihn!" Verwundert betrachtete er das engumschlungene Paar nachdenklich. „Alles okay?"
Die Klapperschlangen sahen einander an, dann lösten sie sich schnell wieder aus ihren Windungen.
Der Präriehund kicherte. „Hab ich euch erschreckt?"
Jake schnaubte. „Wir haben einen instinktiven Vorsichtsdrang. Es wäre nett, wenn du uns in Zukunft vorwarnst, wenn du von oben angeflogen kommst."
Ezekiel kratzte sich verlegen am Kopf. „Tschuldigung. Ich wollte nur Bescheid geben, dass wir ihn haben."
Die Klapperschlange hob die Augenbrauen. „Gabs denn Probleme?"
Der Präriehund winkte ab. „Och, Pappy schafft alles."
„Wovon redet er?", fragte John, der sich darüber wunderte, dass der Sheriff anscheinend eine Vereinbarung mit dem Sohn des Händlers getroffen hatte.
„Das wäre die eine Hälfte des Plans", klärte Jake ihn auf. „Aber bevor wir dazu übergehen können, erzählen Sie mir genau, was in der Stadt los ist."
Seufzend hob John die Arme. „Nun, ich hab nicht allzu viel mitgekommen. Aber ich weiß, dass die Jenkins Familie die Töchter von Joel gekidnappt haben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie den alten Sturkopf damit erpressen wollen."
Jake verengte die Augen. „Sowas ähnliches hab ich mir schon gedacht... Ezekiel?"
Der Präriehund hob interessiert den Kopf. „Ja?"
„Tu mir den Gefallen und flieg zum Danby Clan. Sag Ihnen was in der Stadt vorgeht. Ich fresse Stroh, wenn die nicht reagieren würden."
Ezekiel verzog den Mund. „Mach ich zwar nur sehr ungern, aber... ich tu's."
„Den Danby Clan jetzt auch noch?" John war extrem überrascht. „Wollen Sie jetzt auch noch gegen die antreten? Ich frage mich wirklich wie Sie gegen die Clans ankommen wollen. Noch dazu einer von ihnen in doppelter Ausführung."
Jake sah ihn verständnisvoll an. „Keine Sorge. Wenn alles gut läuft, dann werden wir in Zukunft Ruhe von ihnen haben. Das verspreche ich Ihnen."

RANGO // OӘͶAЯ - Another Outlaw Story [dt.]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt