24. Man nennt mich...

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Mit Schock starrten alle zur Tür. Die dunkle Figur schwang die Flügeltüren auf und betrat den Raum mit einem Schritt. Der Wind umwehte ihn und ließ seinen langen Umhang flattern.
Gordy schaute auf seine Flasche und fragte sich, ob er sich das alles nur einbildete. Niemand wagte ein Wort zu sagen.
Jake stand da wie eingefroren und wusste nicht was er davon halten sollte. Er kniff die Augen zusammen, doch das Gesicht des Fremden konnte er nicht erkennen.
Plötzlich bewegte die Person ihre Hand und zog den Schal von ihrem Mund. Grüne Haut wurde sichtbar. Es war eine Echse. Sie war ein bisschen kleiner als Bill, schien aber nicht so schwächlich zu sein wie er aussah. Das auffälligste an ihm waren seine kleinen beweglichen gelben Augen, die sich unabhängig in jede Richtung im Raum umsahen. Sein Gesichtsausdruck war emotionslos und er sah aus, als hätte er nur darauf gewartet diesen Raum zu erreichen.
Die fremde grüne Echse rieb den Staub von sich ab. Sand rieselte an seiner Kleidung runter. Seine Stiefel waren dreckig und mit getrocknetem Schlamm bedeckt. Seine alte Jeans wies ein paar Löcher auf, unter seinem Mantel lugte ein ausgebleichtes altes Hemd und eine braune Western-Jacke hervor.
„Kann ich Ihnen helfen, Mister?" Bürgermeister Johns stimme zerschnitt fast die vom Wind gefüllte Luft.
Der Fremde wandte seine Augen in seine Richtung. Doch seine Lippen blieben geschlossen.
Stump zog seine zwei Jungs näher zu sich heran, als der Fremde nach vorne schritt. Sand knirschte unter seinen staubigen Sohlen.
Jake zuckte zusammen, als Bill ihm einen kleinen Stoß versetzte. Die Klapperschlange schüttelte den Kopf und räusperte sich.
„Wer bist du?"
Die fremde Echse hielt einen kurzen Moment an. Er hob den Blick und schaute zur großen Klapperschlange hoch.
Jake verengte die Augen. Da war etwas in den Augen des Fremden, was er nicht definieren konnte.
Seine Verwirrung steigerte sich, als die Echse auf ihren Mund deutete und zur Bar ging.
Er nahm die Flasche, die neben Kinski stand und trank einen ordentlichen Schluck daraus. Anschließend stellte er die Flasche langsam wieder auf der Holzplatte ab. Alle tauschten untereinander Blicke aus und starrten ihn in den Rücken. Schließlich ging es Löffel zu weit. Er ging auf den stummen Gast zu und tippte ihn auf die Schulter.
„Hey, du Früchtchen. Dein Zuhause ist auch nicht gerade um die Ecke, was? Wer bist du eigentlich?"
Doch der Fremde sagte kein Wort. Sein Gesicht war immer noch wie in Stein gemeißelt. Sein Blick hing am Spiegel des Saloons an der Wand hinter dem Tresen.
„Hast du Kummer?", fragte Löffel spöttisch. „Vermisst du Mamas Melonen?"
Schließlich begann die Echse sich zu bewegen und hob den Kopf.
„Damit kannst du sogar recht haben", klangen seine ersten Worte. Es war keine alte Stimme.
Plötzlich stieß er die Flasche von sich und drehte sich blitzschnell um. „So wie du die Spiegeleier von deinem altem Herrn!"
Den Stadtleuten fuhr der Schreck in die Glieder bei dem schnellen Wechsel des Fremden. Seine harsche Gestik deutete er mit seinem Finger auf die alte Maus. Ein bisschen eingeschüchtert versuchte Löffel seine Frage zu wiederholen.
„Und wo direkt hast du gesagt kommst du her?"
„Ich?" Der Fremde fragte das, als wäre es das merkwürdigste auf der Welt. „Ich stamme aus dem Westen."
Die Stimme der Echse verfiel in einem unheimlichen Unterton. „Von dahin, weit hinterm Horizont, über den Sonnenuntergang hinaus. Aus dem fernen Westen."
Ein Raunen ging durch die Umstehenden. Nur Jake und Bill tauschten Blicke aus. Was meinte der Kerl mit seinem Verhalten zu bezwecken?
„Ja, so ist es, Hombres", fuhr die Western-Echse fort und schritt zwischen den Leuten hindurch. „In meiner Heimat, da werden Männer schon vor dem Frühstück umgebracht, bloß als Appetitanreger."
Im selben Moment schnellte die Echse mit ihrer Zunge raus und stahl einen Zahnstocher von einem der Stadtleute aus dem Mund. Mit dem neuen Holz im Mund ging er weiter und hielt vor Mister Hazel an, einem alten Nager. „Sie werden gesalzen, gepfeffert; dann schmoren wir sie in geklärter Butter. Und dann essen wir sie."
Portley und Stanley sahen sich an. „Cool."
Mister Hazel hingegen sah den Fremden nur ungläubig an. „Ihr esst sie?"
„Hab ich doch gesagt!"
Die Leute fuhren zusammen, aber der Fremde fuhr einfach mit seinem spannenden Bericht fort und umkreiste einen Tisch, wo ein paar Leute Poker spielten.
„Ich hab Sachen gesehen, die lassen einem gestandenen Mann die Kontrolle über seine Drüsen verlieren. Verbring du mal drei Tage in einem Pferdegerippe ohne Essen und Trinken. Das härtet ab Leute, aber hallo."
Er stand jetzt hinter Ambrose, einer Eule, und mit einer schnellen Bewegung nahm er ein paar Asse aus dem Hemdärmel der Eule. Der Fremde betrachtete die gefälschten Karten und schnippte sie über den Tisch.
„In diesem Spiel sind ein paar Asse zu viel. Nicht schlecht meine Herren."
Damit verließ er den Pokertisch und sah auf Löffel, während er zur Bar zurückkehrte.
„Das heißt, nein, mein kleiner, haariger Nager. Ich bin nicht von hier um die Ecke, mein Freund."
Er nahm Kinski das Glas ab und leerte es aus.
Der Hase verzog den Mund. „So, und wie heißt du?"
Die Echse fing seinem Blick auf, die er mit einem amüsierten, spöttischen Gesicht beantwortete. „Nun, ich bin ein Mann mit vielen Namen. Ich hab so viele Namen wie Farben in der Welt existieren. Aber die meisten Leute nennen mich –"
Er lehnte sich mit dem Rücken gegen den Tresen, verschränkte die Arme und stand da mit gesenktem Gesicht.
„Nobody."
„Was ist das denn für eine dämlicher Na..."
Schnell hielt Stump seinem Sohn Stanley den Mund zu.
Jakes Augen wanderten zu Bürgermeister John, der ihm zunickte.
„Na gut, aber weshalb sind Sie hier?"
Die Echse verengte ihre Augen, aber er behielt sein Lächeln. „Nun, ich bin auf der Suche nach einer Bleibe."
„Wieso haben Sie das nicht gleich gesagt?", fragte John. „Alle Fremden sind in unserer Stadt willkommen."
„Das ist sehr nett von Ihnen", meinte der Fremde namens Nobody und schwenkte sein Glas in seine Richtung.
„Warte", unterbrach Jake, der sich von dem Eindringen des Fremden wieder vollständig erholt hatte. „Woher genau kommen Sie her? Und was ist der Grund für Ihr Erscheinen?"
Langsam setzte Nobody sein Glas beiseite und lehnte seine Arme wieder gegen die Bar. „Warum ist das so wichtig? Ich bin auf der Durchreise. Ich hatte einen langen Weg hinter mir. Wenn Sie es mir erlauben, würde ich eine Pause einlegen."
„Das ist doch kein Problem, Mister", sagte Bürgermeister John. „Sie können in unserem Hotel übernachten. Ginge das in Ordnung für Sie, Sheriff?"
John gab Jake den auffordernden Blick sich zurückzuhalten. Jake war kurz davor den Mund zu öffnen, schloss ihn aber dann wieder.
Nobody streckte sich und rückte seinen Hut zurecht. „Ich nehme Ihr Angebot gerne an."
„Mm, der Sandsturm scheint nachgelassen zu haben", meinte Elgin.
„Oh, gut", rief Bürgermeister John erfreut und rollte neben dem Fremden her. „In diesen Fall kann ich Ihnen ja schon mal das Hotel zeigen."
Die grüne Echse nickte ihm dankbar zu und ließ sich von der Schildkröte nach draußen führen. Jake folgte ihm mit seinen wachsamen Augen. Plötzlich schaute der Fremde einen kurzen Moment zurück. Sein Blick war entspannt, doch seine Augen trafen die Klapperschlange mit so harter Kälte, dass es der Schlange den ganzen Rücken bis zu seiner Waffe kalt runterlief. Aber es war nur ein Bruchteil einer Sekunde, dann schaute die Echse wieder weg. Die Klapperschlange versuchte eine Erklärung dafür zu finden.
Wer bist du?

RANGO // OӘͶAЯ - Another Outlaw Story [dt.]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt