44. Zwänge und Ängste

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Bill blinzelte, als er an diesem Morgen aufwachte. Das Erste was er spürte war sein schmerzender Körper und gab ihm die furchtbare Gewissheit, dass das gestern kein schlechter Traum gewesen war. Anhand der Gongschläge der Stadt-Uhr wusste er stets wie spät es war. Es war noch vor Mittag.
Die Echse versuchte sich zu bewegen, doch die Fesseln machten seinen Ausbruchsversuch stets zunichte.
Niedergeschlagen war er dazu verdammt abzuwarten was als nächstes mit ihm passieren würde. Er erinnerte sich daran, wie er das Telegramm gelesen hatte. Die Beschreibung hatte genau auf die Person gepasst, die als tot gegolten hatte. Doch dann musste er mit Angst in den Revolver starrten, welches das Chamäleon auf ihn gerichtet hatte. Das Gila-Monster hatte schon befürchtet, er würde ihn erschießen. Doch stattdessen hatte die grüne Echse nur gesagt, dass er nicht in Eile war. Anschließend hatte er ihn in diesen kleinen Raum irgendwo im Erdgeschoss des Rathauses gezwungen, wo er ihn mit einer alten Gardinenschnur gefesselt hatte. Doch die Schnur war nicht nur um seine Handgelenke und Knöchel gebunden, sondern zusätzlich zu einer Schlinge um seinen Hals geschlungen, die wiederum mit einem Rohr an der Wand verbunden war. Er war somit unmöglich für ihn abzuhauen ohne die Gefahr zu laufen sich selber zu Strangulieren. Da das Chamäleon ihn zusätzlich geknebelt hatte, war es für ihn nicht möglich um Hilfe zu rufen.
Er hob den Kopf, als er Schritte auf dem Holzfußboden hörte. Als die Tür geöffnet wurde, sah er zu ihm hoch und stöhnte ihn bettelnd an.
Mit lässigen Schritten kam Rango auf ihn zu.
„Was ist los? Zu eng?"
Die Gila-Echse nickte erschöpft.
Dem Chamäleon glitt ein kaltes Lächeln über den Mund. „Sorry, aber ich pflege meine Opfer stets ausbruchssicher zu befestigen."
Beim Wort „Opfer" riss Bill verängstigt die Augen auf.
Angespannt beobachtete er wie das Chamäleon sich ein Stuhl heranrückte und sich darauf niederließ. Ihm war nicht verborgen geblieben, dass er ein bisschen hinkte.
„Also, was ich soll ich nur mit dir machen?", startete das Chamäleon seinen Monolog und blickte gehässig auf sein gefesseltes Opfer herab. „Ich weiß wirklich nicht, wo ich anfangen soll. Ich hab einen empfindlichen Magen, und kriege leicht Magengeschwüre, wenn man mir hinterherspioniert."
Er erhob sich und griff in seine Manteltasche.
„Das war ein Fehler gewesen."
Bill stieß ein verängstigen Schrei aus, als die kälte der scharfen Klinge auf seiner Kehle gepresst wurde.
„Ich hab ja nicht vor dich sofort umzubringen", kommentierte das Chamäleon kalt. „Aber ich hab gute Erfahrungen in Sachen Foltern."
Bill rollte die Augen zurück. Er wollte wenigstens in Ohnmacht fallen. Sterben wollte er zwar nicht, aber quälen war schlimmer.
Plötzlich hielt das Chamäleon inne. Es unterbrach seine Sägebewegungen mit dem Messer und erhob sich. Bill sah wie er zum Fenster ging und rausschaute. Hühnergetrappel wurde deutlich hörbar.
„Mm, sieht so aus, als ob der Tag heute etwas interessanter wird."
Er steckte das Messer ein und überprüfte nochmal Bills Fesseln an den Händen und Füßen. Zufrieden ging er zur Tür. „Ich komme gleich wieder. Versuch erst gar nicht zu fliehen. Ich finde dich überall."

Kaum hatte das Chamäleon die Treppe des Rathauses erreicht, hörte er vom Eingang schon empörte Frauenstimmen.
„Lassen Sie uns los! Sie haben kein Recht dazu."
Rango wartete noch einen Moment bis die Schritte auf der Treppe leiser geworden waren, dann ging auch er die Stufen hoch, hinauf zum Büro des Bürgermeisters.
Als er dort ankam, hatte sich dort eine große Gruppe versammelt. Bürgermeister John saß am Schreibtisch, Joey stand vor ihm, während an der Seite ein paar Jenkins Brüder oder Cousins um zwei vertraute Echsen-Damen standen.
Als sich die Blicke von Rango und Bohne trafen, erstarb für einen Moment das Atmen zwischen ihnen im Raum.
„Wie schön dich wiederzusehen", begrüßte Rango die Echsen-Dame und ging auf sie zu.
„Ach, ihr kennt euch?", fragte Joey überrascht, während er sich einen Stuhl vor den Schreibtisch schob.
Das Chamäleon grinste. „Wir hatten bereits schon das Vergnügen gehabt."
Das Mädchen Bohne verengte die Augen, während er nur spöttisch lächelte.
„Bist du immer noch sauer, wegen meinem Schlag?"
Im nächsten Moment fiel der Klatscher einer Ohrfeige. Seufzend rieb sich das Chamäleon über die Wange. „Jetzt weiß ich es."
Schmunzelt schaute er in ihr zorniges Gesicht.
„Jetzt schau nicht so böse. Das ist nicht gut für die Gesichtsmuskeln. Besonders nicht bei einem so süßen Gesicht wie deines."
Seine Stimme klang etwas verärgert, doch er behielt sein Grinsen bei.
„Warum habt ihr uns hierhergebracht?", fiel Reis in das passive Gefecht.
„Nur um einen alten Mann etwas auf die Folter zu spannen", schaltete sich Joey ein. „Ihr zwei kommt noch früh genug dran. Aber zuerst wird uns ein anderer alter Mann einen kleinen Gefallen tun."
Damit holte der Jenkins-Anführer ein Pergament hervor, knallte es auf die Tischplatte und schob es zu John rüber. „Und Sie werden inzwischen so liebenswürdig sein und den Schreibkram für uns erledigen."
Mit diesen Worten lehnte Joey sich entspannt im Stuhl zurück und lagerte seine dreckigen Stiefel auf dem Tisch hoch.
Unterdessen beugte sich Bürgermeister John nach vorne und betrachtete das Schriftstück.
„Was ist das?"
„Eine Abdankungsurkunde", antwortete Joey gelassen. „Darin treten Sie alle Rechte an die Stadt ab und übertragen die Häuseransammlung an uns, den Jenkins Clans. Also, unterschreiben Sie."
Damit schob er John das Papier näher.
„Na los, unterschreiben Sie."
Zuerst schwieg John, dann schob er es weg. „Niemals unterschreibe ich das."
Joey verzog beleidigt den Mund. „Mm, theoretisch könnten wir Sie ja jetzt einfach umlegen, aber da die Damen schon mal hier sind..."
Er zog seinen Revolver und schoss hinter sich, ganz knapp an den Füßen der Mädchen vorbei.
Bohne schrie erschrocken auf. Ihre Schwester nahm sie schnell in die Arme.
„Reicht Ihnen das?", erkundigte sich Joey. „Oder soll ich die Luft etwas weiter aufrütteln?"
Er schoss erneut. Diesmal sogar zweimal. Bohne vergrub ihr Gesicht in den Armen ihrer Schwester.
„Hören Sie auf damit!", schrie Reis ihn an.
Doch Joey machte sich einen Spaß darauf und immer wieder und wieder. „Seht mal wie schön die Damen tanzen können!"
Die anderen Jenkins-Verwandten, die rundum danebenstanden, lachten sich schief.
In diesem Moment sauste etwas durch die Luft, die Joey den Revolver aus der Hand riss. Sprachlos starrte Joey das Chamäleon an, welches seine Peitsche geschwungen hatte und die eingefangene Waffe mit der Hand auffing.
„Das reicht jetzt", befahl er mit düsterer Stimme. „Das Mädchen gehört mir."
„Ich wollte diesem Halb-Grab nur dazu bringen den Stift zu bewegen."
„Ich denke, dass wird nicht mehr nötig sein. Ich nehme an, dass er jetzt kooperativer ist, nicht wahr?"
Seine beweglichen Augen wanderten zum Bürgermeister rüber. Dieser wiederum hatte jetzt mit zittrigen Händen nach einem alten Füller gegriffen. Doch bevor die Spitze des Schreibinstrumentes das trockene, alte Pergament berührte schaute er zum Gemälde seiner verstorbenen Frau hoch.
Die Unterschrift erfolgte mit einer raschen, verkrampften Bewegung.
„Gut gemacht, Mister", lobte Joey und nahm das Papier wieder an sich. Dann hielt er es über seinen Kopf und ging zu den anderen rüber. „Jetzt gehört die Stadt uns! Und auch bald das Wasser!"
Die anderen brachen in Jubel aus.
„Leute! Mir ist nach Feiern zumute", rief Joey. „Begießen wir den Erfolg in unserem Saloon bevor die Party erst richtig los geht."
Damit waren alle einverstanden. Unter lautem Gejohle und Gebrüll stürmten sie die Treppe runter aus dem Haus und knallten mit ihren Revolvern in die Luft.
Am Ende blieben nur noch John, Reis, Bohne, Rango und Joey im Büro übrig.
„Was is' mit dir?", fragte Joey das Chamäleon.
Doch Rango schüttelte den Kopf. „Bis der alte Mann kommt, werde ich mich um die beiden Damen kümmern."
Joey zuckte die Achseln. „Wie de' willst. Hauptsache der alte Mann taucht bald auf."
Damit entfernte er sich und die zwei Mädchen blieben mit dem Killer allein zurück. Auch John saß immer noch am Schreibtisch und sagte kein Wort.
Rango griff runter zu seinen beiden Revolvern in den Holstern und sah die beiden verängstigten Mädchen streng an. Besonders ruhte sein Blick auf Bohne, doch dann wanderte seine Augen auf Reis. „Wenn du nicht willst, dass deine Schwester wieder Angst kriegt, dann würde ich euch raten keinen Widerstand zu leisten." Er strich sich über die Colts. „Dann werde ich meine Schusswaffen nicht rausholen. Kapiert?"
Zuerst starrten die beiden ihn nur wie erstarrt an, dann nickten sie.

RANGO // OӘͶAЯ - Another Outlaw Story [dt.]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt