21. Abgeschottet

5 0 0
                                    

Ohne, dass es jemand bemerkte, beobachtete der Bürgermeister wie die Klapperschlange die Bank mit dem Hasen, der Maus und dem Gila-Monster verließ. Er saß in seinem Rollstuhl unter einem Hausdach und legte nachdenklich die Hände zusammen. Doch kaum waren sie weg, tauchte neben ihm Miss Daisy auf.
„Bürgermeister John!"
Der Bürgermeister fuhr hoch und schüttelte den Kopf. „Ja, Madame?"
„Da ist ein Brief für Sie. Er kam heute Morgen."
Der Bürgermeister nahm den Brief dankend an und die Nager-Frau ließ ihn wieder allein.
Ein paar Sekunden lang starrte John auf den Brief in seinen Händen. Schließlich öffnete er ihn und zog ein Papier heraus. Er las die Zeilen und es dauerte nicht lange und er ließ den Brief zu Boden fallen.

„Du kannst es dir immer noch überlegen", meinte Kinski.
Sie waren jetzt schon fast eine Stunde unterwegs. Kinski, Chorizo und Bill saßen auf Roadrunnern, während die Klapperschlange neben ihnen her kroch.
„Du musst ja nicht mitkommen", gab Jake zurück. „Du sollst mir nur den Weg zeigen. Danach könnt ihr ruhig wieder gehen."
Kinski verdrehte die Augen. „Das wollte ich damit nicht sagen. Ich sorge mich nur um Ihre Gesundheit. Joel ist ein Sturkopf. Sich mit ihm anzulegen ist Selbstmord."
Er drehte sich um, wo Chorizo hinter ihm her rit. „Du kennst ihn doch mehr als ich, hab ich recht oder nicht?"
Chorizo räusperte sich. „Nun, er war schon immer eine Kämpfernatur. Er hatte früher in Mienen gearbeitet und ist ein hart arbeitender Mann."
„Heißt es nicht, dass er eine Menge Sprengstoff besitzt aufgrund seines früheren Berufes?", fragte Bill mit besorgtem Gesicht.
„Was willst du damit sagen?", fragte Chorizo zurück.
„Sturheit und Sprengstoff sind schlechte Freunde, pflegt John stets zu sagen."
Jake warf ihm einem skeptischen Blick zu. Dachte er wirklich, dass dieser Joel den Sprengstoff auf seinem Land einsetzten könnte?
Plötzlich hob Kinski die Hand. „Halt! Hier beginnt sein Gebiet."
Auf einer freien Landschaft stand ein altes, großes Holzschild mit den großen Buchstaben: „Betreten verboten! Lebensgefahr! Seid gewarnt!"
Ihre Blicke wanderten hinter das Schild, wo das Gebiet begann hügeliger zu werden.
Jake zuckte die Oberhalsmuskeln. „Nun, in diesem Fall bis später."
Damit setzte die Klapperschlange ihren Weg fort und passierte das Schild.
„Äh... Mister Jake?", schaltete sich Chorizo ein. „Angesichts dessen, dass Sie versucht haben unser Zuhause zu retten, denke ich, halte ich es für meine Pflicht Sie zu begleiten. Vielleicht kann ich Joel beruhigen, auf diplomatischem Weg."
„In diesem Fall komme ich auch mit", meinte Kinski. „Ich denke nicht, dass mein Bruder froh darüber wäre, wenn er seinen Verwalter verlieren würde."
Innerlich war Jake etwas erleichtert, sprach es aber nicht aus.
Kinski und Chorizo ritten an dem Schild vorbei, während Bill immer noch draufstarrte.
„Äh, vielleicht sollte ich hier warten."
Jetzt überwand sich Jake etwas zu sagen. „Ich dachte, du wolltest mir helfen. Also, willst du jetzt das Wasser finden, oder nicht?"
Bill senkte den Blick und seufzte. „Nun, okay."
Damit lenkte er seinen Roadrunner und folgte ihnen.
„Denkst du wirklich, Joel hat etwas mit dem verschwundenen Wasser zu tun?", fragte Chorizo neugierig.
„Das kann ich noch nicht sagen, bis ich mehr weiß", antwortete Jake.
Sie marschierten durch ein Gebiet mit Hügeln, die nach und nach um sie herum emporragten, bis nur noch ein schmaler Weg sie hindurchführte.
Kinski verlangsamte seinen Roadrunner. „Die Ranch ist nicht mehr weit. Doch wir müssen vorsichtig sein. Amos sagte, dass Joel überall Fallen aufgestellt hat."
Sie passierte einen großen Felsen und hielten an. Vor ihnen erstreckte sich ein kleines Tal, wie eine Mulde inmitten der Hügel. In der Mitte stand ein altes Holzhaus, mit einer großen Scheune nebenan. Die flache Gegend war mit Zäunen umspannt und durchzogen.
Langsam gingen sie den Hügel runter in das Tal und kamen vor dem Zaun zum Stehen. Neben dem Zaun stand ein anders Schild mit der Aufschrift: „Kein Durchgang! Letzte Warnung!"
Bill schluckte schwer.
„Eine sehr gastfreundliche Person", murmelte Kinski.
Alle Augen wanderten zur Klapperschlange, die die Umgebung wachsam begutachtete. Niemand hielt sich in der Nähe auf, kein Tier, kein Laut. Nur der wehende Wind und der wirbelnde Sand, der die Gegend durchstreifte.
Nach einer Weile entschlossen sie sich von ihren Roadrunnern abzusteigen und den Rest weiter zu Fuß zu gehen. Gemeinsam gingen sie zwischen zwei Zäunen entlang, der sich rechts und links von ihnen erstreckte. Alles schien friedlich zu sein. Oder täuschte das nur?
Mit jedem Schritt den sie tätigten überschlich sie ein mulmiges Gefühl, das sich wie eine Schlinge zuzog.
„HALT!"
Jakes Ruf ließ alle erstarren.
„Was ist los? Was ist los?", fragte Bill und schaute sich hastig um.
Jake kroch ein Stück nach vorne. „Nicht weiter."
Er beugte sich runter und züngelte mit der Zunge über den Boden. Dann blies er über den Sand und ein Seil wurde sichtbar.
„Eine Stolperfalle?", fragte Chorizo.
„Wahrscheinlich."
„Schon vom Vorteil eine Schlange zu sein", meinte Kinski und kicherte. Er wusste, wie gut Schlangen Gerüche wahrnehmen konnten.
„Puh", keuchte Bill und wischte sich über die Stirn. Dabei lehnte er sich mit der Hand gegen den Zaun. „Das war aber knapp..."
Plötzlich fühlte seine Hand auf ein Seil. Die Kordel vibrierte und ein lautes Klingeln erklang nahe des Hauses. Der ganze Zaun war mit Schnüren präpariert worden.
Vorwurfsvoll sahen ihn alle an.
Bill hob die Hand. „Tut mir leid."
„Nettes Glockenspiel", sagte Kinski. „Eine nette Methode für eine Alarmanlage."
„Eine Alarmanlage?"
„Psst!", zischte Jake und lauschte. Doch weitere Geräusche blieben aus. Niemand rief nach ihnen. Plötzlich bemerkte Jake eine Bewegung in einem der Fenster im Haus.
„Keine Sorge", beruhigte Kinski und griff in seine Tasche. „Für solche Fälle habe ich immer meine Geheimwaffe dabei."
Damit hielt er ein weißes Tuch in die Höhe.
Zweifelnd kratzte Chorizo sich am Kopf. „Das ist deine Geheimwaffe?"
„Eine weiße Fahne kann stärker sein als jedes scharfe Schwert."
Mit diesen Worten band er es an seine lange Waffe und schwang die weiße Fahne hin und her.
Eine Weile passierte gar nichts.
Die anderen sahen sich suchend um.
Bill rieb sich die Stirn. „Es scheint zu..."
[PENG!] [PENG!] [PENG!]
Mit großen Augen starrte Kinski auf die Flagge – zerschossen.
„In Deckung!"
Der Hase warf sich auf den Boden hinter dem Zaun. Die anderen folgten seinem Beispiel.
Keine Sekunde zu früh. Kurz darauf wurden mehrere Kugeln abgefeuert und flogen über ihre Köpfe hinweg.
Jake hatte die meisten Schwierigkeiten sich auf den Boden zu drücken, um sich zu schützen.
„Wir kommen in Frieden!", schrie Kinski in der Hoffnung den Kugelhagel zu beenden.
Plötzlich wurde es still.
Die Gruppe hob nach und nach die Köpfe, doch dann wurden erneut Kugeln abgefeuert und sie mussten mit den Köpfen wieder runter.
„Das ist kein guter Platz für ein Nickerchen", meinte Chorizo.
Seine Begleiter stimmten ihm zu.
„Allerdings", sagte Jake und schaute sich nach einer sicheren Stelle um.
Nicht weit von ihnen stand ein alter Karren.
„Hinter den Wagen!"
In schneller Geschwindigkeit schafften sie es dahinter zu springen, bevor eine neue Ladung Kugeln ihrem Weg folgten. Jake machte sich so klein wie möglich. Irgendwann hörte die Ballerei auf.
„Nun, ich denke, dass wäre jetzt ein guter Zeitpunkt ein paar Worte zu reden."
Kinski sah auf Chorizo, der sich nervös den Hut rubbelte.
„Oh, okay. Ich mach das schon."
Vorsichtig lugte Chorizo über den Wagen. Die Umgebung war so gut wie leer, nur im Haus an einem Fenster bewegte sich etwas.
„Hey, Joel!", rief er. „Alter Freund. Wie geht es dir? Ich bin's. Chorizo. Erinnerst du dich noch? Es ist schon eine ganze Weile her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Könntest du bitte so ein guter Nachbar sein und dich mit uns ein bisschen unterhalten?"
„Sehr diplomatisch", murmelte Kinski sarkastisch.
[PENG!]
„Verschwindet!", brüllte eine alte Männerstimme zu ihnen rüber. „Verschwindet von meinem Land!"
„Aber Joel", versuchte Chorizo es erneut. „Nur für eine Minute."
„Ich scher mich einen Dreck darum!"
Kinski seufzte tief. „Wenigstens weiß er noch in welcher Stadt er wohnt."
Chorizo schnaubte. „Hör zu Joel. Wir sind hier mit einem neuen Sheriff. Amos hatte einen Unfall..."
„Nimm deinen Unrat mit dir und verschwinde!"
„Wir haben nur ein paar Fragen an dich."
Für einen kurzen Moment herrschte Stille.
„Ich zähle jetzt bis 11", brüllte Joel von seinem Haus. „Dann seid ihr verschwunden!"
„Nur ein paar Minuten."
„Eins!"
Jetzt war es Jake, der einen Blick über den Wagen riskierte. „Hören Sie, mein Name ist Jake, und wir haben Grund zu der Annahme, dass Sie uns etwas über das Wasserproblem in Dreck sagen könnten."
„Zwei!"
Nervös rieb sich Chorizo über den Kopf. „Joel, bitte, sei doch vernünftig."
„Drei... und 11!"
Plötzlich kamen Schüsse von hinten, trafen den Boden und verfehlten sie nur wenige Millimeter.
„Ein Hinterhalt!", schrie Kinski. „Besser wir hauen ab!"
So schnell sie nur konnten verließ die Gruppe ihr ehemaliges sicheres Versteck. Plötzlich fiel Chorizo zu Boden und hielt sich sein Bein. Jake war der Erste, der ihm schnell hoch half, bis die Maus in Kinskis Arme fiel. Blut färbte sein Hosenbein.
„Ist nicht schlimm", beteuerte er und wurde mitgezogen.
Im selben Moment erfüllte eine andere Art von Geschossen die Luft. Beide Säugetiere schauten auf und sahen wie Jake jetzt kreuz und quer um sich schoss. Dann hörte er auf und sie flohen erneut.
Bill war der Erste, der dem Ausgang entgegenrannte, doch dann sprang auf einmal ein Schatten zwischen den Hügeln. Für einen kurzen Moment fing er den Blick der Person, bevor sie wieder verschwand. Das Gila-Monster hielt urplötzlich an. Kinski und Chorizo rannten ihn in den Rücken und alle drei vielen nach vorne.
Jake konnte gerade noch anhalten, doch dann hörte er ein zischendes Geräusch, dass durch die Luft flog.
„RUNTER!"
Er drückte sich nach vorne und stieß die anderen beiseite. Ein lauter Knall explodierte in ihren Ohren. Für einen Moment dachte Kinski er habe sein Gehör verloren und war für einen kurzen Moment taub. Sofort richtete sich die Klapperschlange auf und sah sich um, doch niemand war vom Dynamit verletzt worden. Er schaute hinter sich. Die Farm war Meter weit entfernt. Wenigstens waren sie jetzt aus der Gefahrenzone.
Eine Stille entstand. Beinahe schon eine Totenstille. Nur der Staub schwebte über die Landschaft.
Mittlerweile hatten die anderen sich wieder erholt und standen auf.
„Warum bist nicht weggelaufen?", schimpfte Kinski und gab Bill einen harten Stoß.
Chorizo hielt sich stöhnend sein linkes Bein. „Schon lange her, seit ich einen Wettlauf gemacht habe."
Kinski betrachtete das blutende Bein. „Möglicherweise nur ein Streifschuss. Wir sollten besser wieder in die Stadt gehen. Ich hab für heute genug." Mit diesen Worten klopfte sich Kinski den Staub vom Fell.
„Ich auch", stimmte Chorizo ihm zu.
„Was ist mit dir, Bill?"
Doch Bill schien mit seinem Kopf meilenweit entfernt zu sein.
„Hey! Erde an Bill! Bist du noch da?"
„W-was?" Bill schüttelte den Kopf. „N-nein, nein, alles okay, ich bin okay."
„Na fein."
Die Klapperschlange warf einen letzten Blick auf die Ranch. Seine Augen wanderten weiter runter und betrachtete nachdenklich den Boden. „Hmm." Er wischte über den sandigen Boden und legte seinen Kopf darauf.
„Kommen Sie jetzt?", hörte er die anderen rufen.
„Ich komme."
Damit wandte Jake sich ab und sie verließen das Schlachtfeld.

RANGO // OӘͶAЯ - Another Outlaw Story [dt.]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt