✧ Kapitel 12 ✧

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Prüfend musterte Eto den Ghul mit schwarzer Hasenmaske.
"Nicht schlecht, Ayato", lobte sie ihn schließlich.
Ayato blickte sie nur unbegeistert an.
"Wie lautet eigentlich dein Name?"
Emma zögerte, sie wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Ayato kannte ihren wahren Namen bereits, jedoch musste sie auch das Bild aufrecht erhalten, welches Shuu ihr aufgezwungen hatte.
"Ich... bin Mujika", antwortete sie.
"Aha", nickte Ayato verstehend.
"Dann wirst du auf Missionen Mujika genannt, aber jetzt kannst du auch deinen echten Namen verraten."
Nun war es Eto, die ein wenig verwirrt aussah, während Emma den Kopf leicht senkte.
"Emma", gab sie unsicher Preis.
"Mein Name lautet Emma."

Eto begann zu lachen und trottete langsam sie Stufen zu ihrem Thron hinauf.
"Nun gut, Emma, du darfst heute noch deine Treue zum Phönixbaum unter Beweis stellen. Ayato, nimm sie mit auf Mission."
Der Ghul knurrte leise und ballte seine Faust, jedoch machte er seinem Ärger keine Luft.
Die Hierarchie innerhalb dieser Organisation wurde Emma so langsam klar.
Eto war die große Anführerin, womöglich gelang sie nach dem Neuaufbau an die Macht, während Ayato ebenso eine Machtposition innehatte, jedoch war er Eto unterstellt. Gegenseitig schienen sie sich zu hassen, aber dennoch zu respektieren.
"Komm, Emma", rief Ayato ihr zu, er hatte sich schon wieder zum Ausgang begeben.
"Wo gehen wir hin?", fragte sie, als sie ihn einholte.
Ayato ignorierte ihre Frage und rief zwei Ghule, die sich in der Nähe niedergelassen hatten, mit einer einzigen Handbewegung zu sich.
"Yuki, Keiji, kommt mit."
Yuki war noch ein kleiner Junge, der das weinrote Gewand des Phönixbaumes trug, Keiji hingegen schien bereits erwachsen zu sein.
Sie folgten Ayato durch die Katakomben, bis sie die Unterwelt verließen.
"Hört mir gut zu", meinte er streng.
"Wir greifen jetzt einen kleinen Außenpunkt an, dort sind ein paar Ermittler stationiert. Wenn alles gut läuft und keiner von euch Ärger macht, sind wir in einer Stunde wieder zurück."
"Verstanden", antworteten Keiji und Yuki synchron, Emma nickte nur bestätigend.

Akrobatisch sprangen sie an Häuserwänden entlang, kletterten auf flache Häuserdächer und hielten Ausschau auf einem Laternenmast.
"Da vorne ist der Stützpunkt der Tauben!", rief Yuki aufgeregt.
"Es sind nur drei Leute, und wir sind zu viert!"
"Dann Mal los!", rief Ayato und hechtete nach vorne, Emma folgte ihnen.
Ein grelles Licht blitzte auf, es blendete sie und ließ sie stoppen.
Ein Körper stieß sie zur Seite und presste eine Hand auf ihren Mund.
Langsam kehrte ihre Sicht wieder zurück, und das erste was sie erblickte, waren zwei grausam zugerichtete Körper, umhüllt von der roten Robe.
"Bleib still", zischte Ayato ihr zu, er presste sie noch stärker auf den Boden.
"Das ist der Todesengel des CCG, er tötet jeden Ghul. Da ist es egal, ob du registriert bist oder nicht", erklärte er ihr angespannt.
"Tanzt du nicht nach seiner Pfeife, bist du tot. Er hat dasselbe Talent wie die beiden Sensenmänner des CCG, Kishou Arima und Ken Kaneki."

Angestrengt versuchte Emma, die Ermittler zu identifizieren.
Es waren Kuki und Saiko, die sie bereits im Café kennenlernen durfte, daneben stand der erste Ermittler Tooru Mutsuki, von dem sie ebenso schon etwas gehört hatte.
Unter ihnen wandelte eine Silhouette, der vierte Ermittler hielt sich bedeckt.
"Wir können die jetzt nicht angreifen", zischte Ayato, als Emma versucht hatte, sich zu befreien.
"Aber was ist mit den beiden?", antwortete sie besorgt. Der Ghul ließ ein wenig locker, sodass sie sich unter ihm hervorziehen konnte.
Prompt schnellte seine Handfläche nach vorne und traf ihr Gesicht.
"Die beiden sind tot, verstehst du? Tot. Die leben nicht mehr!"
Emma rieb sich den unteren Teil ihres Gesichts, den Rest hatte ihre Maske geschützt.
"Können wir denn nicht zumindest die Leichen retten?", bat sie traurig, in ihr Gedächtnis schoss das mutige Grinsen des kleinen Jungen. Sie hätten nicht so früh sterben sollen.
"Was willst du mit den Leichen?", knurrte Ayato wütend.
"Aber bitte, renn' in den Tod, der Todesengel wartet schon."
Mit diesen Worten drehte er sich um und trottete langsam zurück.
Emma musste sich eingestehen, dass Ayato Recht behielt. Sie würde sich selber nur unnötig in Gefahr bringen, sie war ja nicht einmal registriert.
Wehmütig blickte sie zu den Ermittlern zurück und machte ebenso kehrt.
Jedoch erspähten ihre Augen das Gesicht des Todesengels, die weißen Haare und die blauen Augen waren zu markant.
"Norman?", stellte sie entsetzt fest.
Er war der Todesengel, der jeden Ghul kaltblütig umbrachte?

•••

Betrübt holte sie Ayato ein, kurz vor dem minimalistisch wirkenden Lager des Phönixbaums.
Eto kam ihnen optimistisch lachend entgegen.
"Und, Mission erfolgreich?", fragte sie unbeschwert.
Ayato funkelte sie jedoch grimmig an.
"Von wegen erfolgreich, der Todesengel war da."
Eto seufzte nur laut auf.
"Es sind immer die jungen Männer mit weißen Haaren", meinte sie.
"Zuerst Kishou Arima als weißer Sensenmann, dann Ken als schwarzer Sensenmann, und jetzt-"
"Norman", unterbrach Emma sie niedergeschlagen, Eto blickte überrascht zu ihr hinauf.
"Du kennst ihn?"
Sie nickte zögerlich, was der Ghula vor ihr ein schallendes Gelächter entlockte.
"Das passt ja wieder perfekt ins Klischee, eine unregistrierte Ghula ist mit einer kaltblütigen Taube befreundet. Das bringe ich irgendwo in einem Roman unter."
Unwillkürlich versetzte ihr diese Aussage einen Stich. Norman und Emma, sie waren mehr als nur Freunde, und doch musste sie nun den Tod durch ihn fürchten.

"Kopf hoch, Emma", meinte Ayato beruhigend. Emma saß vor einem kleinen Lagerfeuer, dass sie nahe des künstlich angelegten, unterirdischen Kanals anzündete.
"Ich verspreche dir, dass Norman nicht sterben wird, wenn wir in ein oder zwei Monaten gegen das CCG kämpfen."
Emma fuhr erschrocken hoch.
"Muss ich da mitkämpfen?", fragte sie ungläubig, Ayato nickte.
"Bevor es so weit ist, müssen die jüngsten Mitglieder trainiert werden. Das bedeutet für dich, dass du erst einmal deinen Kram mit dem Doktor erledigen kannst."
Traurig starrte sie in die lodernen Flammen, die es nicht einmal wagten, von dem wenigen Feuerholz abzulassen.
"Wie jung sind die jüngsten Mitglieder?"
"Äh, ungefähr sechs, glaube ich", antwortete Ayato, ein ungewohnt freundlicher Ton lag in seiner Stimme.
Er lenkte sofort vom Thema ab und sah ihr eindringlich in die Augen.
"Jetzt gönn' dir erstmal Ruhe, ich bringe dich morgen früh sofort zu Doktor Furuta. Lösch das Feuer und komm' mit."

Emma schob mit dem Fuß die kleinen Stöcker in Richtung des Baches, darauf bedacht, dass ihre Kleidung kein Feuer fing. Mit einem lauten Zischen erstarb das warme Feuer, die Kälte legte sich in den dunklen Gängen nieder.
Schweigend folgte sie dem Ghul, der sie wieder zu den anderen Mitgliedern führte.
"Hier sind überall Zimmer. Deins ist das von Yuki und Keiji, gleich hier vorne."
Bedrückt betrat sie den ihr zugewiesenen Raum, in dem vorher die beiden Jungs ihr tristes Leben verbrachten.
Überall lagen noch ihre persönlichen Gegenstände, vor allem die kindlichen Zeichnungen sprangen ihr ins Auge.
Vorsichtig begutachtete sie eines der Bilder, es zeigte einen Jungen, der auf einem Pferd ritt.

Eine einzelne Träne rollte Emmas Wange hinunter, sie wurde lediglich von der Maske gestoppt. Sanft entblößte sie ihr schmutziges Gesicht.
Menschen und Ghule könnten unterschiedlicher nicht sein, und doch waren sie sich so ähnlich.
War das nicht dasselbe wie mit den Monstern in ihrer Welt?
War es überhaupt richtig, Ghule und Monster rücksichtslos zu töten, obwohl sie doch so ähnlich waren?

War nicht der Mensch das wahre Monster?

IDENTITY | [The Promised Neverland • Tokyo Ghoul FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt